Montag, 29. August 2022

Fall 77: Die komplizierte Ellenbogenluxation: CT und Therapie

 Diagnose:

1. Dorsale Ellenbogenluxation

2. Transscaphoidale perilunäre Luxation (DeQuervainscher Verrenkungsbruch)

Das Röntgen zeigt eine perilunäre Luxation. Zusätzlich besteht ein Abriss des Processus styloideus radii sowie eine Scaphoidfraktur im mittleren Drittel. Der Carpus ist um das Lunatum dorsalwärts luxiert. Das Lunatum "steht leer" ohne Artikulation mit dem Scaphoid. An seinem distalen palmaren Pol stellt sich zusätzlich eine Frakturlinie dar.

Therapie:

Es erfolgt in Narkose die Reposition des Ellenbogens. Dieser stellt sich bis auf eine ulnare 1°ige Instabilität als ansonsten stabil heraus. Am Handgelenk kann die Luxation im Längszug reponiert und stabil retiniert werden. Es wird ein Oberarmcast angelegt.

Postinterventionell ist die neurologische Symptomatik sofort rückläufig. Es schließt sich nun die weiterführende Diagnostik mit einem CT des Handgelenkes an.

 

 

Im CT bestätigt sich die Fraktur durch das Scaphoid. Es besteht eine Diastase mit zusätzlichem Fragment. Dar Processus styloideus ist frakturiert mit Dislokation um ca 1mm. Und das Lunatum zeigt eine schollige palmare Asprengung. Insgesamt ist der Carpus reponiert. Der Frakturverlauf zeigt insgesamt die einwirkende Kraftlinie.

 Diskussion:

Bei der perilunären Luxation verschiebt sich die distale Reihe des Carpus mit dem Os triquetrum und Os scaphoideum gegen das Os lunatum. Dabei verbleibt das Lunatum in seiner normalen Position. Liegt zusätzlich eine Skaphoidfraktur vor, spricht man von einer De-Quervain-Luxationsfraktur.

Als Ursache werden Hochrasantztrauma mit Sturz auf das überstreckte (dorsal-flexierte) Handgelenk beschrieben. Häufig ist auch der Proc. styloideus radii/ulnare, das Os scaphoideum (De-Quervainfraktur) oder das Os capitatum mitbetroffen.

Die Klassifikation erfolgt nach Tröger oder Mayfield.

Die häufigste Form ist die dorsale perilunäre  Luxation (90%). Daneben finden sich noch die palmare perilunäre Luxation, transstyloperilunäre Luxation und die transscaphoido-transcapitato-perilunäre Luxation. Bei einer Fraktur des Os scaphoideum und Luxation des Os lunatum spricht man von einer De-Quervain-Luxationsfraktur.

Es imponiert eine Schwellung und Verformung des Handrückens mit einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung, evtl. auch -aufhebung bishin zur Bajonettstellung aufgrund der Verschiebung der Handwurzelknochen gegen das Os lunatum. Bei palmarer Luxation sind neurologische Symptome mit Parästhesien der palmaren ersten drei Finger durch Bedrängung des N. medianus häufig. Bei einer  Dorsalluxation sind Strecksehnenrupturen beschrieben. Auf die Durchblutung ist zu achten, die bei Kompromittierung in möglichen Nekrosen resultieren können

Die Diagnose erfolgt nach klinischer Untersuchung (Cave! Durchblutung-Sensibilität-Motorik-Kontrolle) durch das Röntgen des Handgelenks in 2 Ebenen. Hier fallen folgende Merkmale auf:

1. Das Os Lunatum weist eine atypische Dreiecksform auf.

2. Die Karpalbögen (= Gilula-Linien) sind unterbrochen.

3. Im seitlichen Strahlengang erscheint die luxierte Stellung des Os lunatum nach palmar oder dorsal.

Therapie: 

Eine Luxation ist eine Notfallsituation! Primär erfolgt der Versuch einer geschlossenen Reposition in Plexusanästhesie oder Vollnarkose. Im Prinzip wird die betroffene Hand im Längszug  unter BV Kontrolle reponiert. Dies kann nach einer Plexusanästhesie im Aushang mit Mädchenfängern erfolgen (über 20 Minuten mit einem Gewicht von 4-6kg) oder in Narkose manuell über ein Hypomochlion.

 Nach Reposition wird ein Oberarmcast mit Daumeneinschluss angelegt. Dieser bleibt für 6 Wochen und kann anschließend für nochmals 6 Wochen auf einen Unterarmcast mit Daumeneinschluss gewechselt werden.

Einen Notfallindikation für eine offene Reposition besteht bei neurologischen Defiziten. Hier wird über einen dorsalen Zugang, bei Nervus Medianus-Irritation über einen volaren Zugang vorgegangen und die Fixation mit Kirschnerdraht angeschlossen.

Bei misslungenem Repositionsversuch oder bei Reluxationstendenz wird je nach vorliegender Verletzung eine perkutane Fixierung des Os lunatum gegen das Os capitatum und Os scaphoideum mittels Kirschner-Draht durchgeführt. Begleitpathologien können dabei mitversorgt werden, z.B. Verschraubung bei Fraktur des  Os scaphoideum.

Analog zu oben erfolgt eine Ruhigstellung im Oberarmcast bzw. Unterarmcast für mindestens 8 Wochen. Der Kirschner-Draht wird anschließend entfernt.

