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Sonntag, 25. Juni 2023

Fall 80: Pseudoobstruktion des Colons (Der Fall)

 Zur Aufnahme kommt eine 42-jährige Patientin mit abdominellen Beschwerden. Seit einer Woche habe sie das Gefühl, dass der Bauch an Umfang zugenommen hätte. Sie klagte Völlegefühl und Inappetenz aber ohne Erbrechen. Der Stuhlgang wäre bis vor 2 Tagen schmierig gewesen mit kleinem Volumen und brauner Farbe. Bei ihr wäre vor 2 Jahren eine Colitis ulcerosa diagnostiziert worden, die gut mit Mesalazin und Salofalk eingestellt sei. Diesbezüglich bestanden auch keine wässrig schleimigen Stühle. Miktion wäre normwertig, eine Schwangerschaft ausgeschlossen. Auch wurden Fieber, Nachtschweiß oder Gewichtsverlust verneint.

Die Colitis ulcerosa hätte sich vor 2 Jahren als akute Proktitis manifestiert. Diese konnte mit lokalen Maßnahmen sowie der Kombination aus Salofalk und Mesalazin beherrscht werden. Dann hätte sich eine Coloskopie mit Etagen PE’s angeschlossen. Ferner ist eine primär biliäre Lebercirrhose bekannt, die ebenfalls in ambulanter Kontrolle wäre.

Bei der Untersuchung findet sich eine 42-jährige schlanke Patientin in gutem Allgemeinzustand. Sie erscheint fußläufig und wirkt wenig tangiert. Die Bauchdecken sind gebläht aber weich mit tympanitischem Klopfschall ohne lokalen Druckschmerz oder Abwehrspannung. Es zeigen sich keine Narben. Die Bruchpforten sind geschlossen, Peristaltik regelrecht und nicht klingend. Bei der Inspektion der Analregion liegt flüssig brauner Stuhl vor, der Sphinktertonus ist normal, der Sphinkter selbst ist nicht passierbar.

Die Sonografie des Abdomens ist erschwert. Die Oberbauchorgane stellen sich normwertig dar. Der gesamte Colonrahmen ist überbläht. Es findet sich kein Nachweis freier Flüssigkeit oder Darmkokaden.

Unter dem Verdacht einer distalen proktitischen Colonstenose wird ein CT des Abdomens angemeldet. Hierbei beschreibt der Radiologe ein Ogilvie Syndrom ohne Hinweis auf eine mechanische Stenose.

Das Labor weist eine Leukocytose von 12700 aus, ein CRP von 9 und ein normwertiges Laktat. Pathologisch ist das Kalium mit 2,4 mval.

Therapeutisch erfolgt die eingeschränkte Nahrungskarenz mit Infusionsprogramm und freiem Trinken sowie die Gabe von Solu Decortin H 250mg, die Fortführung der Eigenmedikation mit Salofalk und Mesalazin sowie die lokale Applikation von Salofalk Schaum. Zusätzlich wird die Patientin gastroenterologisch vorgestellt zur endoskopischen Dekompression.

Montag, 15. Mai 2023

Fall 79: Die asymptomatische Hirnblutung unter Rivaroxaban

Fall 79: Die asymptomatische Hirnblutung unter Rivaroxaban

Um 2.00 wird mit dem RTW ein 78-jähriger Mann vorgestellt. Dieser wurde blutüberströmt von seiner Ehefrau im Bett sitzend vorgefunden. Er gab an, im Badezimmer ausgerutscht und auf den Hinterkopf gefallen zu sein. Bewusstlosigkeit oder Commotiozeichen wurden explizit verneint.

Eigenanamnese:

Bei dem Patienten besteht neben einem Hypertonus eine Arrhythmie mit Vorhofflimmern. Medikamentös ist er seit 2 Jahren auf 15mg Rivaroxaban (Xarelto®) eingestellt.

Körperlicher Befund:

Bei der Aufnahme erscheint der Patient klar und zu allen Qualitäten orientiert. Der Sturzhergang kann problemlos angegeben werden. Neurologisch bestehen keine Defizite. Arme und Beine werden symmetrisch bewegt und können seitengleich gegen Widerstand mobilisiert werden. Der Patient trägt einen Druckverband am Kopf, der bereits durchblutet ist. Bei Abnahme findet sich occipital eine 5 cm lange tiefe Platzwunde mit einer persistierenden Wundrandblutung. Es besteht kein knöcherner Druckschmerz oder klinisch der Verdacht einer Schädelfraktur.

Im Labor besteht ein unauffälliges rotes Blutbild mit normwertiger klinischer Chemie. Die GFRC wird mit 55 mL/min angegeben.

Therapie und Verlauf:

Zunächst erfolgt die Wundversorgung, mit der die Blutung zum Stillstand gebracht werden kann. Das EKG zeigt die (bekannte) Arrhythmie bei Vorhofflattern. Aufgrund der Einnahme einer oralen Antikoagulation, wird ein Schädel-CT angemeldet.

 


Diagnose:

Chronisch subdurales Hämatom unter Rivaroxaban

Therapie

Der Patient wird zunächst auf die Intermediate Care Station zur weiteren Verlaufsbeobachtung aufgenommen. Er erhält gewichtsadaptiert 30 U/kg PPSB und ein Blutdruckmonitoring mit Zielvorgabe eines Blutdruckes unter 140mm Hg systolisch. Zusätzlich wird eine programmierte CT Kontrolle in 6 Stunden nach Aufnahme angemeldet. Diese zeigt einen konstanten und unveränderten Befund. Radiologisch stellt sich die Blutung aufgrund seiner hypodensen Dichtewerte als älter dar, so dass von einem chronischen Verlauf ausgegangen werden darf. Damit wird der Patient mit weiterhin beschwerdefreiem Verlauf auf die Normalstation verlegt und nach 48 Stunden symptomlos aus dem Krankenhaus entlassen.

Diskussion:

Eine intrakranielle Blutung (ICB) beschreibt mehrere verschiedene Zustände, einschließlich hämorrhagischer Schlaganfall und subdurales oder epidurales Hämatom, und ist durch die extravaskuläre Ansammlung von Blut im Schädel gekennzeichnet. Das Suduralhämatom liegt zwischen Dura und arachnoidaler Membran. Es findet sich häufig als Folge einer Schädelverletzung mit Verletzungen der Brücken- oder kortikalen Venen mit Einblutung in das Spatium subdurale. Als chronisch wird es ab dem 10. Tag nach Trauma definiert.

