Donnerstag, 31. Juli 2014

Fall 37: Blickdiagnose Gicht

Klinisch handelt es sich um einen akuten Gichtanfall!
Sie können eine Labor mit Entzündungszeichen und Hanrsäure veranlassen, das nicht unbedingt wegweisend sein muss. Differenzialdiagnostisch könnten sie auch Rheumafaktoren bestimmen.

Die Gicht hat eine interessante Geschichte. Im Mittelalter galt sie als:



Gicht: „Die Krankheit der Säufer und Prasser“
Die Gicht ist so alt wie die Menschheit selbst, vermutet die Paläopathologie. Für Hippokrates (460–375 v. Chr.) war sie noch eine Krankheit der Greise, Reichen und Vornehmen. Später galt sie als Strafe für Prassen und Völlerei. Einst galt sie als Wohlstandskrankheit privilegierter Schlemmer und als die „Krankheit der Könige und des Adels. Heute dagegen ist sie in allen Schichten und Berufsgruppen. 

Der Anteil der Ernährung an der Entstehung der Krankheit wird heute als gering eingestuft. Bedeutender sind erbliche Enzymdefekte, Umweltfaktoren und Nierenschäden. Dennoch hält sich der Faktor Ernährung hartnäckig, denn in Hungerszeiten verschwindet sie fast völlig, um in Wohlstandszeiten wieder aufzuflammen. 

„Dreh den Schraubstock fest, so weit es geht, dann hast Du den Rheumatismus, dreh noch eine Windung weiter: Das ist die Gicht“, schrieb der amerikanische Arzt Morris Longstreth – selbst von der Gicht geplagt – im Jahr 1882. Thomas Sydenham (1624–1689), der „englische Hippokrates“ – seit seinem 30. Lebensjahr ebenfalls ein Opfer der Gicht – beschrieb in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts aus eigener Erfahrung die Symptome der Gicht und klagte, „dass er während eines Gichtanfalls nicht einmal das Gewicht der Bettlaken auf seinem schmerzpochenden Fuß ertrüge oder auch nur die Erschütterung des Fußbodens, wenn jemand munter darüber hinschreitet“.
Der Ausdruck Gicht kam vermutlich im 12. Jahrhundert auf. Die Herkunft des Begriffs ist aber nach wie vor umstritten. Von „ghida“, altangelsächsisch für Körperschmerz, über „gutta“, Tropfen, die auf die humoralpathologische Vorstellung von der Ablagerung böser Körpersäfte – im Fall der Gicht „Säuretropfen“ in den Gelenken – hinweist, reicht die Palette der Vermutungen bis zum althochdeutschen „gichten“, was so viel wie verhexen bedeutet und ebenfalls bereits einen Hinweis auf die damals vermutete Ursache der Krankheit gibt. 

Hippokrates, der die Gicht erstmals als eigenständige Krankheit erkannte, nannte das Leiden Podagra – griechisch für Fußzange oder Steigbügel. „Pfotengram“ bezeichnete treffend der Volksmund das qualvolle Leiden in Verballhornung des griechischen Begriffs. Zipperlein, diese heute eher spöttisch und harmlos klingende Bezeichnung für die keinesfalls lustige und äußerst schmerzhafte Erkrankung, erhielt sie im Mittelalter. Abgeleitet vermutlich vom „zippeltritt“, dem trippelnden, zappelnden Gang, der für einen akuten Gichtanfall – so er an seiner typischen Stelle, am Grundgelenk der großen Zehe, auftritt – charakteristisch ist. „Wenn ich die Gicht habe, dann ist mir zumute, als ginge ich auf meinem Augapfel“, beschrieb dies drastisch ein gichtgequälter Priester im 18. Jahrhundert. 

