Dienstag, 16. Dezember 2014

Grad und Lokalisation entscheiden über Infektionsrisiko offener Frakturen

Ob sich nach einem offenen Knochenbruch eine tiefe Infektion ausbildet, hängt wesentlich vom Grad und dem Ort der Fraktur ab. Die Dauer bis zur Op. bzw. Antibiotikagabe ist laut Ergebnissen einer kanadischen Studie weniger erheblich.

Gängigen Empfehlungen gemäß sollten offene Frakturen binnen sechs Stunden einem chirurgischen Débridement und einer Lavage unterzogen, antibiotisch versorgt und stabilisiert werden. Eine Reihe von Studienergebnissen weist allerdings darauf hin, dass ein Überschreiten der Sechs-Stunden-Grenze die Rate tiefer Infektionen nicht erhöht.

Um die infektbegünstigenden Faktoren bei offenen Frakturen genauer zu untersuchen, hat eine Gruppe von Traumachirurgen der University of Alberta in Edmonton, Kanada, in den Jahren 2001 bis 2009 insgesamt 736 Patienten mit 791 offenen Frakturen in eine prospektive Kohortenstudie aufgenommen. 52% der Brüche waren Tibia-/Fibula-Frakturen. In 36% der Fälle war eine obere Extremität betroffen, bei 12% handelte es sich um Femurfrakturen.

46 Brüche (6%) zogen eine tiefe Infektion nach sich. Definitionsgemäß bedeutete dies, dass ein ungeplantes Débridement nötig war und/oder die antibiotische Behandlung über den definitiven Wundverschluss hinaus fortgeführt werden musste. Bloße phlegmonöse Entzündungen oder Infektionen des Pin-Verlaufs zählten nicht als tiefe Wundinfektion.

Offene Unterschenkelfrakturen besonders gefährdet
Die Zeit, die bis zur operativen Versorgung verging, hing nicht mit dem Risiko für infektiöse Komplikationen zusammen. Sie betrug im Median 9 h 4 min bei den Patienten ohne und 7 h 39 min bei den Patienten mit Infektion. Auch die Zeit bis zur Gabe von Antibiotika war kein entscheidender Parameter. Allerdings dauerte es in den meisten Fällen nur drei bis vier Stunden, bis die Patienten antibiotisch wirksame Substanzen erhielten.

Als wichtiger Faktor erwies sich der Ort der Fraktur: Für Tibia-/Fibula-Brüche lag das Infektionsrisiko signifikant höher als für andere Lokalisationen (Odds Ratio 3,91). 9% dieser Frakturen mündeten in eine Infektion.

Gustilo-Grad ist wichtig
Auch die Frakturschwere beeinflusste das Infektionsrisiko. Statistisch bedeutsam wurde dieser Zusammenhang ab dem Gustilo-Grad III, also bei offenen Brüchen mit ausgedehnten Weichteilverletzungen (Odds Ratio 6,37 für Grad IIIA, 12,87 für Grad IIIB/C). 37% dieser Brüche infizierten sich. Der höhere Verletzungsgrad könnte auch dazu beigetragen haben, dass Frakturpatienten mit späterer tiefer Infektion im Median rascher in den OP gekommen waren.

Donald Weber, Erstautor der Studie, will zwar nicht dazu raten, bei offenen Frakturen verzögert und elektiv 
vorzugehen. Allerdings weist er darauf hin, dass die Infektionsraten besonders bei Grad-I-(1%) und Grad-II-Frakturen (4%) sowie bei offenen Armbrüchen (1,5%) relativ niedrig waren. Daher müsse man womöglich nicht in jedem Fall noch mitten in der Nacht operieren, sondern könne bis zum Morgen warten, wenn die Belegschaft des OP Tagesstärke erreiche.




 Weber D et al. Time to Initial Operative Treatment Following Open Fracture Does Not Impact Development of Deep Infection: A Prospective Cohort Study of 736 Subjects. J Orthop Trauma 2014; 28: 613–619; doi: 10.1097/BOT.0000000000000197