Intracerebrale Blutungsereignisse sind aufgrund der steigenden Zahl älterer Menschen und des zunehmenden Gebrauchs von oralen Antikoagulanzien (OAK) und Thrombozytenaggregationshemmern weltweit eine zunehmende Ursache für Tod und Behinderung (Qureshi 2009[1]). Die ICB ist die schwerwiegendste Komplikation einer oralen Antikoagulanzientherapie. Ihre  Sterblichkeitsrate von über 50 % liegt dreimal so hoch wie bei einem ischämischen Schlaganfall (Kleindorfer 2006[2]). Ihre Inzidenz ist durch den zunehmenden Gebrauch stark steigend (Hart 1995[3]).

Seit der Einführung der neuen Generation an nicht Vitamin K abhängigen oralen Antikoagulanzien ist die Behandlung von arrhythmiebedingten Komplikationen, z.B. Embolie und Apoplex, einfacher geworden. Marcumar erfordert ein kontinuierliches Monitoring, unterliegt nahrungsabhängigen Faktoren und ist von der Compliance der Patienten abhängig. Rivaroxaban ist ein Faktor Xa Inhibitor und braucht nur einmal täglich ohne INR Monitoring verabreicht zu werden. Der Nutzen wird dem von Marcumar gleichgestellt. Intracerebrale Blutungskomplikationen sollen sogar geringer sein (Patel 2011)[4]. Aus der eigenen Erfahrung treten Blutungskomplikationen jedoch im Vergleich zu Marcumar bei Rivaroxaban nicht nur häufiger auf sondern stellen je nach betroffener Körperregion schwerere bis lebensbedrohliche Komplikationen dar. So bestätigte Alberts (2012[5]) ein erhöhtes Risiko für Magen-Darm-Blutungen im Vergleich zu Marcumar. In der EINSTEIN Studie (2010)[6] fanden sich bei Patienten über 65 Jahren zudem höhere Thrombose- und Blutungsraten als bei den unter 65 Jährigen.

Rivaroxaban erfährt überdies besondere Einschränkungen. Es ist bei Patienten mit Lebererkrankungen kontraindiziert, die mit einer Koagulopathie verbunden sind (Graff 2013[7]). Auch muss der Nutzen bei Patienten mit verminderter Kreatinin-Clearance kritisch abgeschätzt werden, da sich die Eleminationszeit verlängert und damit das  Blutungsrisiko erhöht (Kubitza 2010[8], Samama 2011[9], Hori 2013[10]). Die empfohlene Höchstdosis ist daher abhängig von der Nierenfunktion. Bei einer Kreatininclearance von über 50 mL/min beträgt sie 20mg und 15mg bei einer Clearance von 15 bis 50 mL/min. Die scheinbar bessere Steuerbarkeit durch den Wegfall der INR Kontrolle wird somit durch die Kontrolle der Nierenfunktion ersetzt. Zusätzlich bieten sich weiterhin Gerinnungskontrollen an, da eine Überdosierung im Labor als INR Erhöhung manifest wird. Die Gefahr einer Blutungskomplikation scheint damit dosisabhängig zu sein (Ruff 2014[11]).

Ein anderer Aspekt sind medikamentöse Interaktionen. Nagaraja (2019)[12] betonte die Bedeutung arzneimittelbedingter Nebenwirkungen, die die Interaktion mit Rivaroxaban verstärken, insbesondere Amiodaron (Amin 2016[13], Hellwig 2013[14]), Amlodipin (Gonzva 2015[15]) und Thrombozytenaggregationshemmer.

Die Inzidenz von intrazerebralen Blutungen ohne Antikoagulanzien nimmt im Alter zu. Je nach Autor variiert sie ab dem 65 Lebensjahr zwischen 0,09 und 0,65% und steigt auf 0,38 bis 0,67 bei den über 75 Jährigen (Hart 1995 und 1999[16], Flaherty 2007[17], Krishnamurthi 2013[18]). Auch oder auch trotz Antikoaguklation kann es zu thrombembolischen Ereignissen oder Blutungen kommen. Unter allen oralen Antikoagulanzien besteht bei Rivaroxaban das höchste Risiko an intracerebralen Blutungen (Angelozzi 2015[19]). Die genaue Anzahl an Blutungskomplikationen dürfte wegen einer ungewissen Anzahl an asymptomatischen Verläufen höher liegen.

Die Komplikation einer intracerebralen Blutung unter Rivaroxaban wurde 2014 von Lo (2014)[20] und 2015 von Ruschel (2015)[21] und Ismail (2017[22]) als epidurale Blutung beschrieben. Fälle einer asymptomatischen spontanen Blutung sind jedoch rar. Bei unserem Patienten war zwar eine Schädelverletzung vorausgegangen, doch sie war offensichtlich nicht die Ursache für das subdurale Hämatom. Dieses musste zu einem früheren Zeitpunkt entstanden und ohne Beschwerden verlaufen sein. Die Durchsicht der Krankenakte zeigte  keinen vorherigen Kontakt, so dass von einer asymptomatischen Blutung ausgegangen werden kann.

Fazit:

Intrazerebrale Blutungen können unter bestehender Antikoagulation auftreten und asymptomatisch verlaufen. Sie können als Zufallsbefund beim routinemäßigen Screening, z.B. nach einer Kopfverletzung, auffallen und bedürfen bei Beschwerdefreiheit einer Verlaufskontrolle und bei stationärem Verlauf keiner weiteren Therapie. Die Zahl an Blutungskompikationen dürfte aufgrund asymptomatischer Vrläufe höher sein als in Studien nachgewiesen.

 

 

Samstag, 1. April 2023

Fall 78: Covid maskiert als Nierenkolik

Seit dem ersten gemeldeten Covid-19 am 28.1.2020 hat sich das Verständnis der Erkrankung durch Sars-Cov 2 grundlegend verändert. Galt die pulmonale Manifestation zunächst als pathognomonisch, änderte sich die klinische Präsentation im weiteren Verlauf der Pandemie. Wir berichten über einen Patienten mit klinischen Symptomen einer Nierenkolik, bei dem mehr zufällig eine pulmonale Manifestation mit Covid 19 auffiel.

