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Montag, 4. August 2025

Fall 87: Der Schlag auf's Auge



Eine 47-jährige Patientin stellt sich in der Notaufnahme vor. Bei einer Auseinandersetzung mit ihrem Freund habe er ihr  einen Stoß mit dem Ellenbogen verpasst und das rechte Auge getroffen. Sie könne zwar noch sehen, habe jedoch eine zunehmende Schwellung um das Auge.

Eigenanamese:

Es werden keine Grunderkrankungen angegeben. Keine Einnahme von Antikoagulanzien.

Körperliche Untersuchung:

47-jährige Patientin in gutem AZ und EZ. Sie ist wach, kooperativ mit kohärentem Gedankengang. Das rechte Auge ist i.S. eines Monokelhämatoms verschwollen. Die Lidspalte kann noch geöffnet werden. Der Visus ist erhalten. Keine Angabe von Doppelbildern. Es besteht ein Hyposphagma (Einblutung der Sklera). Der untere Orbitarand ist druckdolent. Die Nervenaustrittsöffnungen sind frei. Eine Okklusion ist möglich. Der Gesichtsschädel ist stabil.

Diagnose:

Zum Ausschluss Orbitafraktur

Es erfolgt zunächst orientierend das Röntgen des Schädels. Hier zeigt sich eine Verschattung des Sinus maxillaris rechts. Ein CT wird angeschlossen.

Das CT zeigt eine dislozierte Fraktur des Orbitabodens mit Einblutung in den Sinus maxillaris.



Orbitabodenfrakturen können durch verschiedene Mechanismen verursacht werden:

1.   Direktes Trauma: Ein direkter Schlag auf die Augenhöhle bei Unfällen, Kämpfen oder Sportverletzungen.

2.       Indirektes Trauma: Es erfolgt die Krafteinwirkung von einem anderen Bereich des Gesichts oder des Schädels auf den Orbitaboden, z.B. ein Sturz auf das Gesicht, bei dem die Energie des Aufpralls auf die Augenhöhle übertragen wird.

3.         Hochenergetisches Trauma: Bei schweren Unfällen mit hoher Aufprallkraft, z.B. Autounfällen oder Stürzen aus großer Höhe. Dabei können auch multiple Frakturen im Bereich des Gesichtsschädels entstehen.

4.           Penetrierendes Trauma: Wenn ein scharfer Gegenstand wie ein Messer oder ein Bruchstück eines Knochens in die Augenhöhle eindringt, kann dies zu einer Orbitabodenfraktur führen.

  

Die Orbitabodenfraktur kann verschiedene Komponenten des Augenhöhlenbodens betreffen, einschließlich des Jochbeins, des Keilbeins und der Siebbeinplatte. Die Behandlung einer Orbitabodenfraktur kann je nach Schweregrad und betroffenen Strukturen variieren. In einigen Fällen kann eine konservative Behandlung mit Überwachung und Schmerzmanagement ausreichen. In anderen Fällen kann eine chirurgische Intervention erforderlich sein, um die Fraktur zu stabilisieren und mögliche Komplikationen wie Sehstörungen oder Doppelbilder zu vermeiden.

Die Symptome einer Orbitabodenfraktur können folgende sein:

1.   Schmerzen um das betroffene Auge. Symptome können bei Bewegung des Auges oder beim Berühren des betroffenen Bereichs zunehmen.

2.   Schwellung und Hämatombildung: Es kann eine Schwellung im Bereich um das Auge herum auftreten. Die Schwellung kann sowohl ober- als auch unterhalb des Auges als Monokelhämaton ("rakoon's eye") sichtbar sein.

3.   Doppelbilder: Sie entstehen durch eine Störung oder Einklemmung der Augenmuskeln mit Angabe von Doppelbildern. Das betroffene Auge kann seine normale Beweglichkeit verlieren oder sich in eine abweichende Position verschieben.

4.   Einschränkung der Augenbewegung: Patienten können Schwierigkeiten haben, ihr betroffenes Auge zu bewegen. Dies kann zu eingeschränkter Sehfähigkeit oder verschwommenem Sehen führen.

