siehe dazu die Vorgeschichte:
http://notfallambulanz.blogspot.com/2021/01/fall-71-der-ungewohnliche-bauchschmerz.html
Diagnose:
Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS)
Das hämolytisch-urämische Syndrom ist charakterisiert
durch eine hämolytische Anämie, Thrombozytopenie und eine akute
Niereninsuffizienz. Diese Erkrankung ist weltweit aber mit deutlich
unterschiedlichen Häufigkeiten bekannt. Die Inzidenz wird in
Mitteleuropa auf 1 bis 1,5 Patienten/100 000 Kinder und Jugendliche unter 16
Jahren geschätzt. Sie bevorzugt Kinder im Alter von ein bis fünf Jahren aber
auch jedes andere Alter mit einem Altersgipfel im zweiten bis dritten
Lebensjahr (8, 24, 25).
In Deutschland gilt das HUS die häufigste Ursache eines akuten Nierenversagens
im Kindesalter (22).
Das HUS ist ein Syndrom im klassischen Sinne.
Mittlerweile ist es akzeptiert, dass es verschiedene Ursachen für ein HUS gibt.
Eine einheitliche Nomenklatur gibt es jedoch noch nicht. Derzeit werden
mindestens vier verschiedene pathogenetische Formenkreise der Entstehung eines
HUS unterschieden
- HUS bei Infektionen,
z.B. durch Bakterientoxine (E. coli, Shigellen, Salmonellen), Pneumokokkenneuraminidase und Viren. Bei
Erkrankungen, die initial mit Durchfall einhergehen, wird auch der Begriff
typisches HUS (D+) verwandt. Da die überwiegende Mehrzahl der HUS-Fälle im
Kindesalter mit enterohämorrhagischen Escherichia coli (EHEC) assoziiert ist,
wird auch als synonym für diese Form das Shigatoxin-assoziierte HUS verwendet (2, 3, 14, 16).
- Idiopathisches HUS
(atypisches HUS): Werden bei den Patienten keine Hinweise auf EHEC gefunden, so
ist oft mit einer Rekurrenz der Erkrankung zu rechnen. Hierbei ist die dauernde
Aktivierung des Komplementsystems ein wichtiger pathogenetischer Hinweis (10, 19, 20). In wenigen, oft
familiären, Fällen scheint eine Störung des Faktors H eine Rolle zu spielen (27). Dieser Faktor gehört zu
einer Gruppe von Proteinen die für die Regulation des Komplementsystems
verantwortlich sind. Insbesondere auf lokaler Ebene ist Faktor H für die
Inhibierung des Komplementsystems notwendig. Kommt es zu angeborenen oder
erworbenen Störungen des Faktors H, bleibt eine Komplementaktivierung
ungebremst, und es kommt zu Parenchymschäden wahrscheinlich durch die
Persistenz der C3-abhängigen Kaskade des alternativen Komplementweges (19, 20). In seltenen Fällen gibt
es auch hereditäre Formen des HUS, die sowohl autosomal dominant, als auch
autosomal rezessiv vererbt werden können (10, 20, 24, 39).
- HUS bei systemischen Erkrankungen:
Diese stehen im Zusammenhang mit malignen Erkrankungen, systemischem Lupus
erythematodes, Knochenmarktransplantation, Glomerulonephritis und treten nach
Schwangerschaften im Wochenbett auf (25).
- HUS durch
Toxinexposition: Verschiedene Substanzen wie Ciclosporin A, Tacrolimus,
Mitomycin, Kontrazeptiva und Kokain können eine Erkrankung auslösen. Sie kann
auch durch eine Bestrahlung verursacht werden.
Die häufigste Ursache für
ein HUS im Kindesalter jedoch ist eine Infektion mit EHEC (2, 6, 13–16, 23, 26, 29) durch kontaminierte
Lebensmittel, direkter Tierkontakt sowie die Übertragung von Mensch zu Mensch. Innerhalb
der Gruppe der EHEC werden zunehmend neue Serotypen gefunden, beziehungsweise bisher
nicht virulente Bakterien werden virulent. Eine ausführliche Beschreibung der
EHEC haben Karch und Bockemühl veröffentlicht (3, 15, 37).
- Seit 1998 und auch nach dem neuen
Infektionsschutzgesetz (IfSG) sind sowohl das enteropathische HUS als auch
Infektionen mit EHEC meldepflichtig nach IfSG § 6 Absatz 1f und § 7 Absatz 12a.