Unter den fragwürdigen und meist mehr oder weniger nutzlosen Methoden – ein Pflaster aus gestoßener Eichel in Ochsengalle, Anrufung des Schutzpatrons Andreas, „hünig wasser statt wein“, pflanzliche Einreibungen mit diversen medizinischen Gebräuen, alchemistische Goldessenzen, Gichthunden, die nächtens auf das schmerzende Glied gelegt wurden, um die Krankheit auf das Tier zu übertragen, elektrische Rochen, die dem Patienten an den Schläfen befestigt wurden, und diverse Diäten –, mit denen jahrhundertelang Ärzte, Volksmediziner, Alchemisten und Priester die Gicht zu lindern oder zu vertreiben suchten, fanden sich aber auch bereits sinnvolle Ansätze: So im Papyrus Ebers (datiert auf etwa 1550 v. Chr.) – die Gicht wird namentlich allerdings nicht erwähnt – Rezepte zur Herstellung von Heilmitteln aus der Herbstzeitlosen. Zur Behandlung eines akuten Gichtanfalls wird auch heute noch Colchizin, das im Samen der Herbstzeitlosen (Colchicum autumnale) enthalten ist, eingesetzt. Dioskurides, der berühmteste Pharmakologe des Altertums, behandelte im ersten Jahrhundert Fieber, Schmerzen und Gicht mit Weidenrinde – der 1829 aus der Weidenrin-de isolierte Wirkstoff Salicin war ja das Modell für das später synthetisch hergestellte Aspirin©

Colchizin, der lang unerkannte Wirkstoff der Herbstzeitlosen
Alexander von Tralles (zirka 525–605), ein griechischer Arzt des sechsten Jahrhunderts, der in Rom praktizierte, hatte sensationelle Erfolge mit einem Rezept, das er aus Anis, Rhabarber, Kümmel, Essig, Wolfsmilch, Ingwer, Dill, Pfeffer, Aloe und – vermutlich zufällig – Colchizin gewann. Zufällig deshalb, weil er bald darauf Colchizin, das einzig wirklich wirksame Agens dieser Rezeptur gegen die Gicht, aufgrund seiner abführenden Wirkung aus der Rezeptur entfernte. Wegen der vermutlich gravierenden Nebenwirkungen des Giftes der Herbstzeit-losen und den noch immer vorherrschenden mystischen Vorstellungen über die Entstehung von Gichtanfällen geriet Colchizin aber lange Zeit in Vergessenheit.
Erst Anton von Stoerk (1731– 1803), ab 1760 „k.u.k. Leibmedicus in Wien“ – er erforschte erstmals umfassend die Wirkungen und Nebenwirkungen vieler Heil- und Giftpflanzen an Gesunden und Kranken – setzte 1763 die therapeutisch wirksame Dosis für das Alkaloid Colchizin fest. Seither ist das Gift der Herbstzeitlosen ein Standardheilmittel gegen den akuten Gichtanfall. 



Literatur:
http://www.springermedizin.at/artikel/1635-gicht-podagra-zipperlein

Montag, 28. Juli 2014

Fall 37: Blickdiagnose des geschwollenen Fußes

Zur Aufnahme kommt ein 68-jähriger rüstiger Rentner. Er klagt über bohrende Schmerzen im linken Fuß. Sie bestünden seit 2 Tagen. ein Trauma wird verneint. Auch bestehen keine Allgemeinsymptome mit Fieber oder Gelenkschwellung an anderer Stelle. Ähnliche Beschwerden hätten noch nie bestanden.

Klinisch findet sich dieses Bild:



Eigenanamnese:
Vorerkrankungen werden keine relevanten außer einem Hypertonus angegeben. ASS Medikation bei bekannter KHK.



Ihre Blickdiagnose?
Was veranlassen Sie?

Dienstag, 15. Juli 2014

Der unkomplizierte Leistenbruch

Der unkomplizierte Leistenbruch

Die Leistenbrüche sind die häufigsten Brüche der Bauchwand. Männer sind mit 90% häufiger betroffen als Frauen. Es handelt sich um Verlagerung von Bauchhöhleninhalt außerhalb der Bauchhöhle.
 