5.   Eingesunkene Augen: Bei schwereren Fällen kann das betroffene Auge eine eingesunkene oder abgesenkte Position einnehmen, was als Enophthalmus bezeichnet wird.

6.   Epistaxis: Bei einigen Orbitabodenfrakturen kann es zu Blutungen aus der Nase kommen, insbesondere wenn der Bruch mit einer Verletzung der Nasennebenhöhlen verbunden ist.

Die Diagnose einer Orbitabodenfraktur erfordert in der Regel eine Kombination aus Anamnese, Untersuchung und diagnostischen Verfahren. Dabei kann die CT-Untersuchung als Standardverfahren angesehen werden Die genaue Diagnose und Beurteilung der Fraktur helfen dabei, den Behandlungsplan festzulegen und mögliche Komplikationen zu vermeiden.

1.   Anamnese und körperliche Untersuchung: Der Unfallhergang ist i.d.R. typisch ebenso wie die Symptome und der lokale Untersuchungsbefund.

2.   Bildgebende Verfahren:

·     Röntgenaufnahmen: Standard-Röntgenaufnahmen können erste Hinweise auf eine Fraktur liefern. Sie werden normalerweise in zwei Ebenen (seitlich und frontal) durchgeführt, um eine bessere Darstellung des Frakturmusters zu ermöglichen. Hier ist auf eine Verschattung des Sinus maxillaris zu achten, auf eine Jochbeinfraktur (Henkeltopfaufnahme) oder den "hängenden Tropfen in der AP Ansicht.

·   Computertomographie (CT): Die CT-Untersuchung ist das wichtigste diagnostische Verfahren zur Beurteilung. Sie liefert detaillierte Schnittbilder der Augenhöhle und ermöglicht eine genaue Lokalisation und Ausdehnung der Fraktur. Zusätzlich können begleitende Verletzungen wie Weichteilschäden, Blutungen oder Verletzungen der Augenmuskeln erkannt werden. Luft- oder Flüssigkeitsansammlung weisen auf eine mögliche Verbindung zur Nasennebenhöhle.

·      Magnetresonanztomographie (MRT): In einigen Fällen kann eine MRT-Untersuchung erforderlich sein, insbesondere bei möglichen Weichteilverletzungen oder Nervenschäden.

3.   Augenuntersuchung: Eine gründliche Untersuchung des Auges ist wichtig, um Verletzungen des Sehvermögens oder andere Augenprobleme zu erkennen. Dazu gehören Sehtests, Beurteilung der Augenbewegungen, Spaltlampenuntersuchung, Fundoskopie (Untersuchung des Augenhintergrunds) und gegebenenfalls weitere spezielle Tests.

Einteilung:

Die Orbitabodenfrakturen werden gemäß dem AO-System in drei Hauptgruppen unterteilt:

·     AO-Typ A: Frakturen des Orbitabodens ohne Beteiligung der Augenhöhle (Orbita). Diese Frakturen betreffen den Knochen unterhalb der Augenhöhle, jedoch nicht die Augenhöhlenwände selbst.

·     AO-Typ B: Frakturen des Orbitabodens mit isolierter Beteiligung der Augenhöhle. Hier sind sowohl der Orbitaboden als auch die Wände der Augenhöhle betroffen.

·     AO-Typ C: Frakturen des Orbitabodens mit Beteiligung der Augenhöhle sowie des Gesichtsschädels. Bei diesen Frakturen sind der Orbitaboden, die Augenhöhle und der Gesichtsschädels betroffen.

Therapie

Nicht dislozierte Frakturen können symptomatisch behandelt werden. Diese bestehen in einem Schneuzverbot, abschwellenden Nasentropfe und einer Analgesie.

Indikationen für eine Operation sind Doppelbilder oder Sehstörungen durch eine Beeinträchtigung der Augenfunktion, ausgeprägte kosmetische Veränderungen oder anhaltende Schmerzen.

Bei einer Operation werden die Knochenfragmente reponiert und mit Schrauben oder Platten stabilisiert. Dabei können eingeklemmte Weichteile ebenso wieder befreit und z.B. die Augenmotilität hergestellt werden.

