Sonntag, 31. August 2014

Fall 38: Der Akute Bauch: Laktoseintoleranz

Vertiefen Sie Ihre Anamnese. Sie werden merken, dass die Patientin keine Milchprodukte mag und verträgt. Der Milchreis war ein Ausrutscher...

Denken Sie an eine Laktoseintoleranz!



75 Prozent der erwachsenen Weltbevölkerung können keine Milch verdauen. Ihnen fehlt das Enzym Laktase, das den Milchzucker Laktose spaltet. Damit gelangt die Laktose als ganzes Molekül in den Darm, wo es durch die Bakterien vergoren wird. Als Gärungsprodukte entstehen Laktat (Milchsäure) und die Gase Methan (CH4) und Wasserstoff (H2). Die Gase führen unter anderem zu Blähungen, die osmotisch aktive Milchsäure zu einem Wassereinstrom in den Darm (osmotischer Diarrhoe). Letzteres resultiert in Durchfall.. Im Erwachsenenalter kann die Fähigkeit zum Spalten der Laktose verloren gehen. Der Mensch entwickelt eine Laktoseintoleranz. Er verträgt dann weder Kuh- noch Ziegen- oder Schafsmilch.

Die meisten Europäer dagegen können aufgrund einer Genmutation ein Leben lang Milch trinken, ohne Bauchschmerzen zu bekommen. Durchschnittlich 90 Prozent der erwachsenen Nordeuropäer vertragen Milch. In Westeuropa, Australien und Nordamerika sind es ca 85% (bei hellhäutigen Menschen). Im Süden haben mehr als zwei Drittel der Südeuropäer eine Laktoseintoleranz, in Afrika 90%, und in Asien vertragen nur etwa sechs Prozent der Bevölkerung Milch.

Die Ursache dieser Unterschiede ist historisch begründet. Die ersten Milchbauern kamen vor etwa 7.500 Jahren aus Südosteuropa oder Anatolien nach Nordeuropa kamen. Sie hatten über viele Jahrtausende das Rind domestiziert. Milch konnten sie aber nur als Joghurt oder Kefir verdauen – beides enthält kaum noch Milchzucker. Die ersten Milchtrinker dagegen fanden sich im heutigen Slowenien, Österreich und Ungarn. Dank einer Genmutation auf dem Chromosom 2 konnten sie Milch „zerlegen“. Es brachte ihnen den Vorteil, ihre Kinder nach dem Abstillen mit Kuhmilch füttern zu können. Die Säuglingssterblichkeit ging zurück und ihnen standen mehr Helfer auf den Feldern zur Verfügung, und sie mussten weniger hungern. Das könnte eine biologische Selektion verstärkt haben. Die Zahl der Milchtrinker scheint innerhalb von 3.000 Jahren von null auf 50 Prozent der Bevölkerung angestiegen zu sein. Eine enorm schnelle Veränderung, für die die Wissenschaft bisher kaum Erklärungen hat. Eine mögliche Erklärung, warum sich die Milchtrinker so schlagartig durchsetzten, könnte höchstens eine bisher unbekannte Völkerwanderung im 4. Jahrtausend vor Christus liefern. Doch dafür gibt es keine Belege. Fest steht jedoch, dass die Fähigkeit, Milch zu verdauen, die »stärkste evolutionäre Kraft war, die je im Genom der Europäer untersucht worden ist«.


Ursachen für eine später einsetzende („sekundäre“) Intoleranz sind:

·        Erkrankungen des Verdauungssystems, besonders während der Kindheit, können die laktaseproduzierenden Zellen im Dünndarm so schädigen, dass vorübergehend die Laktaseproduktion beeinträchtigt ist; in seltenen Fällen kommt es zu einer lebenslangen Laktoseintoleranz.
·        bakterielle oder virale Gastroenteritis
·        chronische Darmerkrankungen
·        Zöliakie/Sprue
·        intestinales Lymphom
·        partielle oder totale Gastrektomie
·        Kurzdarmsyndrom
·        Blindsacksyndrom/großes Duodenaldivertikel
·        Chemotherapie/Strahlentherapie
·        Mangelernährung
·        chronischer Alkoholmissbrauch
·        Dünndarmparasiten aus der Gruppe der Giardien (wie Giardia intestinalis)