Der Fall:

In der Notaufnahme stellt sich um 1.25 Uhr ein 52 jähriger Patient vor. Er war bereits in der vorigen Nacht zur gleichen Zeit vorstellig geworden. Geklagt werden intermittierende linksseitige Flankenschmerzen mit einer Intensität von 9 bis 10 VAS. Allgemeinsymptome bestehen nicht. Fieber, Übelkeit, Erbrechen werden verneint, ebenso wie Unregelmäßigkeiten bei Miktio oder Stuhlgang. Der Patient habe das Gefühl, dass die Beschwerden lagerungsabhängig im Liegen stärker ausgeprägt seien.

Insbesondere in Zeiten von Corona werden Kontakte mit positiv getesteten Personen oder Covid typische Symptome verneint. Der diensthabende Arzt am Vortag hatte den Eindruck einer vertebragenen Genese. Beschwerden waren bewegungsabhängig mit einem punktuellen paravertebralen Druckschmerz. Eine Urinuntersuchung und Ultraschalluntersuchung waren routinemäßig durchgeführt worden, hatten aber keinen pathologischen Befund erbracht hatte. Es wurde die symptomatische Analgesie empfohlen.

Bei der erneuten Vorstellung zeigte sich ein Patient mit Bewegungsdrang. Er hockte bei Kontakt  vor der Untersuchungsliege und vermochte keine bequeme Position auf der Liege einzunehmen. Das Abdomen tastete sich weich. Es fanden sich keine Hinweise für Leisten- oder Bauchwandhernien. Die Wirbelsäule konnte allseits schmerzfrei bewegt werden. Es wurden keine paravertebralen Schmerzpunkte sondern Beschwerden unter dem linken Rippenbogen und dem Nierenbecken angegeben. Die Vitalparameter, insbesondere die pO2, waren unauffällig.

Sonografisch fanden sich unauffällige Oberbauchorgane. Insbesondere die linke Niere stellte sich ohne Aufstauung oder echogene Binnenstrukturen dar. Keine freie Flüssigkeit,  Darmkokaden oder erweiterte Pankreasloge

Laborchemisch fielen erhöhte Entzündungswerte auf: Leukos 28.300 G/l sowie ein CRP 138 mg/dl. Elektrolyte, Leberwerte, Pankreasfermente und Creatinin normwertig. Das Urinsediment war positiv für Blut. Der POCT PCR-Test  bei Aufnahme war ohne Nachweis einer aktiven Covid-19 Infektion.



 Fig 1: Initiales CT Abdomen

Unter dem Verdacht einer Nierenkolik mit möglicher Nierenbeckenentzündung wurde ein „Stein“-CT des Abdomens durchgeführt. Eine Urolithiasis oder Harnabflussstörung konnten nicht dargestellt werden. In den basalen Lungenanschnitten fielen milchglasartige Veränderungen wie bei einer Covid Infektion auf (Kategrie 2, Cov19ind). Es wurde ein Thorax-CT angeschlossen. Dabei fielen die folgenden Befunde auf:

   


Fig 2: CT Thorax mit Covid-19 typischen Anzeichen einer pulmonalen Infektion

 In den basalen Abschnitten stellte sich sich in beiden Lungen ein Mischbild aus Dystelektasen sowie milchglasartigen Eintrübungen i.S einer stattgehabten Covid-19 Infektion dar.

Die Therapie startete mit einer gezielten Antibiose. Der PCT Test am Folgetag konnte keine aktive Infektion nachweisen. Der Patient verließ daraufhin die Klinik gegen ärztlichen Rat.

Diskussion:

Der erste bestätige Fall einer Infektion mit dem „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2) in Deutschland wurde am 28.01.2020 berichtet. Ab diesem Zeitpunkt breitete sich das Virus in ganz Deutschland pandemisch aus. Für die Schwere des Verlaufs ist der Lungenbefall entscheidend. Mit zunehmender Dauer der Pandemie wurde jedoch auch deutlich, dass sich Covid-19 erheblich von seinen Vorgängern SARS („severe acute respiratory syndrome“) und MERS („middle east respiratory syndrome“) unterscheidet. Zu den führenden Symptomen zählten zunächst Fieber, Halsschmerzen, Husten und Atemnot mit bevorzugter Manifestation hauptsächlich des Atemtrakts als Kardinalsymptome.

Im Verlauf der COVID-19-Pandemie erweiterte sich das klinische Spektrum jedoch um zusätzliche Oganmanifestationen wie Kopfschmerzen, abdominelle Symptomatiken, vaskulärer Befall, Durchfall, Geschmacks- und Geruchsverlust oder Hautveränderungen. Das Verständnis der Erkrankung wandelte sich dadurch zu einer Systemerkrankung mit einem sehr heterogenen Erscheinungsbild. Dabei können einerseits respirratorische Symptome im Vordergrund stehen aber auch nur die einzelnen Organmanifestationen.

In unserem Fall stellte sich ein junger Patient mit intermittierenden Flankenschmrzen und Bewegungsdrang vor. Differentialdiagnostisch kam zunächst eine nephrogene Ursache mit Steinpassage bei Urolithiasis in Frage. Dies wäre konsistent mit dem Nachweis von Blut im Sediment gewesen. Die erhöhten Entzündungswerte blieben unklar. Sonografie und das „Stein“ CT konnten eine Nephro-oder Urolithiasis nicht bestätigen. Stattdessen fielen basale pulmonale Residuen einer stattgehabten Covid-19 Infektion. Diese wiederum erklären die erhöhten Entzündungsparameter. Fieber bestand nicht und auch anamnestisch bestand kein Hinweis für eine durchgemachte Covid-19 Infektion. Der initiale PO-PCT Test fiel negativ aus.

Damit fällt unser Patient in die Gruppe von Patienten, bei denen aufgrund gastrointestinaler Symptome eher zufällig im abdominalen Computertomographie die Diagnose einer Covid 19 Infektion gestellt wird. Dabei waren nicht die abdominellen Veränderungen richtungsweisend sondern die basal angeschnittenen Lungenabschnitte.

Eine multizentrische Studie von Pan et al (2020)[i] fand dazu heraus, dass mehr als 50% der 204 Patienten über Verdauungssymptome wie Appetitlosigkeit, Durchfall, Erbrechen und Bauchschmerzen berichteten. Eine kürzlich durchgeführte Metaanalyse von 4234 Patienten ergab eine Prävalenz der GI-Symptome von 17,6% (Cheung 2020)[ii]. The high incidence could be confirmed by Schmulson (2020)[iii] in a review of the literature of 2800 cases that revealed 39% of abdominal symptoms in a Covid infection. Drei Fallberichte enthielten Hämatochezie als Symptom (Jaijakul 2020[iv], Carvalho 2020[v], Guotato 2020[vi]).