Weitere Maßnahmen: In einigen Fällen kann eine zusätzliche Behandlung erforderlich sein, z. B. um verletzte Muskeln oder Weichteile zu reparieren oder um Blutungen oder Schwellungen zu kontrollieren.


Montag, 30. Dezember 2024

Fall 86: Treppensturz mit Folgen

 

Diskussion:

Rippenfrakturen gelten mit etwa 80% als ein häufiger Befund beim stumpfen Thoraxtrauma. In 85% der Fälle sind mehrere, in lediglich 15% nur eine Rippe betroffen. In bis zu 30%  findet sich ein bilateraler Befund[i]. Am häufigsten sind die Rippen V bis XI betroffen, seltener die oberen beiden Rippen, die  durch den Schultergürtel mit seinem Muskelmantel geschützt sind. Frakturen der oberen Rippen weisen i.d.R. auf eine starke Gewalteinwirkung hin. Jede Rippenfraktur geht mit einem Blutverlust von etwa 150 ml einher[ii]. Im Kinder- und Jugendalter sind Rippen elastischer und brechen weniger häufig. Dennoch schließen fehlende Rippenfrakturen ein größeres Trauma nicht aus!

 

Beachte

·         Patienten mit Rippenfrakturen nach stumpfem Thoraxtrauma und Schock ohne Hämato- oder Pneumothorax müssen an intraabdominelle Blutungsquelle denken lassen.

·         Brustbeinverletzungen sind immer ein Indiz für ein schweres Trauma und müssen an mögliche Begleitverletzung von Herz und großen Gefäßen denken lassen.

 

Diagnose:

Im Zusammenhang mit Thoraxverletzungen sind insbesondere Milzläsionen gefürchtet, da sie zweizeitig auftreten und sich der Primärdiagnostik entziehen können. Der erste Hinweis auf das Vorliegen einer Milzruptur ergibt sich oft schon aus der Anamnese:

 Jede stumpfe Verletzung des linken Oberbauches oder der linken Flanke kann mit einer Milzruptur einhergehen. Bei leichteren Verletzungen mit geringer Blutung finden sich unspezifische Oberbauchschmerzen, ein Druckschmerz im Epigastrium, Klopfschmerz im Bereich der linken Flanke und linksseitige atemabhängige Beschwerden. Oft wird von den Patienten eine Schmerzausstrahlung in die linke Schulter (Kehr-Zeichen) angegeben. Die Reizung des Zwerchfells und somit des Nervus phrenicus durch Blutung oder Kapselhämatom führt zu Schmerzen in der linken Halsseite (Saegesser-Zeichen).

 Erst bei höheren Verletzungsgraden mit starker Blutung treten die Zeichen des drohenden oder manifesten Volumenmangelschocks in den Vordergrund: Beschleunigter Puls bei erniedrigtem Blutdruck (Tachykardie und Hypotonie), beschleunigte Atmung (Tachypnoe bis hin zur Hyperventilation), blasse, kalte und kaltschweißige Haut, Angst und Unruhe. Eine zunehmende Bewusstseinstrübung infolge des cerebralen Sauerstoffmangels zwingt zu sofortigen lebensrettenden Maßnahmen.

Labor:

Hämoglobin, Erythrozytenzahl, Hämatokrit zur Abschätzung des Blutverlustes. Die Blutgasanalyse gibt Auskunft über die Sauerstoffsättigung des Blutes und zeigt gegebenenfalls bei zunehmendem Schock eine Übersäuerung des Blutes (Azidose). Im Blutbild zeigt sich bei Milzrupturen regelhaft eine hochgradige Steigerung der Leukozytenzahl), im Labor die übrigen Organfunktionen (Niere, Leber etc.).

Sonographie:

Nachweis von freier Flüssigkeit und gröbere Parenchymverletzungen der Milz oder große subkapsuläre Hämatome. Bei unauffälligem Befund aber klinisch weiter bestehendem Verdacht muss die Untersuchung engmaschig wiederholt werden, um eine zweizeitige Ruptur oder ein zunehmendes Kapselhämatom nicht zu übersehen.