Zeitgenössicher Stich 1559
Entstehung:
Bei Embryos besteht noch eine natürliche Verbindung zwischen Bauchhöhle und Leiste (Processus vaginalis testis), die sich nach der Geburt schließt. Bleibt sie bestehen, spricht man von einem angeborenen Leistenbruch. Sie tritt bei Jungen häufiger als bei Mädchen auf. Betroffen sind etwa 1–4% der Kinder beziehungsweise 20% der Frühgeborenen mit einer erbliche Veranlagung. Die Darmschlingen reichen von der Bruchpforte aus durch den Leistenkanal (in dem beim Jungen der Samenstrang verläuft) unter das Leistenband. Dieser Leistenbruch kann beim Jungen bis in den Hodensack (Skrotalhernie) reichen und dort die Hoden beeinträchtigen. Beim Mädchen daggen kann sich der Leistenbruch bis in die Schamlippen erstrecken (Vaginalhernie). Gelangt bei Jungen statt der Darmschlingen Flüssigkeit aus dem Bauchraum in den Hodensack, spricht man von einem Hodenwasserbruch (Hydrozele). Dieser bildet sich allerdings im Gegensatz zum Leistenbruch meist von selbst zurück. Eltern fällt i.d.R. eine Vorwölbung im Bereich der Leiste(n) auf, die beim Presen hervortritt, aber i.d.R. schmerzlos ist.
Im Erwachsenenalter kann ein schwächeres Bindegewebe die Entstehung des Leistenbruches begünstigen. Dies ist bei älteren Menschen häufig. Bei jungen Männern dagegen entsteht ein Leistenbruch oft bei übermäßiger körperlicher Anstrengung, z. B. bei schwerem Heben oder Pressen.

Symptome:
Es besteht überwiegend eine schmerzlose Schwellung in der Leiste. Sie ist i.d.R. weich und gut wegdrückbar. Brüche können unterschiedlich ausgeprägt sein und von einem kaum sichtbaren Befund bishin zu einer tastbare Schwellung reichen, die sich bis in den Hodensack ausprägt (sog. Skrotalhernie). Ferner könnne belastungsabhängige Beschwerden, selten Schemrzen, bestehen, die bei Druckerhöhung im Bauch entstehen. Dazu gehören neben Heben, Husten und Niesen auch schon das Pressen beim Stuhlgang.

Nehmen Beschwerden kurzfristig an Intensität zu oder wird die tastbare Vorwölbung druckschmerzhaft, kann eine Einklemmung vorliegen. Dabei gleitet der Bruch nicht mehr spontan zurück und ist in seiner Duchblutung gefährdet. Kommt es zu einer Strangulation des Bruchinhaltes oder zu einem Verlust der Durchlutung, liegt eine Inkarzeration vor. Diese kann mit Allgemeinsymptomen, Stuhlentleerungsstörungen oder akuten Schmerzen einhergehen. Oftmals beginnt sich die Haut über der Schwellung auch zu röten.

Diagnose
Die Diagnose wird durch die körperliche Untersuchung gestellt. Dabei läßt sich mt dem Finger eine Lücke in der Bauchwand tasten. Es lassen sich auch Aussagen machen, ob es sich um einen direkten oder indirekten Bruch handelt. Dem Untersucher schlägt dabei der Bruchsack beim Husten gegen die Fingerspitze. Er sollte in der Lage sein, den Bruch zu tasten und ggfs. in die Bauchhöhle zu verlagern. Gelingt dies nicht, handelt es sich um einen eingeklemmten Bruch, wodurch die Indikation zur OP dringlich zu stellen ist.
Zusätzlich kann eine Ultraschalluntersuchung beitragen, differentialdiagnostische Klarheit zu schaffen.

Therapie:
Leistenbrüche heilen nie spontan aus. Konservative Maßnahmen gibt es nicht. Dennch sind "Leistenbänder" die noch am häufigsten verkauften Hilfsmittel. Sie sollen den Bruchinhalt zurückdrängen. Leider kommt es hierbei oft zu einer mechanischen Schädigung der Haut.