Auch Hormati (2020)[vii] berichtete über eine Anzahl von Patienten mit untypischen abdominellen Symptomen, bei denen auf dem Abdomen -CT basale Lungenveränderungen auffielen, die als Covid-19 Erkrankung bestätigt werden konnten.

Es gibt auch mehrere Fallberichte von Patienten, bei denen anfangs oder im Verlauf ihrer gesamten Infektion ausschließlich GI-Symptome auftreten (Pazgan-Simon 2020[viii], Xiao 2020, Yang 2020, Gahide 2020[ix]). Die größte Studie, eine Single-Center-Studie von Luo (2020)[x] zeigte, dass von 1141 bestätigten Fällen von COVID-19 16% der Erkrankten über GI-Symptome klagten. Viele Fälle von COVID-19 konnten dabei erst durch abdominale Bildgebungsscans gefunden werden (Sendi 2020[xi], Siegel 2020[xii], Kim 2020[xiii], Dane 2020[xiv]). Hossain et al (2020)[xv] fanden heraus, dass sich in mehr als 50% ihrer 119 Patienten in dem CT der Bauch- oder Wirbelsäule Anzeichen von COVID-19 zeigten.

Einige Autoren empfehlen Radiologen daher, die CT-Untersuchungen des Abdomens sorgfältig auf typische COVID-19-Befunde an den Lungenbasen zu überprüfen (Amaral 2020)[xvi].

Die kolikartige Symptomatik unseres Patienten wies zunächst auf eine Urolithiasis. Der umschriebene Schmerz mit hoher Intensität und intermittierendem Charakter mochte nicht zu einer Lungenbeteiligung durch Covid-19 passen. Dazu gibt es jedoch eine Untersuchung von Widyardhama (2020)[xvii], die über Muskelschmerzen zusammen mit einer COVID-19 Infektion berichtet. Andere Schmerzformen, z.B. Gelenkschmerzen, Magenschmerzen und Hodenschmerzen, werden genannt. Auch neuropathische Schmerzen können auftreten, sind jedoch eher selten. Es wird angenommen, dass COVID-19-Mechanismen im Nerven- und Bewegungsapparat durch die Expression und Verteilung des Angiotensin-Converting-Enzyms 2 (ACE-2) verursacht werden.

Als Standardverfahren zur Identifizierung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) bei Patienten mit klinischen Symptomen ist der Nachweis durch eine Abstrichuntersuchung aus dem Nasen-/Rachenraums mit RT-PCR-Testung (RT-PCR, Reverse-Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion, im Folgenden „PCR“) auf virale RNA (12). Sie bietet eine fast absolute Sicherheit, Virusmaterial zu identifizieren und damit die spezifische Diagnose einer SARS-CoV-2-Infektion zu stellen (3). Doch selbst bei korrekter Abstrichentnahme werden falsch-negative PCR-Resultate gesehen (45). Die Wiederholung des Tests ist daher bei suggestiver klinischer Symptomatik üblich.

Als weiteres tool steht die native Niedrigdosis-Computertomografie des Thorax (ND-CT) zur Behandlungssteuerung von Patienten mit COVID-19 zur Verfügung. Früh wurde fiel auf, dass die COVID-19-assoziierte Pneumonie im CT einen charakteristischen Befund erzeugt. Diese bestehen aus dichten, peripher gelegenen Milchglastrübungen oder einem Mischbild aus Milchglastrübungen und Konsolidierungen. Dabei können die Milchglastrübungen durch ein feines Netzmuster (Retikulationen) überlagert sein. Dieses wird als „Crazy Paving“ bezeichnet. Dabei können die Gefäße innerhalb der Verdichtungen oder periläsional dilatiert sein. Die Verdichtungen sind häufig rund, geografisch oder streifig. Es findet sich eine multifokale und bilaterale Verteilung mit einem bevorzugten Befall der posterioren Unterlappen. Differentialdiagnostisch erinnern die Veränderungen an eine (kryptogen) organisierende Pneumonie. Die Milchglasanteile treten mit zunehmendem Schweregrad in den Hintergrund und es überwiegen die Konsolidierungen bishin zum diffusen Alveolarschadens (diffuse alveolar damage, DAD) (Schaible 2020)[xviii].

Die Einteilung [xix]

Das native Niedrigdosis-CT (ND-CT) weist eine hohe Treffsicherheit der ND-CT für die Diagnostik von COVID-19 auf mit hoher Sensitivität (94,7 %) und Spezifität (91,4 %) gegenüber anderen Lungenerkrankungen derselben klinischen Symptomatik. Diese hohe Aussagefähigkeit wird durch ein Abstrichergebnis und den klinischen Verlauf erreicht. Aber auch andere Effekte spielen eine Rolle, z.B. die Prävalenz, saisonaler Viren wie z.B.  Influenza- oder RS-Viren, als Ursache von pneumonischer Veränderungen.

Obwohl die positive Abstrichuntersuchung/PCR die Diagnose COVID-19 mit absoluter Spezifität/PPV etabliert, besteht der Vorteil der ND-CT in einer schnelleren Verfügbarkeit ihrer Ergebnisse, i.d.R. im Median nach neun Minuten, wohingegen die Abstrichergebnisse erst nach einem Median von 8,3 Stunden verfügbar waren. Das ermöglicht in einer pandemischen Situation eine zügige Identifikation eines potenziell infektiösen Patienten.

Zur Klassifizierung kann die COV-RADS Einteilung herangezogen werden. Sie berücksichtigt die Ermittlung diagnostischer Kennzahlen. Eine Kategorie COV-RADS-2 ermöglicht dem Radiologen, eine Lunge mit eindeutig pathologischem Befund als test-negativ zu bezeichnen, wenn die Infiltrate nicht COVID-19-suspekt sind.

Fazit:

Abdominelle Beschwerden können eine atypische Präsentation von Covid-19 sein. Sie treten sehr heterogen in Erscheinung und können neben gastrointestinalen Symptomen auch das klinische Bild einer Nierenkolik imitieren. Bis zum Ausschluss einer Covid-19 Infektion sollte sich das medizinische Personal entsprechend schützen.