Röntgenaufnahmen des Thorax und des Abdomens zum Ausschluss weiterer Verletzungen (beispielsweise Rippenfrakturen mit Pneumothorax) durchgeführt.

Computertomographie des Abdomens zeigt das Ausmaß der Milzverletzung.

Die noch bis in die 1990er Jahre regelmäßig durchgeführte Peritoneallavage ist mittlerweile wegen ihrer hohen Fehlerquote nicht mehr gebräuchlich.

Da diese unterschiedlichen Verletzungsformen direkten Einfluss auf die Prognose und das chirurgische Vorgehen haben, werden fünf Schweregrade unterschieden:

·     Grad 1: Kapselrisse, subkapsuläres nicht expandierendes Hämatom. Zerreissung < 1 cm tief.

·   Grad 2: Verletzung von Kapsel und Parenchym ohne Verletzung von Segmentarterien. Zerreissung 1-3 cm tief; zentrales oder subkapsuläres Hämatom 1-3 cm.

·   Grad 3: Verletzung von Kapsel, Parenchym und Segmentarterien. Zerreissung tiefer als 3 cm; zentrales oder subkapsuläres Hämatom > 3 cm.

·   Grad 4: Verletzung von Kapsel, Parenchym und Segment- oder Hilusgefäßen, Abriss des Gefäßstiels

·     Grad 5: Ausriss des Organs im Milzhilus mit Devaskularisation (Unterbrechung der Gefäßversorgung)

 Therapie bei Milzruptur: 

Das therapeutische Vorgehen hängt vom Schweregrad der Ruptur ab. Während noch bis in die 1980er Jahre eine Milzruptur nahezu ausschließlich durch die Entfernung der Milz (Splenektomie) behandelt wurde, macht die Verbesserung der konservativen Blutungskontrolle mittlerweile eine differenziertere Therapie unter dem Gesichtspunkt der Organerhaltung möglich.

 Rupturen 1. Grades

Unter engmaschiger Kontrolle des sonografischen Befundes, der Kreislaufparameter und des Blutbildes kann in diesem Stadium oft konservativ behandelt, da sich diese Läsionen durch die körpereigene Blutstillung (Hämostase) verschließen und abheilen können. Alle übrigen Schweregrade bedürfen einer operativen Intervention.

 Rupturen 2. Und 3. Grades

Ziel des operativen Vorgehens ist der Milzerhalt. Dabei kann mittels Infrarot- beziehungsweise Elektrokoagulation und Fibrinkleber oft eine Blutstillung erzielt werden. Die Milz wird dazu auch in ein resorbierbares Kunststoffnetz eingehüllt und damit komprimiert.

 Rupturen 4. Und 5. Grades

Beim Schweregrad 4 kann durch eine Teilresektion manchmal ein funktionstüchtiger Teil der Milz erhalten werden, während beim 5. Grad nur die Splenektomie in Betracht kommt.

 Die Auswahl des geeigneten operativen Vorgehens hängt allerdings nicht nur vom Schweregrad der Verletzung ab. Während bei Kindern und Jugendlichen eine Organerhaltung mit allen Mitteln versucht wird, kommt im höheren Alter eher die Splenektomie zum Einsatz. Der Grund liegt zum einen in der geringeren Komplikationsrate (Postsplenektomie-Syndrom) bei Erwachsenen, zum anderen in häufig vorliegenden Begleiterkrankungen, die das Risiko intra- oder postoperativer Komplikationen bei langwierigen Erhaltungsversuchen mit hohem Blutverlust steigen lassen. Auch ungünstige anatomische Verhältnisse, wie sie zum Beispiel bei ausgeprägtem Übergewicht (Adipositas) vorliegen, können die Entscheidung in Richtung der einfacher durchführbaren Splenektomie lenken.[1]


Fall 86: Treppensturz mit Folgen

 

Mit dem RTW wird ein 38-jähriger alkoholisierter Mann eingeliefert. Er ist bei Eintreffen nicht anamnesefähig, jedoch wach. Laut Rettungspersonal habe die Partnerin alarmiert, da der Patient die Klotür verfehlt habe und ca. 10 Treppenstufen in den Keller herabgefallen sei. Dabei blieb er ansprechbar, würde jedoch „anders“ wirken. Laut Rettungspersonal wurden Beschwerden in der linken Thoraxseite geklagt.