Für eine Selbstdiagnose von Laktoseintoleranz gibt es zwei Möglichkeiten:

·        Diättest: Eine mehrtägige konsequente Diät ohne Laktose, vor allem ohne Milch, Rahm und „versteckte“ Laktose (viele Fertigprodukte enthalten Milchzucker oder Milchbestandteile). Treten in dieser Zeit keine Symptome mehr auf, ist eine Laktoseintoleranz wahrscheinlich. Ein Expositionstest wird dann Klarheit schaffen.
·        Expositionstest: Nach einigen Tagen Laktose-Verzicht wird ein Glas Wasser mit 50 bis 100 g gelöstem Milchzucker (gibt es in Drogerien, Reformhäusern und Apotheken) getrunken. Treten danach innerhalb von einigen Stunden die typischen Symptome auf, besteht eine Laktoseintoleranz.

Häufig ist die Diagnose aber nicht eindeutig, weil nur eine unvollständige Intoleranz besteht. Diese nimmt bei der häufigeren Form im Verlauf des Lebens zu, nicht bei der angeborenen Mutation für das Enzym. Folgende Tests sind wesentlich aufwändiger:

·        H2-Atem-Test: Dieses Verfahren basiert auf dem Nachweis von Wasserstoff (H2) in der Ausatemluft. Es ist ein indirekter Nachweis des Laktasemangels. Bei der bakteriellen Aufarbeitung der Laktose im Dickdarm entsteht neben Milchsäure, Essigsäure und Kohlenstoffdioxid auch gasförmiger Wasserstoff. Dieser gelangt über das Blut in die Lungen und wird abgeatmet. Da normalerweise kein Wasserstoff in der Ausatemluft vorhanden ist, deutet ein positives Ergebnis auf eine mögliche Laktoseintoleranz hin. Gemessen wird bei diesem Test die Wasserstoffkonzentration vor und nach der oralen Verabreichung einer definierten Menge an Laktose (Milchzucker). Als positiv gilt der Befund, wenn das Messergebnis vor und nach der Laktosegabe einen Unterschied von 20 ppm Wasserstoff aufweist. Allerdings führt dieser Test bei jedem fünften Laktoseintoleranten zu einem negativen Ergebnis: Diese Patienten haben in der Darmflora bestimmte (harmlose) Bakterien, die Methan erzeugen, wodurch der Nachweis des Wasserstoffs nicht möglich ist.

·        Blutzucker-Test: Dieses Verfahren basiert auf der Messung des Glukose-Gehalts im Blut (venöses Blut oder Kapillarblut), die Laktaseaktivität wird also über einen Anstieg der Konzentration an Glukose im Blut festgestellt. Da normalerweise Laktose in Galaktose und Glukose gespalten wird, müsste der Glukosewert (Blutzuckerwert) ansteigen, wenn Laktose eingenommen wird. Ist dies nicht der Fall, liegt der Verdacht einer Laktoseintoleranz nahe. Auch bei diesem Test nimmt der Patient auf nüchternen Magen eine definierte Menge an Laktose (üblicherweise 50 Gramm aufgelöst in einem halben Liter stillem Wasser) zu sich. Vor der Einnahme, sowie zwei Stunden lang alle 30 Minuten nach der Einnahme erfolgt eine Blutprobe und es wird der Blutzuckergehalt gemessen. Normal ist ein Anstieg von über 20 mg/dl (1,11 mmol/l) Glukose in venösem Blut oder von 25 mg/dl in Kapillarblut. Pathologisch ist ein Anstieg von unter 10 mg/dl in venösem Blut. Falsch negative Ergebnisse sind bei Patienten mit latentem oder manifestem Diabetes mellitus möglich.

·        Gentest: Seit kurzem kann bei Verdacht auf Laktoseintoleranz ein Gentest auf den LCT-Genotyp durchgeführt werden. Als Untersuchungsmaterial genügt ein Wangenschleimhautabstrich.
·        Biopsie: In seltenen Fällen muss eine Gewebeprobe aus dem Dünndarm entnommen und untersucht werden.