Montag, 12. Dezember 2022

Distale Radiusfraktur: Bruchspalt besser als überliefert

Bei geschlossenen distalen Radiusfrakturen besteht die Kontroverse, ob eine Bruchspaltanästhesie durchgeführt werden darf. Die vorliegende Arbeit bestätigt, dass die Vorbehalte unbegründet zu sein scheinen. Sie stellt eine ebenso sichere Methode dar wie die intravenöse Analgesie. Eine Studie der Charité hat beide Varianten retrospektiv verglichen und keine nennenswerten Unterschiede in Bezug auf Komplikationen gefunden.

Ziel einer Reposition eir Radius oder Unterarmfraktur ist die Wiederherstellung der Anatomie unter einer ausreichenden Analgesie. Bei der distalen Radiusfraktur besteht die Möglichkeit, diese als Bruchspaltanästhesie durchzuführen. Bislang bestehen Bedenken, dass durch die Punktion aus einer geschlossenen eine "offene" Fraktur werden kann und sich dadurch das Infektionsrisiko erhöhen kann. Dies ist im Hinblick auf eine sich anschließende Osteosynthese rinr vermeidbare Komplikation.

Hämatomblock versus intravenöse Analgesie

In einer retrospektiven Studie an 170 Patienten mit 176 Frakturen wurden der Nutzen einer Bruchspaltanästhesie (BS) mit der intravenösen Analgesie verglichen. Die Nachuntersuchung zog sich über 4 Jahre. Dabei schien keines der beiden Verfahren dem anderen in nennenswertem Maß überlegen zu sein. Insbesondere schwere Komplikationen wie Morbus Sudeck oder lokale Infektionen traten in der BS-Gruppe nicht häufiger auf, und auch bei den leichteren Komplikationen gab es keinen signifikanten Unterschied.

In den 42 Fällen aus der BS-Gruppe wurden in den Bruchspalt – nach vorheriger Aspiration des Hämatoms – 10 ml Prilocain 2% injiziert. Die Lage der Nadel wurde röntgenologisch mittels Bildverstärker kontrolliert. Die Injektion des Lokalanästhetikums erfolgte in die Region des oberflächlichen sensorischen Asts des N. radialis.

In der Vergleichsgruppe (n = 134) wurde die Reposition unter intravenöser Analgosedierung mit 7,5 bis 15 mg Piritramid durchgeführt.

Das Einrichten erfolgte in beiden Fällen nach 15-minütigem Aushang der Finger im Mädchenfänger (longitudinaler Zug und Gegenzug mit 2–5 kg) unter Röntgenkontrolle. Danach erhielten die Patienten in der Regel eine Plattenosteosynthese; nur in zwei Fällen wurde die Fraktur mithilfe eines Fixateur externe stabilisiert.

Komplikationsrate in beiden Gruppen gleich

Komplikationen traten insgesamt in rund 20% aller Fälle auf. Dabei kam es pro Gruppe in jeweils einem Fall zu einer Lokalinfektion. Ein komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS, Morbus Sudeck) wurde dagegen nur in der IA-Gruppe registriert.

Die Raten geringfügiger Komplikationen waren in den beiden Gruppen nahezu gleich (19% bzw. 18%). Es wurden einzelne Fälle von Sehnenentzündungen, sensorischen und motorischen Defiziten, sekundären Reduktionsverlusten und Karpaltunnelsyndromen beobachtet. Nur in der IA-Gruppe trat jeweils ein Fall einer Neuralgie, einer überschießenden Narbenbildung sowie eines postoperativen Ganglions auf.  

Unabhängig von der Art der Analgesie traten Komplikationen bei jüngeren Patienten insgesamt öfter auf. Der Frakturtyp dagegen hatte keinen Einfluss.

Gegenüber der Allgemeinanästhesie hat die Bruchspaltanästhesie den Vorteil, dass sie relativ schnell verfügbar ist und Ressourcen spart. In früheren Studien hatte man zwar auf Komplikationen wie Osteomyelitis und Krampfanfälle hingewiesen; diese waren in der aktuellen Studie jedoch in keiner der beiden Gruppen aufgetreten. Den Autoren zufolge lassen sich solche systemischen Nebenwirkungen vermeiden, indem man beim HB den Sitz der Nadel sorgfältig mittels Röntgenbildverstärker kontrolliert. In dem einen Fall einer lokalen Infektion in der HB-Gruppe zeigte der Patient keine Anzeichen für eine Osteomyelitis. Nach einem Revisionseingriff erholte er sich vollständig.

Literatur

Maleitzke T et al. Haematoma block: A safe method for presurgical reduction of distal radius fractures. J Orthop Surg Res 2020; https://doi.org/10.1186/s13018-020-01819-y

Montag, 29. August 2022

Fall 77: Die komplizierte Ellenbogenluxation: CT und Therapie

 Diagnose:

1. Dorsale Ellenbogenluxation

2. Transscaphoidale perilunäre Luxation (DeQuervainscher Verrenkungsbruch)

Das Röntgen zeigt eine perilunäre Luxation. Zusätzlich besteht ein Abriss des Processus styloideus radii sowie eine Scaphoidfraktur im mittleren Drittel. Der Carpus ist um das Lunatum dorsalwärts luxiert. Das Lunatum "steht leer" ohne Artikulation mit dem Scaphoid. An seinem distalen palmaren Pol stellt sich zusätzlich eine Frakturlinie dar.

Therapie:

Es erfolgt in Narkose die Reposition des Ellenbogens. Dieser stellt sich bis auf eine ulnare 1°ige Instabilität als ansonsten stabil heraus. Am Handgelenk kann die Luxation im Längszug reponiert und stabil retiniert werden. Es wird ein Oberarmcast angelegt.

Postinterventionell ist die neurologische Symptomatik sofort rückläufig. Es schließt sich nun die weiterführende Diagnostik mit einem CT des Handgelenkes an.

 

 

Im CT bestätigt sich die Fraktur durch das Scaphoid. Es besteht eine Diastase mit zusätzlichem Fragment. Dar Processus styloideus ist frakturiert mit Dislokation um ca 1mm. Und das Lunatum zeigt eine schollige palmare Asprengung. Insgesamt ist der Carpus reponiert. Der Frakturverlauf zeigt insgesamt die einwirkende Kraftlinie.

