Sonntag, 26. Juni 2022

Borreliose: Neue Risikogebiete hinzugekommen

Nach Angaben des Robert Koch Institutes breitet sich die Borreliose in Deutschland im Norden weiter aus. Die nach einem Zeckenbiss auftretende Erkrankung bedarf gerade nach Exposition besonderer Beachtung. Werden die Warnsymptome übersehen oder fehlen sie ganz, besteht ein Risiko an Borreliose zu erkranken. Daher sollten Veränderungen wie die bekannte Wanderröte oder grippeähnliche Beschwerden mit übermäßigem Schwitzen Anlass geben, eine Therapie mit Antibiotika zu beginnen.

s.Veröffentlichung: 

Als Risikogebiete in der BRD (Stand: Januar 2022) gelten vor allem Bayern und Baden-Württemberg, Südhessen, das südöstliche Thüringen und Sachsen. Einzelne Risikogebiete befinden sich zudem in Mittelhessen, im Saarland, in Rheinland-Pfalz und in Niedersachsen. 



Es kommen aber auch sechs neue Risikogebiete hinzu, von denen vier an bekannte Risikogebiete grenzen. Erstmalig in Brandenburg werden drei Kreise Risikogebiet (LK Oberspreewald-Lausitz, LK Oder-Spree und LK SpreeNeiße), erstmalig in Nordrhein-Westfalen wird der Stadtkreis (SK) Solingen Risikogebiet und in Sachsen kommen zwei Kreise hinzu (SK Chemnitz und LK Görlitz). Somit sind aktuell 175 Kreise als FSME-Risikogebiete definiert. Im Jahr 2021 wurden insgesamt 390 FSME-Erkrankungen übermittelt (Stand: 21.01.2022). Dies entsprach einer Abnahme von 45% gegenüber dem Rekordwert im Vorjahr (712 FSME-Erkrankungen). 




Quelle: Epidemiologisches Bulletin 9/2022 - RKI

https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/gefahr-in-deutschland-steigt-borreliose-gefahr-steigt-karte-zeigt-deutschlands-stark-betroffenen-regionen_id_13467536.html

Fall 74: der Weichteildefekt am Hoden

 Diagnose:

Z.n. Weichteildebridement bei Fournierschen Gangrän

Procedere:

Es erfolgt die Verlegung in eine urologische Fachklinik. Dort wird die plastische Deckung mit Schwenklappen und einer Rekonstruktion des Skrotums erreicht. Der Verlauf ist jedoch nicht unkompliziert. Es werden noch weitere Debridements peranal bei weiterer Absessbildung angeschlossen. Die initialen Wunden bleiben jedoch davon unbetroffen. Unter Dauerantibiose gemäß Antibiogramm heilen die Weichteile schließlich ab, und der Patient kann nach 46 Tagen die stationäre Behandlung verlassen.

Diskussion

Der Morbus Fournier gilt als Sonderform einer infektiösen, nekrotisierenden Fasciitis in den perinealen, peranalen und skrotalen Geweben. Es bedarf dazu eines Synergismus aus vorbestehenden Komorbiditäten und einem idealen Nährboden für eine bakterielle Ausbreitung. Der Verlauf ist foudroyant und erfordert eine rasche chirurgische Sanierung mit einer frühzeitigen antimikrobiellen Behandlung und intensivmedizinischer Therapie.

Der Namensgeber für das Krakheitsbild ist Jean Alfred Fournier (1832 - 1914), der 1883 einen Artikel unter dem Titel „Gangrene ­foudroyante de la verge“ (Fulminantes Gangrän des männlichen Gliedes) veröffentlichte. Darin benennt er die drei wesentlichen Aspekte der Erkrankung mit einem plötzlichen Beginn eines bis dahin gesunden jungen Mannes, eine rasche Progression mit Übergang in eine fortschreitende ­Gangrän ohne eine definitive Ursache. Letztere ist der Unterschied zu spezifischen Erkrankungen.

Grundsätzlich kann die Gangrän bei Männern wie auch Frauen und Kindern auftreten, wobei das Verhältnis mit 10:1 zu Ungunsten des männlichen Geschlechtes gewichtet ist[i]. Die jährliche Inzidenz beträgt 1,6 Fälle auf 100 000 Männer mit einer Mortalitätsrate von 16 %.

Die Diagnose wird klinisch gestellt. Oft besteht eine fulminante Nekrose mit einhergehender Sepsis; ausgehend von einer kleinen Hautläsion schreitet die Gangrän oft innerhalb weniger Stunden fort. Es kommt zu einer zunehmenden Nekrose mit erst rötlich-livide und anschließend schwarzer Demarkation. Dieser typische Verlauf kann jedoch in bis zu 40 % der Fälle auch fehlen. Es entwickelt sich dann lokal ein Ödem mit Induration und Krepitation, Schmerzen und einem oft stark beißenden Geruch. Fieber, Schüttelfrost und erhöhte Infektparameter im Labor. Der Patient erscheint krank mit Zeichen einer Sepsis. Radiologisch können subkutane Lufteinschlüsse oder Abszessbildung bestehen.

Begünstigend wirken systemische Grunderkrankungen, z.B. Diabetes mellitus und Alkoholismus. Diese finden sich in 70 % der Fälle. Zusätzlich könne Leukämien, ­maligne Erkrankungen, chronischer Steroidmissbrauch, Unterernährung und HIV-Infektionen vorliegen.

