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Montag, 15. Mai 2023

Fall 79: Die asymptomatische Hirnblutung unter Rivaroxaban

Fall 79: Die asymptomatische Hirnblutung unter Rivaroxaban

Um 2.00 wird mit dem RTW ein 78-jähriger Mann vorgestellt. Dieser wurde blutüberströmt von seiner Ehefrau im Bett sitzend vorgefunden. Er gab an, im Badezimmer ausgerutscht und auf den Hinterkopf gefallen zu sein. Bewusstlosigkeit oder Commotiozeichen wurden explizit verneint.

Eigenanamnese:

Bei dem Patienten besteht neben einem Hypertonus eine Arrhythmie mit Vorhofflimmern. Medikamentös ist er seit 2 Jahren auf 15mg Rivaroxaban (Xarelto®) eingestellt.

Körperlicher Befund:

Bei der Aufnahme erscheint der Patient klar und zu allen Qualitäten orientiert. Der Sturzhergang kann problemlos angegeben werden. Neurologisch bestehen keine Defizite. Arme und Beine werden symmetrisch bewegt und können seitengleich gegen Widerstand mobilisiert werden. Der Patient trägt einen Druckverband am Kopf, der bereits durchblutet ist. Bei Abnahme findet sich occipital eine 5 cm lange tiefe Platzwunde mit einer persistierenden Wundrandblutung. Es besteht kein knöcherner Druckschmerz oder klinisch der Verdacht einer Schädelfraktur.

Im Labor besteht ein unauffälliges rotes Blutbild mit normwertiger klinischer Chemie. Die GFRC wird mit 55 mL/min angegeben.

Therapie und Verlauf:

Zunächst erfolgt die Wundversorgung, mit der die Blutung zum Stillstand gebracht werden kann. Das EKG zeigt die (bekannte) Arrhythmie bei Vorhofflattern. Aufgrund der Einnahme einer oralen Antikoagulation, wird ein Schädel-CT angemeldet.

 


Diagnose:

Chronisch subdurales Hämatom unter Rivaroxaban

Therapie

Der Patient wird zunächst auf die Intermediate Care Station zur weiteren Verlaufsbeobachtung aufgenommen. Er erhält gewichtsadaptiert 30 U/kg PPSB und ein Blutdruckmonitoring mit Zielvorgabe eines Blutdruckes unter 140mm Hg systolisch. Zusätzlich wird eine programmierte CT Kontrolle in 6 Stunden nach Aufnahme angemeldet. Diese zeigt einen konstanten und unveränderten Befund. Radiologisch stellt sich die Blutung aufgrund seiner hypodensen Dichtewerte als älter dar, so dass von einem chronischen Verlauf ausgegangen werden darf. Damit wird der Patient mit weiterhin beschwerdefreiem Verlauf auf die Normalstation verlegt und nach 48 Stunden symptomlos aus dem Krankenhaus entlassen.

Diskussion:

Eine intrakranielle Blutung (ICB) beschreibt mehrere verschiedene Zustände, einschließlich hämorrhagischer Schlaganfall und subdurales oder epidurales Hämatom, und ist durch die extravaskuläre Ansammlung von Blut im Schädel gekennzeichnet. Das Suduralhämatom liegt zwischen Dura und arachnoidaler Membran. Es findet sich häufig als Folge einer Schädelverletzung mit Verletzungen der Brücken- oder kortikalen Venen mit Einblutung in das Spatium subdurale. Als chronisch wird es ab dem 10. Tag nach Trauma definiert.

Intracerebrale Blutungsereignisse sind aufgrund der steigenden Zahl älterer Menschen und des zunehmenden Gebrauchs von oralen Antikoagulanzien (OAK) und Thrombozytenaggregationshemmern weltweit eine zunehmende Ursache für Tod und Behinderung (Qureshi 2009[1]). Die ICB ist die schwerwiegendste Komplikation einer oralen Antikoagulanzientherapie. Ihre  Sterblichkeitsrate von über 50 % liegt dreimal so hoch wie bei einem ischämischen Schlaganfall (Kleindorfer 2006[2]). Ihre Inzidenz ist durch den zunehmenden Gebrauch stark steigend (Hart 1995[3]).