 Befund:

Männlicher Patient in allgemein reduziertem AZ und Hygienezustand. Wach und ansprechbar mit gezielten Abwehrreaktionen auf Schmerzreiz. Keine Dyspnoe, keine Cyanose.

Es findet sich ein Druckschmerz über dem linken unteren Rippenbogen ohne Crepitation oder Emphysem. Pulmo vesikulär mit seitengleichen Atemgeräuschen. Abdo weich ohne Druckschmerz in den 4 Quadranten oder Flanken, Becken stabil. Extremitäten mit oberflächlichen Prellmarken, jedoch ohne weitere Pathologien. Keine auffällige Neurologie. SPo2 98%, Temperatur 36,8° C.

FAST Sono:

Detektion von perilienaler Flüssigkeit. Parenchymatöse Organe ansonst regelrecht, kein Perikarderguss, Aorta nicht erweitert.

Zusammenfassend bestehen nach Treppensturz Hinweise für ein Thoraxtrauma mit Schmerzen am li unteren Rippenbogen sowie sonografisch der Verdacht freier Flüssigkeit im Milzbereich.

Protokollgemäß wird eine CT-Traumaspirale durchgeführt.

 

CT Befund:

Das CT zeigt eine tiefe Lazeration, die das Parenchym durchsetzt (Grad 2 bis ggfs 3). Ferner werden distale Rippenfrakturen der 9 und 10 Rippen links beschrieben.

 

Nach zunächst engmaschigem Monitoring fällt ein Hb Abfall um 4 g/dl auf, so dass von einer aktiven Blutung ausgegangen werden muss. Es erfolgt die Laparotomie, die eine komplexe hilusnahe Parenchymzerreissung bestätigt, die eine Splenektomie zur Folge hat.

Montag, 27. Mai 2024

Fall 85: Die Labrumcyste - Diskussion

Labrumzysten der Hüfte sind relativ häufige Befunde, die oft zufällig bei bildgebenden Untersuchungen wie MRT entdeckt werden. Sie stehen synonym für Bezeichnungen wie  Ganglion, Ganglionzyste, juxtaartikuläre Zyste, mukoide Dorsalzyste, Mukoidzyste, Myxomatosis nodularis cutanea oder "Überbein" an der Hand.

Damit bezeichnet man einen zystischen Pseudotumor im Bereich einer Gelenkkapsel oder einer Sehnenscheide. Sie entstehen als Folge einer unspezifische Proliferation von mesenchymalen Zellen, einer Degeneration von kollagenem Bindegewebe oder der Überproduktion von Hyaluronsäure durch Fibroblasten. 

Synovialzysten sind mit Synovialepithel ausgekleidete Pseudozysten mit einer dicken Wand aus Granulationsgewebe, Histiozyten und Riesenzellen. Sie sind in der Regel mit klarer, seröser oder xanthochromer Flüssigkeit gefüllt, die reichlich Mukopolysaccharide enthält.

Ganglionzysten dagegen sind mit Muzin gefüllte Strukturen ohne synoviale Auskleidung und ohne direkte Verbindung zu einem Gelenk. Weiterhin enthalten sie häufig Blut, Hämosiderin und Luft. Möglicherweise entwickeln sie sich aus Synovialzysten.

Beide Formen treten klinisch und radiologisch weitgehend identisch auf. Daher werden beide Begriffe synonym verwendet.

70% der Synovialzysten treten zwischen dem 25. und 40. Lebensjahr auf, bei Frauen häufiger als bei Männern. In 16% sind sie bei der Diagnose bei gesunden Probanden ein Zufallsbefund und verursachen keinerlei Beschwerden (Goldmann 2013[i]). Die Diagnose erfolgt i.d.R. im CT oder MRT.

Ursachen können Überlastungen oder vorausgegangene Labrumläsionen sein. Letztere treten als Folge eines Traumas auf oder degenerativ bei femoroacetabulärem Impingement. Dabei bilden sich Zysten aus der ausgetretenen Gelenkflüssigkeit.

Therapeutisch richtet sich das Vorgehen nach Größe und Beschwerdebild. Kleine Cysten oder Zufallsbefunde werden konservativ behandelt. Nur größere Zysten mit einer Schmerzsymptomatik, Bewegungseinschränkungen und Einklemmungen im Hüftgelenk werden operativ versorgt.

Konservative Behandlungsmöglichkeiten bestehen in...:

- Schonung des Hüftgelenks

- Entzündungshemmende Medikamente wie Ibuprofen oder Diclofenac 

- Physikalische Therapie zur Schmerzlinderung und Kräftigung der Muskulatur

- Injektionen mit Hyaluronsäure in das Hüftgelenk zur Reduktion der Reibung

- Punktion des Gelenkes. Hierbei besteht jedoch eine hohe Rezidivwahrscheinlichkeit

- Gelenkschonende Sportarten wie Schwimmen, Radfahren oder Gehen

Operative Behandlungsmöglichkeiten:

- Hüftarthroskopie zur Naht/Refixation der gerissenen Gelenklippe bei vollständigen Abrissen.

- Teilweise Entfernung (Resektion) der geschädigten Anteile der Gelenklippe 

- Beseitigung von Knochenauflagerungen (Offset-Korrektur) zur Vermeidung weiterer Schäden

Die Wahl der Behandlung hängt vom Ausmaß der Läsion, den Beschwerden und der Aktivität des Patienten ab. Bei kleineren Rissen wird zunächst eine konservative Therapie versucht. Bei größeren Rissen oder Abrissen der Gelenklippe ist oft eine operative Behandlung erforderlich.



[i] Goldmann A: Stellenwert der MRT-Diagnostik bei Hüftgelenkveränderungen. OUP 2013; 7: 332–340

Fall 85: Die Leistenschwellung

Zur Aufnahme kommt ein 75-jähriger Patient. Bei ihm besteht seit 3 Monaten eine tastbare Schwellung in der rechten Leiste. Er kommt auf Veranlassung des Hausarztes zum Ausschluss einer Schenkelhernie.

Bei Aufnahme zeigt sich ein schlanker Mann in altersgemäßem Allgemeinzustand. Das Abdomen stellt sich unauffällig dar. Im Bereich der rechten Leiste tastet sich eine ca 5 cm große prallelastische Schwellung medial der Gefäße ventralseits des Oberschenkels. Die Weichteile sind ohne Rötung. Auskultatorisch keine Darmgeräusche. Der mediale und laterale Leistenring sind unauffällig. Bei Provokationsmanövern läßt sich keine Insuffizienz tasten.

Der Bewegungsumfang der Hüften ist frei jedoch rechts schmerzhaft über 80° Beugung. Periphere Fußpulse sind tastbar.

Im Ultraschall imponiert eine ca 5cm große gekammerte cycstische Struktur. Die Bruchpforten sind intakt. Dopplersonografisch kein Hinweis auf Aneurysma.




Das anschließende CT zeigte folgende Befunde:

  



Hierbei stellen sich beidseitige aber rechts betonte Labrumcysten dar bei Pincer Impingement mit einer fortgeschrittenen Coxarthrose.

Als therapeutisches Prozedere wurde mit dem Patienten der alloarthroplastische Hüftgelenksersatz besprochen.

Sonntag, 26. Mai 2024

Fall 84: Die Zementverbrennung


Fall 85: Die Zementverbrennung

Ein 72-jähriger Mann stellte sich in der Zentralen Notaufnahme dar. Vor 3 Wochen habe er bei Renovierungsarbeiten seinem Sohn geholfen, ein Fundament zu gießen. Dabei wäre ihm flüssiger Beton in den Gummistiefel geflossen. Er habe es erst bemerkt, als der Beton im Stiefel heiß wurde. Er habe daraufhin den Stiefel und die Haose ausgezogen. Sein Unterschenkel und Fuß wären gerötet gewesen. Die Rötung habe er kurz mit wasser abgekühlt, konnte danach jedoch nach einem Wäschewechsel weiter arbeiten. In den nächsten Tagen habe er wenig auf die Rötung geachtet. Die Verfärbung bis zum jetzigen Ausmaß habe er wohl ignoriert. Einem Arzt wurde die Verletzung nciht vorgestellt.