Als Eintrittspforten gelten Hautdefekte, der Gastrointestinaltrakt und der Genital- und Harntrakt besonders nach Eingriffen, Verletzungen und Erkrankungen, wie zum Beispiel in einzelnen Fällen nach Vasektomie[ii], [iii], bei renalen oder rektalen Abszessen, Harnröhrensteinen und -strikturen mit Extravasation sowie bei rupturierten Appendices, Divertikulitis und Kolonkarzinomen.

Das Erregerspektrum ist eine Mischkultur aus aeroben und anaeroben Bakterien, insbesondere Clostridien, Klebsiellen, Streptokokken, Coliformen und Staphylokokken. Es entwickelt sich ein selbst unterhaltender Synergismus. Durch Aerobier wird der Nährboden für anaerobe Keime geschaffen. In der Folge entwickelt sich eine Endarteriitis obliterans mit Thrombosierung kleinerer Haut- und Subcutangefäße und daraus resultierend die Gewebsnekrose[iv],[v],[vi]

Therapeutisch steht das frühzeitige radikale chirurgische Debridement mit antibiotischer Breitspektrumtherapie unter intensivmedizinischer Versorgung im Vordergrund.
Die chirurgische Sanierung sollte so früh wie möglich beginnen[vii]. Dies verbessert die Überlebenschancen. Intraoperativ zeigt sich oft eine bis zur reichende Nekrose. Selten ist die Muskulatur oder die Testes mitbetroffen. Das Ausmaß der Nekrose überschreitet oft das äußerliche Erscheinungsbild. Medikamentös wird die chirurgische Weichteilsanierung mit einem Breitspektrumantibiose in Form einer Dreifachantibiose gegen Anaerobier, Streptokokken, Staphylokokken und coliforme Bakterien empfohlen. Diese kann nach Erhalt der Kulturen gemäß des Antibiogramms resistenzgerecht angepasst werden.

Die nekrotisierende Fasciitis ist, laut Verband deutscher Druckkammer-Zentren, eine Indikation für die adjuvante hyperbare Sauerstofftherapie. In den Leitlinien der European Association of Urology (EAU) findet die Anwendung jedoch noch keine Zustimmung.




[i] Eke N. Fournier’s gangrene: a review of 1726 cases. Br J Surg 2000; 87: 718-728.

[ii] Viddeleer AC, Lycklama a Nijeholt GAB. Lethal Fournier’s gangrene following vasectomy. J Urol 1992; 147:1613-14

[iii] Patel A, Ramsay JW, Whitfield HN. Fournier’s gangrene of the scrotum following day case vasectomy. J R Soc Med 1991; 84: 49-50

[iv] Smith GL, Bunker CB, Dinneen MD. Fournier’s gangrene. Br J Urol 1998; 81: 347-355

[v] Mallikarjuna MN, Vijayakumar A, Vijayraj SP, Shivswamy BS. Fournier’s Gangrene: Current Practices. ISRN Surg 2012; Article ID 942437, 8 pages

[vi] Sroczynski M, Sebastian M, Rudnicki J, Sebastian A, Agrawal AK. A complex approach to the treatment of Fournier’s gangrene. Adv Clin Exp Med 2013; 22(1); 131-5

[vii] Grabe M, Bjerklund-Johansen TE, Botto H, Çek M, Naber KG, Pickard RS, Tenke P, Wagenlehner F,     Wullt B. Guidelines on urolgical infections. Uroweb 2013. http://www.uroweb.org/gls/pdf/18_Urological%20infections_LR.pdf, accessed Nov 1th 2013.

 

Fall 77: Die komplizierte Ellenbogenluxation: Der Fall

Mit dem RTW wird ein 35-jähriger Mann vorgestellt. Er wäre nach 4 Flaschen Bier auf die Mülltonne gestiegen und von dort auf seinen rechten Arm gefallen. Im Moment des Aufkommens habe er diesen rückwärtig ausgestreckt. Er habe sofort starke Schmerzen im re Ellenbogen verspürt und diesen nicht mehr bewegen können. Vom Rettungsdienst wurde Ketanest/Dormicum verabreicht.

Eigenanamnese:

Keine Einnahme von Medikamenten, keinerlei Vorerkrankungen. Regelmäßiger Alkoholgenuss oder -missbrauch wird verneint.

Körperliche Untersuchung:

Auf der Trage ist der re Arm auf einem Kissen gelagert. Eine unterstützende Schiene o.dergl. wurde nicht angelegt. Der Weichteilmantel im Ellenbogen ist deformiert und verplumpt. Dorsal lässt sich der luxierte proximale Unterarm tasten. Eine Bewegungsprüfung im Schulter/Handgelenk wird nicht toleriert. Die Haut ist vital, warm und trocken. Finger werden aktiv, das Handgelenk vermindert bewegen. Durchblutung und Sensibilität erscheinen intakt.

Unter dem klinischen Verdacht einer dorsalen Ellenbogenluxation erfolgt das Röntgen des Ellenbogens mit Unterarm. Die Bilder zeigen den folgenden  Befund:




Es erfolgt die Vorbereitung der Reposition in Narkose. Der Patient gibt dabei einsetzende Dysästhesien der Finger an. Bei dem second look fällt eine neu eingesetzte dorsale Weichteilschwellung über dem distalen Handgelenk auf. Diese ist bandförmig auf den Carpus beschränkt. Kein knöcherner Druckschmerz über dem distalen Radius/Ulna. Die Beweglichkeit ist endgradig schmerzhaft mit Druckschmerz über der Tabatiere. Es werden Kribbelsensationen in allen Fingern angegeben. Finger sind weiterhin beweglich.

Auf dem Weg in den OP werden folgende Röntgenbefunde erhoben: