Samstag, 1. April 2023

Fall 78: Covid maskiert als Nierenkolik

Seit dem ersten gemeldeten Covid-19 am 28.1.2020 hat sich das Verständnis der Erkrankung durch Sars-Cov 2 grundlegend verändert. Galt die pulmonale Manifestation zunächst als pathognomonisch, änderte sich die klinische Präsentation im weiteren Verlauf der Pandemie. Wir berichten über einen Patienten mit klinischen Symptomen einer Nierenkolik, bei dem mehr zufällig eine pulmonale Manifestation mit Covid 19 auffiel.

Der Fall:

In der Notaufnahme stellt sich um 1.25 Uhr ein 52 jähriger Patient vor. Er war bereits in der vorigen Nacht zur gleichen Zeit vorstellig geworden. Geklagt werden intermittierende linksseitige Flankenschmerzen mit einer Intensität von 9 bis 10 VAS. Allgemeinsymptome bestehen nicht. Fieber, Übelkeit, Erbrechen werden verneint, ebenso wie Unregelmäßigkeiten bei Miktio oder Stuhlgang. Der Patient habe das Gefühl, dass die Beschwerden lagerungsabhängig im Liegen stärker ausgeprägt seien.

Insbesondere in Zeiten von Corona werden Kontakte mit positiv getesteten Personen oder Covid typische Symptome verneint. Der diensthabende Arzt am Vortag hatte den Eindruck einer vertebragenen Genese. Beschwerden waren bewegungsabhängig mit einem punktuellen paravertebralen Druckschmerz. Eine Urinuntersuchung und Ultraschalluntersuchung waren routinemäßig durchgeführt worden, hatten aber keinen pathologischen Befund erbracht hatte. Es wurde die symptomatische Analgesie empfohlen.

Bei der erneuten Vorstellung zeigte sich ein Patient mit Bewegungsdrang. Er hockte bei Kontakt  vor der Untersuchungsliege und vermochte keine bequeme Position auf der Liege einzunehmen. Das Abdomen tastete sich weich. Es fanden sich keine Hinweise für Leisten- oder Bauchwandhernien. Die Wirbelsäule konnte allseits schmerzfrei bewegt werden. Es wurden keine paravertebralen Schmerzpunkte sondern Beschwerden unter dem linken Rippenbogen und dem Nierenbecken angegeben. Die Vitalparameter, insbesondere die pO2, waren unauffällig.

Sonografisch fanden sich unauffällige Oberbauchorgane. Insbesondere die linke Niere stellte sich ohne Aufstauung oder echogene Binnenstrukturen dar. Keine freie Flüssigkeit,  Darmkokaden oder erweiterte Pankreasloge

Laborchemisch fielen erhöhte Entzündungswerte auf: Leukos 28.300 G/l sowie ein CRP 138 mg/dl. Elektrolyte, Leberwerte, Pankreasfermente und Creatinin normwertig. Das Urinsediment war positiv für Blut. Der POCT PCR-Test  bei Aufnahme war ohne Nachweis einer aktiven Covid-19 Infektion.



 Fig 1: Initiales CT Abdomen

Unter dem Verdacht einer Nierenkolik mit möglicher Nierenbeckenentzündung wurde ein „Stein“-CT des Abdomens durchgeführt. Eine Urolithiasis oder Harnabflussstörung konnten nicht dargestellt werden. In den basalen Lungenanschnitten fielen milchglasartige Veränderungen wie bei einer Covid Infektion auf (Kategrie 2, Cov19ind). Es wurde ein Thorax-CT angeschlossen. Dabei fielen die folgenden Befunde auf:

   


Fig 2: CT Thorax mit Covid-19 typischen Anzeichen einer pulmonalen Infektion

 In den basalen Abschnitten stellte sich sich in beiden Lungen ein Mischbild aus Dystelektasen sowie milchglasartigen Eintrübungen i.S einer stattgehabten Covid-19 Infektion dar.

Die Therapie startete mit einer gezielten Antibiose. Der PCT Test am Folgetag konnte keine aktive Infektion nachweisen. Der Patient verließ daraufhin die Klinik gegen ärztlichen Rat.

Diskussion:

Der erste bestätige Fall einer Infektion mit dem „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2) in Deutschland wurde am 28.01.2020 berichtet. Ab diesem Zeitpunkt breitete sich das Virus in ganz Deutschland pandemisch aus. Für die Schwere des Verlaufs ist der Lungenbefall entscheidend. Mit zunehmender Dauer der Pandemie wurde jedoch auch deutlich, dass sich Covid-19 erheblich von seinen Vorgängern SARS („severe acute respiratory syndrome“) und MERS („middle east respiratory syndrome“) unterscheidet. Zu den führenden Symptomen zählten zunächst Fieber, Halsschmerzen, Husten und Atemnot mit bevorzugter Manifestation hauptsächlich des Atemtrakts als Kardinalsymptome.