Indikation zur Operation:
  • Größenzunahme
  • Unmögliche Reposition
  • Akute Einklemmung
  • Inkarzeration
Daher ist die therapeutische Empfehlung stets die operative Versorgung.


Ziel der Behandlung ist der dauerhafte Verschluss der Bruchlücke. Dies wird operativ erreicht.  Es gibt unterschiedliche Methoden mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen. Insgesamt konkurrieren folgende Verfahren:
  
  • Offene Schnittoperation:
Über eine 5 – 7 cm lange Hautinzision mit Durchtrennung und Rekonstruktion der Bauchwandschichten im Bruchbereich wird durch Nähte oder Einnähen eines Kunststoffnetzes der Bruch behandelt (Lichtenstein).

  • Endoskopische / laparoskopische Operation:
Ein minmal-invasiver Eingriff, der auch als "Schlüssellochoperation" bezeichnet wird. Durch 3 kleine Minischnitte unter Kamerasicht von der Bauchhöhle aus oder vor dem Bauchfell entlang wird ein ausreichend großen Kunststoffnetz platziert.
  • Konventionelle Operation:
Siehe "offene" Operation jedoch mit Verzicht auf ein Kunststoffnetz, da die Nähte des Kunststoffnetzes Spannungen erzeugen können (Shouldice/Bassini)

  • Spannungsfreie Operation:
Dieses Prinzip verfolgt die Einnaht von Kunststoffnetz mittels offener Schnittoperation oder die breitflächige Überdeckung der Bruchpforte mit einem Kunststoffnetz in endoskopisch/laparoskopisch Technik. Die „spannungsfreie“ Reparation mit Einsatz eines Netzes kann von innen/hinten (minimal-invasiv, posterior) entweder über den transabdominellen (durch die Bauchhöhle) Zugang (TAPP=Transabdominale Präperitoneale Patchplatik, laparoskopische Hernioplastik) oder über ein vollständig extraperitoneales Vorgehen (TEP = Totale Extraperitoneale Patchplastik, endoskopische Hernioplastik) ohne Eröffnung der Bauchhöhle erfolgen.  Beide minimal-invasive Techniken (TAPP und TEP) unterscheiden sich nur bezüglich des Zugangs zur Leistenregion, die Reparation selbst ist gleich.

Die laparoskopische Technik (TAPP,TEP) ist spannungsfrei, auch unter Belastung, vorausgesetzt alle möglichen Bruchpforten werden mit einem ausreichend großen Netz und einer Überlappung von mehr als 3-5 cm abgedeckt. Das erfordert eine Mindestgröße von 10×15 cm. Der Bauch-innendruck wird auf eine große Fläche verteilt und der dahinterliegende Schwachpunkt (Leistenkanal) entlastet. Eine Fixierung des Netzes ist nicht erforderlich und wird nur dann angewendet, um bei großen Brüchen ein Verrutschen des Netzes unmittelbar während bzw. nach der Operation zu verhindern.  Das Netz verklebt schon wenige Stunden nach der OP mit der Umgebung, sodass ein Verrutschen nicht mehr möglich ist.


Die Indikation für das Vorgehen wird individuell und in Abhängigkeit vom Befund und des Patienten gestellt. Das Risiko für ein Rezidiv liegt bei insgesamt ca. 5%. Die unterschiedlichen Verfahren schneiden dabei auch unterschiedlich ab.

Derzeit werden laproskopische Verfahren bevorzugt angewandt.  Die mittlere Operationszeit liegt dabei 40 Minuten, die Komplikationsrate bei 2.5%, die Dauer der Arbeitsunfähigkeit bei 14 Tage und die Wiederholungsbruchrate (Rezidiv) unter 1%.

Aufzuklären ist aber auch über die Gefahr von Blutungen, Nachblutungen, Infektionen, Organ- und Nervenschäden. Postoperativ muss in Abhängigkeit vom Verfahren mit einer Rekonvaleszenz gerechnet werden. Dabei sollten körperbetonte Tätigkeiten oder Sportarten gemieden werden.