Der Patient ist bis dato rüstig und zusammen mit seiner Frau selbständig. An Vorerkrankung besteht eine KHK. Fumatorium von 20 Zigaretten pro Tag seit der Jugend und ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus mit bekannter diabetischer Polyneuropathie.

Befund:

Der linke Unterschenkel und der Fuß stellen sich wie folgt dar: ausgedehnte tiefgreifende zirkuläre und medial betonte Nekrosenbildung im distalen Unterschenkel und des gesamten Fußrückens mit Mumifizierung der gesamten Zehen.


Zur Therapieplanung wurde zunächst ein Angio CT durchgeführt. Hier zeigte sich eine massive Sklerosierung unterhalb der Trifurkation mit langstreckigen Stenosen und vollständiger Okklusion ab Unterschenkelmitte.

Therapie:

Die Aufnahme erfolgte unter dem Versuch des Weichteildebridements. Entsprechend dem CT Befund stellten sich bei insgesamt atrophischem Weichteilmantel tiefgreifende Nekrosen dar. Ein Debridement selbst mit nachfolgender Vakuumtherapie und zweizeitiger Weichteildeckung erschien hier nicht mehr möglich. Es erfolgte die Unterschenkelamputation.

Diskussion:

Bei der Herstellung von Beton wird oft Zement verwendet. Zement enthält Kalziumoxid, Siliziumdioxid, Aluminiumoxid, Eisenoxid und Sulfat. Calciumoxid reagiert mit Wasser unter Erwärmung zu Calciumsilikathydrat (CSH). Allgemein können im Beton während des Aushärtungsprozesses Temperatur von etwa 50 bis 70 Grad Celsius entstehen, die sog. Hydratationswärme. Zudem induziert die chemische Reaktion einen alkalischen pH-Wert. Dies kann zu weiteren Gewebeschäden führen, indem Proteine und Kollagen aufgelöst, Zellen dehydriert und Fett verseift werden. Beide Faktoren, Hitze und eine alkalische Umgebung, können zu Verletzungen führen, die als „Zementverbrennungen“ bezeichnet werden.

Im Jahr 1995 erstellten Xiao und Cai eine Klassifizierung von Zementverbrennungen unter Berücksichtigung des Mechanismus der Zementverletzung auf der Haut (Xiao 1995)[1]. Drei Arten von Verbrennungen können durch Zement verursacht werden: durch Abrieb, Explosion oder Hitze (Spoo 2001)[2]::

        Abschürfungsverbrennungen sind am häufigsten und betreffen i.d.R. Knie und Unterschenkel mit weniger als 5 % der Hautoberfläche (Spoo 2001).

        Explosionsverbrennungen sind selten, aber schwerwiegend und führen zu systemischen Schäden (Xiao 1993)[3].

        Hitzeverbrennungen werden durch thermische Schäden erklärt, einen chemischen Prozess, der die Produktion alkalischer Substanzen mit zerstörerischen Auswirkungen auf die Haut induziert (Catalano 2013)[4].

Die Verletzungen sind relativ selten. Selbst in spezialisierten plastischen Abteilungen liegt ihr Anteil bei nur 1 bis 2% (Lewis 2004)[5]. Zu fast 80% sind Heimwerker betroffen, von denen weniger als 50% eine Schutzausrüstung tragene oder sich des Verletzungsrisikos nicht bewußt sind (Rycroft 1980[6], Besset 2014[7], Spoo 2001). Die meisten Verletzungen treten an Unterschenkel und Knie auf. In allen Fällen werden weniger als 10 % der Hautoberfläche betroffen. Vollschichtige Verbrennungen werden in 50 bis 66 % der Fälle beschrieben, wobei in 20 bis 34 % der Fälle eine Operation erforderlich war.