Im Verlauf der COVID-19-Pandemie erweiterte sich das klinische Spektrum jedoch um zusätzliche Oganmanifestationen wie Kopfschmerzen, abdominelle Symptomatiken, vaskulärer Befall, Durchfall, Geschmacks- und Geruchsverlust oder Hautveränderungen. Das Verständnis der Erkrankung wandelte sich dadurch zu einer Systemerkrankung mit einem sehr heterogenen Erscheinungsbild. Dabei können einerseits respirratorische Symptome im Vordergrund stehen aber auch nur die einzelnen Organmanifestationen.

In unserem Fall stellte sich ein junger Patient mit intermittierenden Flankenschmrzen und Bewegungsdrang vor. Differentialdiagnostisch kam zunächst eine nephrogene Ursache mit Steinpassage bei Urolithiasis in Frage. Dies wäre konsistent mit dem Nachweis von Blut im Sediment gewesen. Die erhöhten Entzündungswerte blieben unklar. Sonografie und das „Stein“ CT konnten eine Nephro-oder Urolithiasis nicht bestätigen. Stattdessen fielen basale pulmonale Residuen einer stattgehabten Covid-19 Infektion. Diese wiederum erklären die erhöhten Entzündungsparameter. Fieber bestand nicht und auch anamnestisch bestand kein Hinweis für eine durchgemachte Covid-19 Infektion. Der initiale PO-PCT Test fiel negativ aus.

Damit fällt unser Patient in die Gruppe von Patienten, bei denen aufgrund gastrointestinaler Symptome eher zufällig im abdominalen Computertomographie die Diagnose einer Covid 19 Infektion gestellt wird. Dabei waren nicht die abdominellen Veränderungen richtungsweisend sondern die basal angeschnittenen Lungenabschnitte.

Eine multizentrische Studie von Pan et al (2020)[i] fand dazu heraus, dass mehr als 50% der 204 Patienten über Verdauungssymptome wie Appetitlosigkeit, Durchfall, Erbrechen und Bauchschmerzen berichteten. Eine kürzlich durchgeführte Metaanalyse von 4234 Patienten ergab eine Prävalenz der GI-Symptome von 17,6% (Cheung 2020)[ii]. The high incidence could be confirmed by Schmulson (2020)[iii] in a review of the literature of 2800 cases that revealed 39% of abdominal symptoms in a Covid infection. Drei Fallberichte enthielten Hämatochezie als Symptom (Jaijakul 2020[iv], Carvalho 2020[v], Guotato 2020[vi]).

Auch Hormati (2020)[vii] berichtete über eine Anzahl von Patienten mit untypischen abdominellen Symptomen, bei denen auf dem Abdomen -CT basale Lungenveränderungen auffielen, die als Covid-19 Erkrankung bestätigt werden konnten.

Es gibt auch mehrere Fallberichte von Patienten, bei denen anfangs oder im Verlauf ihrer gesamten Infektion ausschließlich GI-Symptome auftreten (Pazgan-Simon 2020[viii], Xiao 2020, Yang 2020, Gahide 2020[ix]). Die größte Studie, eine Single-Center-Studie von Luo (2020)[x] zeigte, dass von 1141 bestätigten Fällen von COVID-19 16% der Erkrankten über GI-Symptome klagten. Viele Fälle von COVID-19 konnten dabei erst durch abdominale Bildgebungsscans gefunden werden (Sendi 2020[xi], Siegel 2020[xii], Kim 2020[xiii], Dane 2020[xiv]). Hossain et al (2020)[xv] fanden heraus, dass sich in mehr als 50% ihrer 119 Patienten in dem CT der Bauch- oder Wirbelsäule Anzeichen von COVID-19 zeigten.

Einige Autoren empfehlen Radiologen daher, die CT-Untersuchungen des Abdomens sorgfältig auf typische COVID-19-Befunde an den Lungenbasen zu überprüfen (Amaral 2020)[xvi].