Seit der Einführung der neuen Generation an nicht Vitamin K abhängigen oralen Antikoagulanzien ist die Behandlung von arrhythmiebedingten Komplikationen, z.B. Embolie und Apoplex, einfacher geworden. Marcumar erfordert ein kontinuierliches Monitoring, unterliegt nahrungsabhängigen Faktoren und ist von der Compliance der Patienten abhängig. Rivaroxaban ist ein Faktor Xa Inhibitor und braucht nur einmal täglich ohne INR Monitoring verabreicht zu werden. Der Nutzen wird dem von Marcumar gleichgestellt. Intracerebrale Blutungskomplikationen sollen sogar geringer sein (Patel 2011)[4]. Aus der eigenen Erfahrung treten Blutungskomplikationen jedoch im Vergleich zu Marcumar bei Rivaroxaban nicht nur häufiger auf sondern stellen je nach betroffener Körperregion schwerere bis lebensbedrohliche Komplikationen dar. So bestätigte Alberts (2012[5]) ein erhöhtes Risiko für Magen-Darm-Blutungen im Vergleich zu Marcumar. In der EINSTEIN Studie (2010)[6] fanden sich bei Patienten über 65 Jahren zudem höhere Thrombose- und Blutungsraten als bei den unter 65 Jährigen.

Rivaroxaban erfährt überdies besondere Einschränkungen. Es ist bei Patienten mit Lebererkrankungen kontraindiziert, die mit einer Koagulopathie verbunden sind (Graff 2013[7]). Auch muss der Nutzen bei Patienten mit verminderter Kreatinin-Clearance kritisch abgeschätzt werden, da sich die Eleminationszeit verlängert und damit das  Blutungsrisiko erhöht (Kubitza 2010[8], Samama 2011[9], Hori 2013[10]). Die empfohlene Höchstdosis ist daher abhängig von der Nierenfunktion. Bei einer Kreatininclearance von über 50 mL/min beträgt sie 20mg und 15mg bei einer Clearance von 15 bis 50 mL/min. Die scheinbar bessere Steuerbarkeit durch den Wegfall der INR Kontrolle wird somit durch die Kontrolle der Nierenfunktion ersetzt. Zusätzlich bieten sich weiterhin Gerinnungskontrollen an, da eine Überdosierung im Labor als INR Erhöhung manifest wird. Die Gefahr einer Blutungskomplikation scheint damit dosisabhängig zu sein (Ruff 2014[11]).

Ein anderer Aspekt sind medikamentöse Interaktionen. Nagaraja (2019)[12] betonte die Bedeutung arzneimittelbedingter Nebenwirkungen, die die Interaktion mit Rivaroxaban verstärken, insbesondere Amiodaron (Amin 2016[13], Hellwig 2013[14]), Amlodipin (Gonzva 2015[15]) und Thrombozytenaggregationshemmer.

Die Inzidenz von intrazerebralen Blutungen ohne Antikoagulanzien nimmt im Alter zu. Je nach Autor variiert sie ab dem 65 Lebensjahr zwischen 0,09 und 0,65% und steigt auf 0,38 bis 0,67 bei den über 75 Jährigen (Hart 1995 und 1999[16], Flaherty 2007[17], Krishnamurthi 2013[18]). Auch oder auch trotz Antikoaguklation kann es zu thrombembolischen Ereignissen oder Blutungen kommen. Unter allen oralen Antikoagulanzien besteht bei Rivaroxaban das höchste Risiko an intracerebralen Blutungen (Angelozzi 2015[19]). Die genaue Anzahl an Blutungskomplikationen dürfte wegen einer ungewissen Anzahl an asymptomatischen Verläufen höher liegen.

Die Komplikation einer intracerebralen Blutung unter Rivaroxaban wurde 2014 von Lo (2014)[20] und 2015 von Ruschel (2015)[21] und Ismail (2017[22]) als epidurale Blutung beschrieben. Fälle einer asymptomatischen spontanen Blutung sind jedoch rar. Bei unserem Patienten war zwar eine Schädelverletzung vorausgegangen, doch sie war offensichtlich nicht die Ursache für das subdurale Hämatom. Dieses musste zu einem früheren Zeitpunkt entstanden und ohne Beschwerden verlaufen sein. Die Durchsicht der Krankenakte zeigte  keinen vorherigen Kontakt, so dass von einer asymptomatischen Blutung ausgegangen werden kann.

Fazit:

Intrazerebrale Blutungen können unter bestehender Antikoagulation auftreten und asymptomatisch verlaufen. Sie können als Zufallsbefund beim routinemäßigen Screening, z.B. nach einer Kopfverletzung, auffallen und bedürfen bei Beschwerdefreiheit einer Verlaufskontrolle und bei stationärem Verlauf keiner weiteren Therapie. Die Zahl an Blutungskompikationen dürfte aufgrund asymptomatischer Vrläufe höher sein als in Studien nachgewiesen.