Diskussion:
Eine
Obstruktion des Darms ohne ein mechanisches Hindernis kann akut oder
chronisch verlaufen. Sir Heneage Ogilvie (1948)[1]
berichtete erstmals über 2 Kranke mit kolikartigen Leibschmerzen und einer
ileusartigen Auftreiben des Dickdarmes. Bei ergebnisloser radiologischer und endoskopischer
Untersuchung stellte sich bei der Laparotomie eine maligne Infiltration des
Plexus coeliacus ohne krankhaften Befund am Dickdarm selbst dar. Als Erklärung führte Ogilvie ein Überwiegen
der parasympathischen Impulse aus dem Plexus
sacralis an mit einem Verlust der sympathischen Einflüsse durch die
maligne Infiltration. Daraus resultierte seiner Meinung nach ein segmentärer
Spasmus im Bereich des Sigmas.
Heute wird mit dem Ogilvie Syndrom eine chronische Pseudoobstruktion
beschrieben, bei der keine mechanische Ursache (engl.: Chronik idiopathisch intestinal pseudoobstruction (CIIP))
zugrunde liegt, sondern eine Motilitätsstörung der Darmwand bzw. eines
Darmsegmentes.
Sie kann myogen durch eine Erkrankung der Darmwandmuskulatur
oder neurogen durch eine Fehlfunktion der Darmnerven bedingt sein. Demzufolge
unterscheidet man eine viszerale Myopathie oder viszerale Neuropathie.
In sehr seltenen Fällen findet sich
eine Degeneration der lockeren bindegewebigen Verschiebeschicht innerhalb
der Muskularis propria ungeklärter Genese mit der Folge einer erschwerten
Muskelkontraktion (Desmose).
Für die Motilitätsstörung werden folgende
Ursachen angeführt:
§ Als
häufigste Ursache der CIIP wird eine Autoimmunreaktion angenommen (Ghirardo
2005)[2] mit
Bildung antineuronaler Antikörper und enterischer neuronaler Degeneration.
§ Als
Störung oder Rarifizierung der intestinalen Cajal-Zellen. Diese finden sich in
der Muskulatur des Gastrointestinaltrakts und vermitteln die elektromechanische
Aktivität für die gesamte gastrointestinale Motilität (Stanghellini 2005)[3],
z. B. bei der paraneoplastischen Form beim kleinzelligem Bronchialkarzinom (Pardi
1997[4], Sørhaug 2005[5]),
der slow-transit constpation (Wedel 2002)[6]
oder bei der idiopathischen Form (Boeckxstaens 2002)[7].
§ Als
autoimmune Erkrankung bei der enterischen Leiomyositis (Haas 2005)[8]
§ Als
Folge einer neurologischen Erkrankung (ALS oder MS)
§ Als
assoziiertes Symptom internistischer Erkrankungen ( hepatische
Enzephalopathie bei Leberzirrhose,
kongestive Herzerkrankung oder andere Autoimmunerkrankungen wie Lupus
erythematodes).
Klinisch
präsentiert sich die Erkrankung mit Stuhlverhalt bis hin zur Ileussymptomatik,
Völlegefühl und Inappetenz, einer Zunahme des
Leibumfanges und Inppetenz. Der Verlauf kann fortschreiten und bei zunehmender
Distension in einer Darmperforation mit akutem Abdomen münden.
Die Diagnostik schließt eine Bildgebung
sowie ein Labor mit Entzündungsparametern und Laktat ein. Radiologisch
imponieren auf einer Abdomenübersicht die distendierten Darmanteile. Ein
Abdomen CT ist aussagekräftiger, da es das Vorliegen relevanter Stenosen
detektieren kann. Häufig bestehen Beschwerden über Jahre und werden erst nach 5
bis 8 Jahren richtig gedeutet (Mann 1997[9], Stanghellini
2005) [1].
Differentialdiagnostisch
muss eine Spätmanifestation eines Morbus Hirschsprung erwogen
werden. Bei diesem besteht ein segmentaler enterischer Nervenzellmangel im
Rektum oder unteren Sigma. Er tritt meist post partum durch
einen Mekoniumileus in Erscheinung und
wird dann durch endoskopische,
radiologische, manometrische und histologische Methoden gesichert. In der Regel
liegt begleitend eine Motilitätsstörung des Antrums und Duodenums sowie des
gesamten Dünndarms vor, die auch ein frühes Völlegefühl verursachen können
(Nachweis über eine antroduodenale Manometrie).
Eine kausale Therapie gibt es in der
Behandlung des Ogilvie Syndroms nicht. Therapieansätze zielen in der Akutphase
auf eine endoskopische Absaugung gefangener Darmgase oder Anlage eines hohen
Darmrohres. Bei Komplikationen wie drohender oder eingesetzter Perforation wird
ein Anus praeter angelegt. Auch wurde eine totale Kolektomie diskutiert. Wenn
die Dünndarmmotilität vorrangig mitbetroffen ist, wurde auch schon eine
Dünndarmtransplantation in Erwägung geszogen und gelegentlich durchgeführt
(Stanghellini 2005).
Langfristig wird den Patienten empfohlen,
auf blähende Speisen zu verzichten. Einzelfälle beschreiben eine parenterale
Langzeiternährung über einen Port (Stanghellini 2005) oder Ernährungssonden
(Mann 1997). In Einzelfällen mit einer paraneoplastischen Genese mit
inhibierenden Mediatorstoffen wurde Oktreotid erfolgreich eingesetzt (Sørhaug 2005).
Auch werden Prokinetika zur Verbesserung
der GI-Dysmotilität eingesetzt. Dazu zählen Erythromycin, ein Makrolid-Antibiotikum,
häufig in Verbindung mit Octreotid. Dadurch wird die Antrum-Duodenal-Phase III
des migrierenden motorischen Komplexes stimmuliert und folglich der
Dünndarmtransit beschleunigt (Di Lorenzo 1999[10], Venkatasubramani 2008[11]).
Zusätzlich kann die Serotonin (5-Hydroxytryptamin oder 5-HT) stimmuliert werden.
Dazu gehört Prucaloprid, ein 5-HT4-Rezeptoragonist, mit prokinetischen Einfluss
auf die Magenentleerung und den Dünndarmtransit (Di Lorenzo 1991[12],
Hyman 1993[13],
Amiot 2009[14]).
Weitere Wirkstoffe sind die Acetylcholinesterase-Inhibitoren
(ACIs) Neostigmin und Pyridostigmin. Sie haben ihre Wirkung in Fällen, die
gegenüber Standardtherapien refraktär sind (Law 2001[15],
O’Dea 2010[16],
Di Nardo 2019[17]).
Zur Behandlung und Prophylaxe werden am häufigsten die Antibiotika Amoxicillin-Clavulanat, Ciprofloxacin, Doxycyclin und Metronidazo eingesetzt (Kirby 2018)[18]. Auch wurde Rifaximin empfohlen. Es ist ein schlecht resorbierbares Antibiotikum mit zusätzlicher bakteriziden/bakteriostatischen Wirkung aber geringer bakterieller Resistenz (Koo 2010[19], Rabenstein 2011[20]). Die Verabreichung führt zu einer Verbesserung der obstriktionsbedingten assoziierten Symptome (Menees 2012[21], Saadi 2013[22])