Die kolikartige Symptomatik unseres Patienten wies zunächst auf eine Urolithiasis. Der umschriebene Schmerz mit hoher Intensität und intermittierendem Charakter mochte nicht zu einer Lungenbeteiligung durch Covid-19 passen. Dazu gibt es jedoch eine Untersuchung von Widyardhama (2020)[xvii], die über Muskelschmerzen zusammen mit einer COVID-19 Infektion berichtet. Andere Schmerzformen, z.B. Gelenkschmerzen, Magenschmerzen und Hodenschmerzen, werden genannt. Auch neuropathische Schmerzen können auftreten, sind jedoch eher selten. Es wird angenommen, dass COVID-19-Mechanismen im Nerven- und Bewegungsapparat durch die Expression und Verteilung des Angiotensin-Converting-Enzyms 2 (ACE-2) verursacht werden.

Als Standardverfahren zur Identifizierung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) bei Patienten mit klinischen Symptomen ist der Nachweis durch eine Abstrichuntersuchung aus dem Nasen-/Rachenraums mit RT-PCR-Testung (RT-PCR, Reverse-Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion, im Folgenden „PCR“) auf virale RNA (12). Sie bietet eine fast absolute Sicherheit, Virusmaterial zu identifizieren und damit die spezifische Diagnose einer SARS-CoV-2-Infektion zu stellen (3). Doch selbst bei korrekter Abstrichentnahme werden falsch-negative PCR-Resultate gesehen (45). Die Wiederholung des Tests ist daher bei suggestiver klinischer Symptomatik üblich.

Als weiteres tool steht die native Niedrigdosis-Computertomografie des Thorax (ND-CT) zur Behandlungssteuerung von Patienten mit COVID-19 zur Verfügung. Früh wurde fiel auf, dass die COVID-19-assoziierte Pneumonie im CT einen charakteristischen Befund erzeugt. Diese bestehen aus dichten, peripher gelegenen Milchglastrübungen oder einem Mischbild aus Milchglastrübungen und Konsolidierungen. Dabei können die Milchglastrübungen durch ein feines Netzmuster (Retikulationen) überlagert sein. Dieses wird als „Crazy Paving“ bezeichnet. Dabei können die Gefäße innerhalb der Verdichtungen oder periläsional dilatiert sein. Die Verdichtungen sind häufig rund, geografisch oder streifig. Es findet sich eine multifokale und bilaterale Verteilung mit einem bevorzugten Befall der posterioren Unterlappen. Differentialdiagnostisch erinnern die Veränderungen an eine (kryptogen) organisierende Pneumonie. Die Milchglasanteile treten mit zunehmendem Schweregrad in den Hintergrund und es überwiegen die Konsolidierungen bishin zum diffusen Alveolarschadens (diffuse alveolar damage, DAD) (Schaible 2020)[xviii].

Die Einteilung [xix]

Das native Niedrigdosis-CT (ND-CT) weist eine hohe Treffsicherheit der ND-CT für die Diagnostik von COVID-19 auf mit hoher Sensitivität (94,7 %) und Spezifität (91,4 %) gegenüber anderen Lungenerkrankungen derselben klinischen Symptomatik. Diese hohe Aussagefähigkeit wird durch ein Abstrichergebnis und den klinischen Verlauf erreicht. Aber auch andere Effekte spielen eine Rolle, z.B. die Prävalenz, saisonaler Viren wie z.B.  Influenza- oder RS-Viren, als Ursache von pneumonischer Veränderungen.

Obwohl die positive Abstrichuntersuchung/PCR die Diagnose COVID-19 mit absoluter Spezifität/PPV etabliert, besteht der Vorteil der ND-CT in einer schnelleren Verfügbarkeit ihrer Ergebnisse, i.d.R. im Median nach neun Minuten, wohingegen die Abstrichergebnisse erst nach einem Median von 8,3 Stunden verfügbar waren. Das ermöglicht in einer pandemischen Situation eine zügige Identifikation eines potenziell infektiösen Patienten.

Zur Klassifizierung kann die COV-RADS Einteilung herangezogen werden. Sie berücksichtigt die Ermittlung diagnostischer Kennzahlen. Eine Kategorie COV-RADS-2 ermöglicht dem Radiologen, eine Lunge mit eindeutig pathologischem Befund als test-negativ zu bezeichnen, wenn die Infiltrate nicht COVID-19-suspekt sind.

Fazit:

Abdominelle Beschwerden können eine atypische Präsentation von Covid-19 sein. Sie treten sehr heterogen in Erscheinung und können neben gastrointestinalen Symptomen auch das klinische Bild einer Nierenkolik imitieren. Bis zum Ausschluss einer Covid-19 Infektion sollte sich das medizinische Personal entsprechend schützen.