Literatur:
ZEIT Wissen 5/2011

Samstag, 23. August 2014

Smoking kills - aber wie schnell?

Smoking kills - aber wie schnell ?

Ein unsolider Lebenswandel verkürzt dei Lebenserwartung. Aber wie viele Jahre kosten Tabak, Alkohol und schlechtes Essen genau? Wissenschaftler des DKFZ haben das nun ausgerechnet.

Eine Gruppe von Epidemiologen um Prof. Rudolf Kaaks vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg haben die Auswirkungen verschiedener ungesunder Lebensweisen untersucht. Sie benutzten dafür Daten von knapp 12.000 Männern und rund 14.000 Frauen, die sich an der „European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition“(EPIC)-Studie beteiligt hatten. Anschließend stellten sie die Quittung aus. Die Restlebenserwartung von 40-Jährigen (47,5 Jahre für Männer, 48,7 Jahre für Frauen, jeweils einen gesunden Lebensstil vorausgesetzt) verkürzt sich demnach um:
  • 9,4 Jahre (Männer) bzw. 7,3 Jahre (Frauen) für starke Raucher (> 10 Zigaretten/Tag);
  • 5,3 bzw. 5,0 Jahre für schwache Raucher (≤ 10 Zigaretten/Tag);
  • 3,5 bzw. 2,1 Jahre für einen Body-Mass-Index (BMI) < 22,5 kg/qm;
  • 3,1 bzw. 3,2 Jahre für einen BMI ≥ 30 kg/qm;
  • 1,4 bzw. 2,4 Jahre für hohen Verzehr (≥ 120 g/Tag) von rotem oder verarbeitetem Fleisch;
  • 3,1 Jahre (Männer) für starken Alkoholkonsum (> 4 Drinks/Tag, also mehr als 48 g reinen Alkohols täglich; bei Frauen wirkt sich starkes Trinken rechnerisch offenbar nicht negativ aus, starker Konsum liegt hier aber schon bei mehr als einem Drink pro Tag vor).
Es geht noch schlimmer:
Noch schlimmer wird es, wenn sich die Laster kombinieren. Ein 40-jähriger Mann, der stark raucht, adipös ist, viel Alkohol trinkt, sich wenig bewegt, viel rotes Fleisch, aber wenig Obst und Gemüse isst, verliert in der Summe 18,5 Jahre und hat eine Restlebenserwartung von 29 Jahren. Frauen, die den gleichen Gewohnheiten frönen, vermindern ihre Restlebenserwartung um 15,7 auf 33 Jahre.






































Fazit:
Der Rat für diejenigen, die ihre verbleibende Lebenserwartung maximal ausschöpfen wollen, lautet demnach: Raucht nicht, trinkt wenig, haltet den BMI zwischen 22,5 und 24,9, bewegt euch, esst wenig Fleisch und viel Obst und Gemüse. Laut den Heidelberger Kalkulationen haben 40-jährige Männer und Frauen dann gute Chancen, 87 bzw. fast 89 Jahre alt zu werden.


Freitag, 22. August 2014

Fall 38: Der akute Bauch

In der Ambulanz stellt sich eine schlanke 42-jährige Patientin vor. Sie habe seit 2 Stunden heftige Bauchschmerzen, die nach dem Mittagessen eingesetzt hätten. Es besteht keine Übelkeit, kein Erbrechen, keine Stuhlunregelmäßigkeiten. Zum Essen habe es Brot mit Milchreis gegeben.

Eigenanamnese:
Keine Vorerkrankungen, keine Medikamente, Appendektomie als Kind.

Körperliche Untersuchung:
Patientin in gutem AZ und schlankem EZ, Abomen gebläht mit gespannten Bauchdecken. Keine Abwehr, kein Peritonismus, Darmgeräusche lebhaft. Bruchpforten geschlossen. Rektal lehmfarbener Stuhl.

Sono:
Meteorismus mit eingeschränkter Beurteilbarkeit. Nieren und Oberbauchorgane unauffällig. Gallenblase ohne Steine. Keine Kokaden. Keine Flüssigkeit.

Labor:
Leukos und CRP normwertig.


Woran denken Sie?