Bei der De-Quervain-Luxationsfraktur besteht immer die Indikation zur OP. Zunächst erfolgt eine geschlossene Reposition, der sich die Schraubenosteosynthese anschließt. Liegen instabile Verhältnisse mit einer Reluxationsneigung vor, wird zusätzlich eine Fixierung mit Kirschnerdrähten angeschlossen. Postoperativ wird das Handgelenk für 8 Wochen ruhiggestellt und die Drähte vor Mobilisation entfernt. 

Die Prognose richtet sich im Wesentlichen nach dem Einsetzen einer Lunatumnekrose, oder Reluxation. Mit chronischen Schmerzen und einer Arthrosebildung ist ebenso zu rechnen wie mit Bewegungseinschränkungen.

Donnerstag, 18. August 2022

Risiko postoperativer Blutungen durch NSAR nicht erhöht

Der Einsatz von NSAR als Teil des postoperativen Schmerzmanagements scheint das akute Blutungsrisiko nicht zu erhöhen. Zu diesem Schluss kommen US-Forscher nach Auswertung der Daten von über 150.000 Chirurgiepatienten.

In der postoperativen Schmerztherapie werden nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) oft zurückhaltend eingesetzt, obwohl sie eigentlich eine wichtige Ergänzung oder gar eine Alternative zu Opioiden wären. Ein wichtiger Grund ist die Angst vor Blutungen. Diese Sorge ist jedoch wahrscheinlich nicht berechtigt; das legen zumindest die Ergebnisse einer Metaanalyse über 74 Studien nahe. An der US-Studie waren insgesamt 151.031 chirurgische Patienten beteiligt. Den Daten zufolge erhöhten NSAR bei Verabreichung kurz vor, während oder unmittelbar nach der Op. das Risiko akuter Blutungen nicht nennenswert.

Beschränkung auf "signifikante Blutungen"

Das Autorenteam um Dr. Tasce Bongiovanni von der University of California in San Francisco hatte sich bei der Auswertung auf „signifikante Blutungen“ beschränkt. Solche lagen definitionsgemäß vor, wenn ein Hämatom dokumentiert war, der Patient aufgrund einer Blutung erneut operiert werden musste oder einer Bluttransfusion bedurfte.

Zu jedem dieser Endpunkte führten die Forscher jeweils eine separate Metaanalyse durch. Diese umfasste für das Hämatom 35 Studien, für die blutungsbedingte erneute Op. 19 und für die Bluttransfusion 16 Studien. Bei mehr als der Hälfte der Studien handelte es sich um randomisierte kontrollierte Studien (RCT), der Rest waren Kohortenstudien.

Der Unterschied zwischen der Gruppe mit bzw. ohne perioperativ verabreichte NSAR war in keiner der Auswertungen signifikant. Die Studienheterogenität hielt sich dabei in Grenzen (allenfalls niedrige Heterogenität). Bei den Eingriffen dominierten solche an der Brust (14 Studien), gefolgt von abdominalchirurgischen (10) und orthopädischen Eingriffen (9). Die Nachbeobachtungsdauer reichte von zwölf Stunden bis drei Tagen. Das Team weist darauf hin, dass ausgerechnet die beiden Studien mit dem kürzesten Follow-up industriegesponsert waren. Etwaige Nachblutungen seien hier möglicherweise nicht erfasst worden, schränken Bongiovanni et al. ein.

 Auch bei einzelnen NSAR kein großer Unterschied

In Subanalysen wurde der Effekt verschiedener NSAR-Typen untersucht. Dabei handelte es sich um Ketorolac (verwendet in 41 Studien), Diclofenac (8), Ibuprofen (8), Celecoxib (6), Ketoprofen (5) oder Parecoxib (4). Auch hier fand sich nirgendwo ein Hinweis auf einen signifikanten Unterschied bei Verwendung bzw. Nichtverwendung des jeweiligen Präparats.

Studien, in denen man ausschließlich die Wirkung von Acetylsalicylsäure (ASS) untersucht hatte, waren ausgeschlossen. Das Gleiche galt für Studien, die den Effekt einer Langzeittherapie mit NSAR zum Gegenstand hatten, oder in denen die Substanzen lediglich präoperativ verabreicht worden waren.

Was in der Metaanalyse nicht berücksichtigt werden konnte, waren verschiedene Altersgruppen. Hier war es aufgrund der unterschiedlichen Einteilungsmodalitäten nicht möglich, eine einheitliche Stratifizierung vorzunehmen.

Nach Bongiovanni und Kollegen müssten zwar stets auch andere NSAR-Nebenwirkungen (z. B. Gastritis) in Betracht gezogen werden. Im Hinblick auf das postoperative Blutungsrisiko seien die Substanzen bei kurzfristiger Anwendung jedoch wahrscheinlich sicher und könnten als Teil eines multimodalen postoperativen Schmerzmanagements in vielen chirurgischen Fachgebieten zum Einsatz kommen.

 

Literatur

Bongiovanni T et al. Systematic Review and Meta-Analysis of the Association Between Non-Steroidal Anti-Inflammatory Drugs and Operative Bleeding in the Perioperative Period. J Am Coll Surg 2021; https://doi.org/10.1016/j.jamcollsurg.2021.01.005