 Diskussion:

Bei der perilunären Luxation verschiebt sich die distale Reihe des Carpus mit dem Os triquetrum und Os scaphoideum gegen das Os lunatum. Dabei verbleibt das Lunatum in seiner normalen Position. Liegt zusätzlich eine Skaphoidfraktur vor, spricht man von einer De-Quervain-Luxationsfraktur.

Als Ursache werden Hochrasantztrauma mit Sturz auf das überstreckte (dorsal-flexierte) Handgelenk beschrieben. Häufig ist auch der Proc. styloideus radii/ulnare, das Os scaphoideum (De-Quervainfraktur) oder das Os capitatum mitbetroffen.

Die Klassifikation erfolgt nach Tröger oder Mayfield.

Die häufigste Form ist die dorsale perilunäre  Luxation (90%). Daneben finden sich noch die palmare perilunäre Luxation, transstyloperilunäre Luxation und die transscaphoido-transcapitato-perilunäre Luxation. Bei einer Fraktur des Os scaphoideum und Luxation des Os lunatum spricht man von einer De-Quervain-Luxationsfraktur.

Es imponiert eine Schwellung und Verformung des Handrückens mit einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung, evtl. auch -aufhebung bishin zur Bajonettstellung aufgrund der Verschiebung der Handwurzelknochen gegen das Os lunatum. Bei palmarer Luxation sind neurologische Symptome mit Parästhesien der palmaren ersten drei Finger durch Bedrängung des N. medianus häufig. Bei einer  Dorsalluxation sind Strecksehnenrupturen beschrieben. Auf die Durchblutung ist zu achten, die bei Kompromittierung in möglichen Nekrosen resultieren können

Die Diagnose erfolgt nach klinischer Untersuchung (Cave! Durchblutung-Sensibilität-Motorik-Kontrolle) durch das Röntgen des Handgelenks in 2 Ebenen. Hier fallen folgende Merkmale auf:

1. Das Os Lunatum weist eine atypische Dreiecksform auf.

2. Die Karpalbögen (= Gilula-Linien) sind unterbrochen.

3. Im seitlichen Strahlengang erscheint die luxierte Stellung des Os lunatum nach palmar oder dorsal.

Therapie: 

Eine Luxation ist eine Notfallsituation! Primär erfolgt der Versuch einer geschlossenen Reposition in Plexusanästhesie oder Vollnarkose. Im Prinzip wird die betroffene Hand im Längszug  unter BV Kontrolle reponiert. Dies kann nach einer Plexusanästhesie im Aushang mit Mädchenfängern erfolgen (über 20 Minuten mit einem Gewicht von 4-6kg) oder in Narkose manuell über ein Hypomochlion.

 Nach Reposition wird ein Oberarmcast mit Daumeneinschluss angelegt. Dieser bleibt für 6 Wochen und kann anschließend für nochmals 6 Wochen auf einen Unterarmcast mit Daumeneinschluss gewechselt werden.

Einen Notfallindikation für eine offene Reposition besteht bei neurologischen Defiziten. Hier wird über einen dorsalen Zugang, bei Nervus Medianus-Irritation über einen volaren Zugang vorgegangen und die Fixation mit Kirschnerdraht angeschlossen.

Bei misslungenem Repositionsversuch oder bei Reluxationstendenz wird je nach vorliegender Verletzung eine perkutane Fixierung des Os lunatum gegen das Os capitatum und Os scaphoideum mittels Kirschner-Draht durchgeführt. Begleitpathologien können dabei mitversorgt werden, z.B. Verschraubung bei Fraktur des  Os scaphoideum.

Analog zu oben erfolgt eine Ruhigstellung im Oberarmcast bzw. Unterarmcast für mindestens 8 Wochen. Der Kirschner-Draht wird anschließend entfernt.

Bei der De-Quervain-Luxationsfraktur besteht immer die Indikation zur OP. Zunächst erfolgt eine geschlossene Reposition, der sich die Schraubenosteosynthese anschließt. Liegen instabile Verhältnisse mit einer Reluxationsneigung vor, wird zusätzlich eine Fixierung mit Kirschnerdrähten angeschlossen. Postoperativ wird das Handgelenk für 8 Wochen ruhiggestellt und die Drähte vor Mobilisation entfernt. 

Die Prognose richtet sich im Wesentlichen nach dem Einsetzen einer Lunatumnekrose, oder Reluxation. Mit chronischen Schmerzen und einer Arthrosebildung ist ebenso zu rechnen wie mit Bewegungseinschränkungen.

Donnerstag, 18. August 2022

Risiko postoperativer Blutungen durch NSAR nicht erhöht

Der Einsatz von NSAR als Teil des postoperativen Schmerzmanagements scheint das akute Blutungsrisiko nicht zu erhöhen. Zu diesem Schluss kommen US-Forscher nach Auswertung der Daten von über 150.000 Chirurgiepatienten.

In der postoperativen Schmerztherapie werden nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) oft zurückhaltend eingesetzt, obwohl sie eigentlich eine wichtige Ergänzung oder gar eine Alternative zu Opioiden wären. Ein wichtiger Grund ist die Angst vor Blutungen. Diese Sorge ist jedoch wahrscheinlich nicht berechtigt; das legen zumindest die Ergebnisse einer Metaanalyse über 74 Studien nahe. An der US-Studie waren insgesamt 151.031 chirurgische Patienten beteiligt. Den Daten zufolge erhöhten NSAR bei Verabreichung kurz vor, während oder unmittelbar nach der Op. das Risiko akuter Blutungen nicht nennenswert.

Beschränkung auf "signifikante Blutungen"

Das Autorenteam um Dr. Tasce Bongiovanni von der University of California in San Francisco hatte sich bei der Auswertung auf „signifikante Blutungen“ beschränkt. Solche lagen definitionsgemäß vor, wenn ein Hämatom dokumentiert war, der Patient aufgrund einer Blutung erneut operiert werden musste oder einer Bluttransfusion bedurfte.

Zu jedem dieser Endpunkte führten die Forscher jeweils eine separate Metaanalyse durch. Diese umfasste für das Hämatom 35 Studien, für die blutungsbedingte erneute Op. 19 und für die Bluttransfusion 16 Studien. Bei mehr als der Hälfte der Studien handelte es sich um randomisierte kontrollierte Studien (RCT), der Rest waren Kohortenstudien.