Montag, 18. August 2014

Akuter Rückenschmerz: Paracetamol nicht besser als Placebo

Akuter Rückenschmerz: Paracetamol nicht besser als Placebo


Bei akutem Rückenschmerz empfehlen Leitlinien die Gabe von Paracetamol. Eine Studie zeigt jedoch, dass PCM nicht besser ist als Placebo
 
Bei akutem Rückenschmerz lindert Paracetamol die Schmerzen nicht besser als ein Scheinpräparat. Das legen die Ergebnisse der ersten placebokontrollierten Studie dazu nahe. Dabei ist es offenbar auch egal, ob das Analgetikum regelmäßig oder bei Bedarf eingenommen wird.

Bereits im vergangenen Jahr ist das Konzept der PACE-Studie (Paracetamol for Low-Back Pain Study) der Öffentlichkeit vorgestellt worden.
Jetzt haben australische Pharmakologen die Ergebnisse dieser ersten randomisierten und placebokontrollierten Studie präsentiert, an der mehr als 1600 Patienten mit akuten Rückenschmerzen teilgenommen hatten. Primärer Endpunkt war die Dauer bis zur deutlichen Schmerzlinderung oder -freiheit nach Einnahme von Paracetamol oder einem Scheinpräparat. Außerdem wurden alle Patienten angehalten, tagsüber in Bewegung zu bleiben. Zudem wurde ihnen versichert, dass ihre Erkrankung eine gute Prognose hat.

Schmerzfrei  nach 17 Tagen
Insgesamt 550 Teilnehmer nahmen das Analgetikum regelmäßig bis zu vier Wochen lang dreimal täglich (maximal 3990 mg) ein. 549 Teilnehmer nahmen Paracetamol bei Bedarf (maximal 4000 mg des Wirkstoffs pro Tag) und 553 Patienten erhielten ein Scheinpräparat. Das Follow-up lag bei drei Monaten. 

Die mediane Dauer bis zur fast vollständigen oder kompletten Schmerzfreiheit betrug bei regelmäßiger Einnahme sowie bei Bedarf 17 Tage, in der Placebogruppe 16 Tage – kein signifikanter Unterschied. Dabei hatten die Patienten einen VAS-Wert (visuelle Analogskala: 0–10) zwischen 0 und 1. Nach zwölf Wochen hatten bereits 85% der Patienten keine Rückenschmerzen mehr.

Keine Verzerrung durch unerlaubte Mittel
Auch die Zahl der täglich eingenommenen Tabletten unterschied sich zwischen den Gruppen mit median 4 bei regelmäßiger Einnahme, 3,9 bei Einnahme nach Bedarf sowie 4 bei Einnahme eines Scheinpräparates nicht signifikant. Eine Tablette in den beiden Verumgruppen enthielt jeweils 665 mg Paracetamol.

Bei den sekundären Endpunkten der Studie zwischen den drei Gruppen konnten keinen signifikanten Unterschied ausgemacht werden. Dazu zählten die Lebens- und die Schlafqualität, Bewegungseinschränkungen und die Gesamtsymptomatik der Rückenschmerzpatienten. Auch die unerwünschten Wirkungen waren nicht unterschiedlich. Manche Patienten nahmen während der Studie unerlaubt noch andere Mittel ein. Die Wissenschaftler gehen aber davon aus, dass dies das Gesamtergebnis der Studie nicht verzerrt hat.

Die Studienergebnisse zeigen, dass die Verwendung von Paracetamol bei akuten Rückenschmerzen fraglich ist. Dennoch müssten die Daten in anderen Studien bestätigt werden, bevor entsprechende Leitlinien geändert würden.

In Deutschland heißt es etwa in der „Nationalen VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz“, dass „bei leichtem bis moderatem akutem nichtspezifischem Kreuzschmerz ein Behandlungsversuch mit Paracetamol bis zu einer maximalen Tagesdosis von 3 g“ unternommen werden kann. Der Behandlungserfolg sei kurzfristig zu überprüfen.


Williams CM et al. Efficacy of paracetamol for acute low-back pain: a double-blind, randomised controlled trial. Lancet 2014; online 24. Juli.  doi: 10.1016/S0140-6736(14)60805-9