Epidemiologie des HUS
Das HUS tritt weltweit
auf. In Europa ist die Häufigkeit von Norden nach Süden unterschiedlich: In
Deutschland wird eine Inzidenz von 0,7 bis
1,0 pro 100 000 Kinder unter 15 Jahre gefunden. Das Verteilungsmuster der
Bundesländer für die Jahre 1997/1998 in den nördlichen Regionen um Hamburg weist
eine relative Häufung auf. Alle anderen Bundesländer zeigen keine auffälligen
Verteilungen. Es ist also für Deutschland davon auszugehen, dass das HUS
überall vorkommen kann. Bei den EHEC-assoziierten HUS-Patienten liegt der
Erkrankungsgipfel zudem in den Sommermonaten. Besonders in den Monaten Juli bis
September ist ein erhöhtes Erkrankungsrisiko vorhanden.
Innerhalb einer
prospektiven Untersuchung wurde in Deutschland und Österreich versucht,
mögliche Infektionsquellen zu erfassen. Aufgrund methodischer Probleme und der
oft langen Latenz zwischen Kontakt mit einem Infektionserreger und der Diagnose
einer EHEC-Infektion beziehungsweise HUS kann in den meisten Fällen der
Verursacher nicht gefunden werden (13, 14, 31, 37).
Das Verteilungsmuster des
HUS zeigt eine Häufung vom ersten bis fünften Lebensjahr mit einem
Häufigkeitsgipfel bei etwa drei Jahren. Eine weitere
Besonderheit ist die Tatsache, dass Patienten unter vier Jahren häufiger an
Non-O157-Erregern erkranken als ältere Kinder. Aus verschiedenen
Ausbruchsuntersuchungen wird klar, dass neben den Kleinkindern auch ältere
Leute, besonders solche die in Heimen leben, wieder häufiger erkranken (24). Eine Ursache oder
Erklärung hierfür ist bisher nicht bekannt. Im Falle der Kleinkinder wird
allerdings vermutet, dass die in diesem Alter noch nicht vorhandene Hygiene dazu
führt, dass bei Schmierinfektionen eine höhere Bakterienmenge ingestiert wird
und damit eine höhere Erregerbelastung vorhanden ist. Ein Beweis für diese
Vermutung existiert aber bisher nicht.
Diagnostik
Das klassische Leitsymptom einer Erkrankung des
infektionsassoziierten HUS mit EHEC-Nachweis
ist ein blutiger Durchfall. Es vergehen etwa drei Tage (Bereich: 1 bis 8 Tage)
zwischen Infektion und Ausbruch der Diarrhö. Nach Beginn der Diarrhö ist das
Auftreten eines HUS im Mittel in vier Tagen zu erwarten (Bereich: 1 bis 12
Tage).
Die Diagnose wird anhand
der charakteristischen Symptome gesichert: hämolytische Anämie mit Erhöhung von
LDH und Auftauchen von Fragmentozyten im Blutausstrich, Thrombopenie und
Anstieg der Retentionswerte beziehungsweise Auftreten von Oligo- oder Anurie.
Komplikationen bei HUS sind eine arterielle Hypertonie, Überwässerung mit Aszites und Perikarderguss, Krampfanfälle, neurologische, kardiale und pulmonale Beteiligungen.
Die primäre bildgebende Diagnostik erstreckt
sich auf eine sonographische Untersuchung der Nieren. Im B-Bild erscheinen die
Nieren mit deutlich erhöhter Echogenität im Bereich der Nierenrinde und
echoarmen Markkegeln. Die Nieren sind deutlich vergrößert, und das Volumen hat
meist über die altersentsprechende 97% Perzentile zugenommen. Im Farbduplex
zeigen sich oft auch Muster wie sie bei einer Nierenvenenthrombose angetroffen
werden, mit deutlich erhöhtem intrarenaler Widerstandserhöhung bis hin zu
negativem diastolischen Fluss in der Diastole. Eine Unterscheidung ist hierbei
oft nur durch die Klinik mit Nachweis von Fragmentozyten und dem weiteren
Verlauf möglich. Assoziierte Auffälligkeiten im Abdomen können in einem
Aszites, Gallenblasenhydrops und verdickten Darmwandstrukturen liegen.
Da bisher keine spezifischen Therapieformen routinemäßig zur Verfügung stehen, ist die derzeitige Therapie symptomatisch. Dazu zählt auch die Dialyse.