Der Unterschied zwischen der Gruppe mit bzw. ohne perioperativ verabreichte NSAR war in keiner der Auswertungen signifikant. Die Studienheterogenität hielt sich dabei in Grenzen (allenfalls niedrige Heterogenität). Bei den Eingriffen dominierten solche an der Brust (14 Studien), gefolgt von abdominalchirurgischen (10) und orthopädischen Eingriffen (9). Die Nachbeobachtungsdauer reichte von zwölf Stunden bis drei Tagen. Das Team weist darauf hin, dass ausgerechnet die beiden Studien mit dem kürzesten Follow-up industriegesponsert waren. Etwaige Nachblutungen seien hier möglicherweise nicht erfasst worden, schränken Bongiovanni et al. ein.

 Auch bei einzelnen NSAR kein großer Unterschied

In Subanalysen wurde der Effekt verschiedener NSAR-Typen untersucht. Dabei handelte es sich um Ketorolac (verwendet in 41 Studien), Diclofenac (8), Ibuprofen (8), Celecoxib (6), Ketoprofen (5) oder Parecoxib (4). Auch hier fand sich nirgendwo ein Hinweis auf einen signifikanten Unterschied bei Verwendung bzw. Nichtverwendung des jeweiligen Präparats.

Studien, in denen man ausschließlich die Wirkung von Acetylsalicylsäure (ASS) untersucht hatte, waren ausgeschlossen. Das Gleiche galt für Studien, die den Effekt einer Langzeittherapie mit NSAR zum Gegenstand hatten, oder in denen die Substanzen lediglich präoperativ verabreicht worden waren.

Was in der Metaanalyse nicht berücksichtigt werden konnte, waren verschiedene Altersgruppen. Hier war es aufgrund der unterschiedlichen Einteilungsmodalitäten nicht möglich, eine einheitliche Stratifizierung vorzunehmen.

Nach Bongiovanni und Kollegen müssten zwar stets auch andere NSAR-Nebenwirkungen (z. B. Gastritis) in Betracht gezogen werden. Im Hinblick auf das postoperative Blutungsrisiko seien die Substanzen bei kurzfristiger Anwendung jedoch wahrscheinlich sicher und könnten als Teil eines multimodalen postoperativen Schmerzmanagements in vielen chirurgischen Fachgebieten zum Einsatz kommen.

 

Literatur

Bongiovanni T et al. Systematic Review and Meta-Analysis of the Association Between Non-Steroidal Anti-Inflammatory Drugs and Operative Bleeding in the Perioperative Period. J Am Coll Surg 2021; https://doi.org/10.1016/j.jamcollsurg.2021.01.005

 

Mittwoch, 20. Juli 2022

Fall 76: Die falsche Nierenkolik (Auflösung)

 Unter dem Verdacht einer Nierenkolik mit möglicher Nierenbeckenentzündung wurde ein „Stein“-CT des Abdomens durchgeführt. Eine Urolithiasis oder Harnabflussstörung konnten nicht dargestellt werden. In den basalen Lungenanschnitten fielen milchglasartige Veränderungen wie bei einer Covid Infektion auf (Kategrie 2, Cov19ind). Es wurde ein Thorax-CT angeschlossen. Dabei fielen die folgenden Befunde auf:


In den basalen Abschnitten stellte sich sich in beiden Lungen ein Mischbild aus Dystelektasen sowie milchglasartigen Eintrübungen i.S einer stattgehabten Covid-19 Infektion dar.

Die Therapie startete mit einer gezielten Antibiose. Der PCT Test am Folgetag konnte keine aktive Infektion nachweisen. Der Patient verließ daraufhin die Klinik gegen ärztlichen Rat.

Diskussion:

Der erste bestätige Fall einer Infektion mit dem „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2) in Deutschland wurde am 28.01.2020 berichtet. Ab diesem Zeitpunkt breitete sich das Virus in ganz Deutschland pandemisch aus. Für die Schwere des Verlaufs ist der Lungenbefall entscheidend. Mit zunehmender Dauer der Pandemie wurde jedoch auch deutlich, dass sich Covid-19 erheblich von seinen Vorgängern SARS („severe acute respiratory syndrome“) und MERS („middle east respiratory syndrome“) unterscheidet. Zu den führenden Symptomen zählten zunächst Fieber, Halsschmerzen, Husten und Atemnot mit bevorzugter Manifestation hauptsächlich des Atemtrakts als Kardinalsymptome.

Im Verlauf der COVID-19-Pandemie erweiterte sich das klinische Spektrum jedoch um zusätzliche Oganmanifestationen wie Kopfschmerzen, abdominelle Symptomatiken, vaskulärer Befall, Durchfall, Geschmacks- und Geruchsverlust oder Hautveränderungen. Das Verständnis der Erkrankung wandelte sich dadurch zu einer Systemerkrankung mit einem sehr heterogenen Erscheinungsbild. Dabei können einerseits respirratorische Symptome im Vordergrund stehen aber auch nur die einzelnen Organmanifestationen.

In unserem Fall stellte sich ein junger Patient mit intermittierenden Flankenschmrzen und Bewegungsdrang vor. Differentialdiagnostisch kam zunächst eine nephrogene Ursache mit Steinpassage bei Urolithiasis in Frage. Dies wäre konsistent mit dem Nachweis von Blut im Sediment gewesen. Die erhöhten Entzündungswerte blieben unklar. Sonografie und das „Stein“ CT konnten eine Nephro-oder Urolithiasis nicht bestätigen. Stattdessen fielen basale pulmonale Residuen einer stattgehabten Covid-19 Infektion. Diese wiederum erklären die erhöhten Entzündungsparameter. Fieber bestand nicht und auch anamnestisch bestand kein Hinweis für eine durchgemachte Covid-19 Infektion. Der initiale PO-PCT Test fiel negativ aus.

Damit fällt unser Patient in die Gruppe von Patienten, bei denen aufgrund gastrointestinaler Symptome eher zufällig im abdominalen Computertomographie die Diagnose einer Covid 19 Infektion gestellt wird. Dabei waren nicht die abdominellen Veränderungen richtungsweisend sondern die basal angeschnittenen Lungenabschnitte.

Eine multizentrische Studie von Pan et al (2020)[i] fand dazu heraus, dass mehr als 50% der 204 Patienten über Verdauungssymptome wie Appetitlosigkeit, Durchfall, Erbrechen und Bauchschmerzen berichteten. Eine kürzlich durchgeführte Metaanalyse von 4234 Patienten ergab eine Prävalenz der GI-Symptome von 17,6% (Cheung 2020)[ii]. The high incidence could be confirmed by Schmulson (2020)[iii] in a review of the literature of 2800 cases that revealed 39% of abdominal symptoms in a Covid infection. Drei Fallberichte enthielten Hämatochezie als Symptom (Jaijakul 2020[iv], Carvalho 2020[v], Guotato 2020[vi]).

