Sonntag, 14. März 2021

Fall 73: Kompartment des Unterschenkels unter Xarelto I

 Fall 73: Kompartment Syndrom des Unterschenkels unter Xarelto

Aus einer Seniorenwohnanlage wird mit dem RTW eine 82-jährige demente Bewohnerin zugewiesen. Dem Pflegepersonal wäre ein Bluterguss und eine zunehmende Weichteilschwellung des linken Unterschenkels aufgefallen. Ein Trauma wurde verneint und konnte von der Patientin auch nicht angegeben werden. Beschwerden werden nicht angegeben.

Eigenanamnese:

Eine Anamnese konnte von der Patientin nicht erhoben werden. Es besteht laut Pflegeüberleitungsbogen neben einer Demenz eine Dauerantikoagulation mit Xarelto wegen Vorhofflimmerns. Ferner besteht ein Hypertonus und ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus.

Körperliche Untersuchung.

82-jährige Patientin in gutem AZ, kachektisch. Sie ist wach, kommunikativ, jedoch zur Zeit nicht zuverlässig  orientiert.

Inspektorisch zeigt sich folgender Befund am linken Unterschenkel:



Freitag, 12. März 2021

Fall 73: Kompartment Syndrom des Unterschenkels unter Xarelto II

Der Unterschenkel weist eine prominente lateralseitige Weichteilschwellung auf. Die Haut ist i.S. einer flächigen Nekrose alteriert. Bei der Betastung fühlt sich die Schwellung prall und unter Spannung an. Betroffen ist die Peronaeusloge. Schmerzen werden zu Beginn der Supination und Adduktion des Fußes geäußert. Die Fußpulse sind links nicht tastbar.

Mittlerweile trifft das Labor ein. Interessieren dürfte der Hb Wert, der mit 10,4 g/dl erwartungsgemäß niedrig ausfiel.

Diagnose: Blutungskomplikation unter Xarelto mit Kompartmentsyndrom des linken Unterschenkels

Es erfolgt die Kompartmentspaltung. Dabei werden ca 500ml Koagel evakuiert. Die Nekrosen werden debridiert und mit einem Vakuumverband temporär verschlossen. Die Vakuumtherapie wird für 12 Tage mit wiederholtem Wechsel und Nachdebridement der Weichteile beibehalten. Bei konsolidierten Weichteilen erfolgte dann die Meshgraft Deckung und Nachbehandlung mit weiterer Vakuumtherapie. 8 Tage nach Meshgraft konnte die Vakuumtherapie beendet und die Patientin unter Fortführen rückfettender Maßnahmen in die Häuslichkeit zurück verlegt werden.

Fazit:

Dabigatran (Pradaxa®), Rivaroxaban (Xarelto®), Edoxaban (Lixiana®) und Apixaban (Eliquis®) zählen zu den nicht-Vitamin-K-antagonistischen oralen Antikoagulanzien (NOAK).

Eine unerwünschte Nebenwirkung von ihnen sind Blutungen. Obwohl statistisch anscheinend kein Unterschied in der Häufigkeit von Vit-K Antagonisten und Non Vit-K Antagonisten bestehen soll, zeichnet die klinische Erfahrung ein anderes Bild, denn hier sind es ausschließlich Blutungen unter Non Vit-K Antagonisten, die Anlass zur stationären Aufnahme geben. So entsteht der Eindruck, dass eine Blutungskomplikation in ihrer Schwere gravierend ist, wenn sie auftritt, und evtl deshalb häufiger im klinischen Alltag zu sehen ist.  Blutungen sind i.d.R. relevant und interventionspflichtig. Das betrifft aus chirurgischer Sicht insbesondere Blutungen mit diffuser Verteilung in die Weichteile, Abdomen oder gastrointestinal[i].

Die Therapie der akuten Blutung stellt den Kliniker vor das Problem, dass es bislang kein Antidot für den Faktor Xa Hemmer gab. Für Dabigatran kam erst 2015 das erste Antidot: Idarucizumab. Für die anderen o.g. Medikamente konnte man nur auf Gerinnungsfaktoren-Konzentrate zurückgreifen.

Seit dem 1. März 2019 jedoch hat die europäische Arzneimittelbehörde EMA die Zulassung für das Apixaban- und Rivaroxaban-Antidot Andexanet alfa empfohlen. Es ist in der 2. Jahreshälfte 2019 unter dem Namen Aprol auf den Markt gekommen. Für Edoxaban dagegen gibt es noch kein Antidot.



[i] https://www.webmd.com/drugs/2/drug-156265-1153/xarelto-oral/rivaroxaban-oral/details/list-sideeffects