Im Jahr 1963 wurde von Rowe (1963)[8] der erste Fall einer Schienbeinverbrennung dritten Grades beschrieben. Ihr Patient hatte 2 1/2 Stunden lang in Fertigzement gekniet. Eine ähnliche Verletzung wurde später von Vickers (1976)[9] bei zwei Patienten beschrieben, die mehrere Stunden mit nassem Zement in ihren Stiefeln verbrachten. Weitere nachfolgende Berichte fanden das gleiche Verletzungsmuster. Gemeinsam war ihnen eine lange Einwirkzeit mit nassem Zement, im Allgemeinen 2 bis 6 Stunden (Fisher 1979[10], Hannuksela 1979[11], Buckley 1982[12]).

Wenn nasser Zement mit der Haut in Kontakt kommt, treten oft keine unmittelbaren Symptome auf. Das kann dazu führen kann, dass der Arbeiter den Kontakt aufrechterhält. Der sich ausbildende Gewebeschaden ist dann abhängig von der Temperatur und der Einwirkdauer. Bereits ab 40 bis 44°C kann Körpereiweiß in Zellen denaturieren, ab 45°C und einer Einwirkzeit von etwa einer Stunde tritt der Zelltod ein. Ab 70°C reicht schon eine Exposition von einer bis zwei Sekunden für eine Verbrennung dritten Grades.

Die Besonderheit bei thermischen Verletzungen ist, dass das Ausmaß nicht sofort erkennbar sein muss. Dies liegt an dem Ausbilden einer sog. "Stasezone". Sie bezeichnet eine schmale Zone thermisch geschädigter Hautzellen, die in eine Komplettnekrose übergehen können, was als "Nachbrennen" bezeichnet wird. Ursache ist eine gestörte Mikrozirkulation durch eine Verkleinerung der Blutgefäße, eine Ödembildung und eine nachfolgende Minderperfusion. So kann die oberflächliche Verbrennung Typ 2a mit Blasenbildung in eine tiefe zweitgradige Combustio Grad IIb übergehen. Dies bedeutet für den Patienten eine erweiterte Therapie (Koller)[13].

Daher ist es essentiell, dass Zement umgehend von der Haut entfernt und mit reichlich Wasser abgewaschen wird. Der betroffene Abschnitt sollte dann sorgfältig nachbeobachtet und bei Rötung, Blasen- oder Nekrosenbildung adäquat chirurgisch betreut werden.

Die Therapie ab einem thermischen Schaden Grad 2b besteht in der chirurgischen Sanierung. Sie muss in das Gesamtkonzept eingepasst werden. Da thermische Schäden ab Grad III häufig Teil einer größeren Gesamtverletzung darstellen können, müssen diese mitberücksichtigt werden. Grundlage der chirurgischen Versorgung ist die Nekrosektomie gefolgt von einer Weichteildeckung, i.d.R. eine Spalthautdeckung. Je nach Befund erfolgt die definitive Wunddeckung bei sauberem Wundgrund. Hierfür steht die temporärer Vakuumtherapie zur Verfügung, die für den Patienten die belastenden Verbandswechsel reduziert und zu einer Granulation des Wundgrundes führen kann.

Das ästhetische und funktionelle Ergebnis nach der Behandlung kann einschränkend sein. Besset (2014)[14] fand bei 88 % der medikamentös behandelten Patienten und bei 18 % der operativ behandelten Patienten Folgeerscheinungen.

Bei unserem Patenten wäre eine Entfernung der Nekrosen nicht zielführend gewesen. Dazu waren sie in der Peripherie zu weit fortgeschritten und ein Erhalt oder ein Teilerhalt durch Amputation bei fehlender Perfusion nicht möglich gewesen. Die distale Polyneuropathie hat sicherlich dazu beigetragen, dass die thermische Reaktion zu spät bemerkt worden ist. Dadurch konnte sich die Schädigung tiefgreifend ausbilden.

Fazit:

Im Umgang mit Zement muss auf dessen potentielle Gefahrenwirkung geachtet werden. Neben einem probaten Schutz gilt es, jeden Hautkontakt zu vermeiden und im Falle einer Exposition sofort zu durchbrechen und unter Beobachtung zu halten. Damit kann eine Intervention frühzeitig eingeleitet werden, um weiteren Schaden zu vermeiden.


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