Auch Hormati (2020)[vii] berichtete über eine Anzahl von Patienten mit untypischen abdominellen Symptomen, bei denen auf dem Abdomen -CT basale Lungenveränderungen auffielen, die als Covid-19 Erkrankung bestätigt werden konnten.

Es gibt auch mehrere Fallberichte von Patienten, bei denen anfangs oder im Verlauf ihrer gesamten Infektion ausschließlich GI-Symptome auftreten (Pazgan-Simon 2020[viii], Xiao 2020, Yang 2020, Gahide 2020[ix]). Die größte Studie, eine Single-Center-Studie von Luo (2020)[x] zeigte, dass von 1141 bestätigten Fällen von COVID-19 16% der Erkrankten über GI-Symptome klagten. Viele Fälle von COVID-19 konnten dabei erst durch abdominale Bildgebungsscans gefunden werden (Sendi 2020[xi], Siegel 2020[xii], Kim 2020[xiii], Dane 2020[xiv]). Hossain et al (2020)[xv] fanden heraus, dass sich in mehr als 50% ihrer 119 Patienten in dem CT der Bauch- oder Wirbelsäule Anzeichen von COVID-19 zeigten.

Einige Autoren empfehlen Radiologen daher, die CT-Untersuchungen des Abdomens sorgfältig auf typische COVID-19-Befunde an den Lungenbasen zu überprüfen (Amaral 2020)[xvi].

Die kolikartige Symptomatik unseres Patienten wies zunächst auf eine Urolithiasis. Der umschriebene Schmerz mit hoher Intensität und intermittierendem Charakter mochte nicht zu einer Lungenbeteiligung durch Covid-19 passen. Dazu gibt es jedoch eine Untersuchung von Widyardhama (2020)[xvii], die über Muskelschmerzen zusammen mit einer COVID-19 Infektion berichtet. Andere Schmerzformen, z.B. Gelenkschmerzen, Magenschmerzen und Hodenschmerzen, werden genannt. Auch neuropathische Schmerzen können auftreten, sind jedoch eher selten. Es wird angenommen, dass COVID-19-Mechanismen im Nerven- und Bewegungsapparat durch die Expression und Verteilung des Angiotensin-Converting-Enzyms 2 (ACE-2) verursacht werden.

Als Standardverfahren zur Identifizierung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) bei Patienten mit klinischen Symptomen ist der Nachweis durch eine Abstrichuntersuchung aus dem Nasen-/Rachenraums mit RT-PCR-Testung (RT-PCR, Reverse-Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion, im Folgenden „PCR“) auf virale RNA (12). Sie bietet eine fast absolute Sicherheit, Virusmaterial zu identifizieren und damit die spezifische Diagnose einer SARS-CoV-2-Infektion zu stellen (3). Doch selbst bei korrekter Abstrichentnahme werden falsch-negative PCR-Resultate gesehen (45). Die Wiederholung des Tests ist daher bei suggestiver klinischer Symptomatik üblich.

Als weiteres tool steht die native Niedrigdosis-Computertomografie des Thorax (ND-CT) zur Behandlungssteuerung von Patienten mit COVID-19 zur Verfügung. Früh wurde fiel auf, dass die COVID-19-assoziierte Pneumonie im CT einen charakteristischen Befund erzeugt. Diese bestehen aus dichten, peripher gelegenen Milchglastrübungen oder einem Mischbild aus Milchglastrübungen und Konsolidierungen. Dabei können die Milchglastrübungen durch ein feines Netzmuster (Retikulationen) überlagert sein. Dieses wird als „Crazy Paving“ bezeichnet. Dabei können die Gefäße innerhalb der Verdichtungen oder periläsional dilatiert sein. Die Verdichtungen sind häufig rund, geografisch oder streifig. Es findet sich eine multifokale und bilaterale Verteilung mit einem bevorzugten Befall der posterioren Unterlappen. Differentialdiagnostisch erinnern die Veränderungen an eine (kryptogen) organisierende Pneumonie. Die Milchglasanteile treten mit zunehmendem Schweregrad in den Hintergrund und es überwiegen die Konsolidierungen bishin zum diffusen Alveolarschadens (diffuse alveolar damage, DAD) (Schaible 2020)[xviii].

Das native Niedrigdosis-CT (ND-CT) weist eine hohe Treffsicherheit der ND-CT für die Diagnostik von COVID-19 auf mit hoher Sensitivität (94,7 %) und Spezifität (91,4 %) gegenüber anderen Lungenerkrankungen derselben klinischen Symptomatik. Diese hohe Aussagefähigkeit wird durch ein Abstrichergebnis und den klinischen Verlauf erreicht. Aber auch andere Effekte spielen eine Rolle, z.B. die Prävalenz, saisonaler Viren wie z.B.  Influenza- oder RS-Viren, als Ursache von pneumonischer Veränderungen.

Obwohl die positive Abstrichuntersuchung/PCR die Diagnose COVID-19 mit absoluter Spezifität/PPV etabliert, besteht der Vorteil der ND-CT in einer schnelleren Verfügbarkeit ihrer Ergebnisse, i.d.R. im Median nach neun Minuten, wohingegen die Abstrichergebnisse erst nach einem Median von 8,3 Stunden verfügbar waren. Das ermöglicht in einer pandemischen Situation eine zügige Identifikation eines potenziell infektiösen Patienten.

Zur Klassifizierung kann die COV-RADS Einteilung herangezogen werden. Sie berücksichtigt die Ermittlung diagnostischer Kennzahlen. Eine Kategorie COV-RADS-2 ermöglicht dem Radiologen, eine Lunge mit eindeutig pathologischem Befund als test-negativ zu bezeichnen, wenn die Infiltrate nicht COVID-19-suspekt sind.

Fazit:

Abdominelle Beschwerden können eine atypische Präsentation von Covid-19 sein. Sie treten sehr heterogen in Erscheinung und können neben gastrointestinalen Symptomen auch das klinische Bild einer Nierenkolik imitieren. Bis zum Ausschluss einer Covid-19 Infektion sollte sich das medizinische Personal entsprechend schützen.