Vertiefen Sie Ihre Anamnese. Sie werden merken, dass die Patientin keine Milchprodukte mag und verträgt. Der Milchreis war ein Ausrutscher...
Denken Sie an eine Laktoseintoleranz!
Denken Sie an eine Laktoseintoleranz!
75 Prozent der erwachsenen Weltbevölkerung können keine Milch verdauen.
Ihnen fehlt das Enzym Laktase, das den Milchzucker Laktose spaltet. Damit
gelangt die Laktose als ganzes Molekül in den Darm, wo es durch die Bakterien
vergoren wird. Als Gärungsprodukte entstehen Laktat (Milchsäure) und die Gase
Methan (CH4) und Wasserstoff (H2). Die Gase führen unter
anderem zu Blähungen, die osmotisch aktive Milchsäure zu einem Wassereinstrom
in den Darm (osmotischer Diarrhoe). Letzteres resultiert in Durchfall..
Im Erwachsenenalter kann die Fähigkeit zum Spalten der Laktose verloren gehen.
Der Mensch entwickelt eine Laktoseintoleranz. Er verträgt dann weder Kuh- noch
Ziegen- oder Schafsmilch.
Die meisten Europäer dagegen können aufgrund einer Genmutation ein Leben
lang Milch trinken, ohne Bauchschmerzen zu bekommen. Durchschnittlich 90
Prozent der erwachsenen Nordeuropäer vertragen Milch. In Westeuropa, Australien
und Nordamerika sind es ca 85% (bei hellhäutigen Menschen). Im Süden haben mehr
als zwei Drittel der Südeuropäer eine Laktoseintoleranz, in Afrika 90%, und in Asien
vertragen nur etwa sechs Prozent der Bevölkerung Milch.
Die Ursache dieser Unterschiede ist historisch begründet. Die ersten
Milchbauern kamen vor etwa 7.500 Jahren aus Südosteuropa oder Anatolien nach
Nordeuropa kamen. Sie hatten über viele Jahrtausende das Rind domestiziert.
Milch konnten sie aber nur als Joghurt oder Kefir verdauen – beides enthält
kaum noch Milchzucker. Die ersten Milchtrinker dagegen fanden sich im heutigen
Slowenien, Österreich und Ungarn. Dank einer Genmutation auf dem Chromosom 2
konnten sie Milch „zerlegen“. Es brachte ihnen den Vorteil, ihre Kinder nach
dem Abstillen mit Kuhmilch füttern zu können. Die Säuglingssterblichkeit ging zurück
und ihnen standen mehr Helfer auf den Feldern zur Verfügung, und sie mussten
weniger hungern. Das könnte eine biologische Selektion verstärkt haben. Die
Zahl der Milchtrinker scheint innerhalb von 3.000 Jahren von null auf 50
Prozent der Bevölkerung angestiegen zu sein. Eine enorm schnelle Veränderung,
für die die Wissenschaft bisher kaum Erklärungen hat. Eine mögliche Erklärung,
warum sich die Milchtrinker so schlagartig durchsetzten, könnte höchstens eine
bisher unbekannte Völkerwanderung im 4. Jahrtausend vor Christus liefern. Doch
dafür gibt es keine Belege. Fest steht jedoch, dass die Fähigkeit, Milch zu
verdauen, die »stärkste evolutionäre Kraft war, die je im Genom der Europäer
untersucht worden ist«.
Ursachen für eine später
einsetzende („sekundäre“) Intoleranz sind:
·
Erkrankungen
des Verdauungssystems, besonders während der Kindheit, können die
laktaseproduzierenden Zellen im Dünndarm so schädigen, dass vorübergehend die
Laktaseproduktion beeinträchtigt ist; in seltenen Fällen kommt es zu einer
lebenslangen Laktoseintoleranz.
·
bakterielle
oder virale Gastroenteritis
·
chronische
Darmerkrankungen
·
intestinales
Lymphom
·
partielle oder
totale Gastrektomie
·
Kurzdarmsyndrom
·
Chemotherapie/Strahlentherapie
·
Mangelernährung
·
chronischer
Alkoholmissbrauch
Für eine Selbstdiagnose
von Laktoseintoleranz gibt es zwei Möglichkeiten:
·
Diättest:
Eine mehrtägige konsequente Diät ohne Laktose, vor allem ohne Milch, Rahm und
„versteckte“ Laktose (viele Fertigprodukte enthalten Milchzucker oder
Milchbestandteile). Treten in dieser Zeit keine Symptome mehr auf, ist eine
Laktoseintoleranz wahrscheinlich. Ein Expositionstest wird dann Klarheit
schaffen.
·
Expositionstest:
Nach einigen Tagen Laktose-Verzicht wird ein Glas Wasser mit 50 bis 100 g
gelöstem Milchzucker (gibt es in Drogerien, Reformhäusern und Apotheken)
getrunken. Treten danach innerhalb von einigen Stunden die typischen Symptome
auf, besteht eine Laktoseintoleranz.
Häufig ist die Diagnose
aber nicht eindeutig, weil nur eine unvollständige Intoleranz besteht. Diese
nimmt bei der häufigeren Form im Verlauf des Lebens zu, nicht bei der angeborenen
Mutation für das Enzym. Folgende Tests sind wesentlich aufwändiger:
·
H2-Atem-Test:
Dieses Verfahren basiert auf dem Nachweis von Wasserstoff (H2) in der
Ausatemluft. Es ist ein indirekter Nachweis des Laktasemangels. Bei der
bakteriellen Aufarbeitung der Laktose im Dickdarm entsteht neben Milchsäure,
Essigsäure und Kohlenstoffdioxid auch gasförmiger Wasserstoff. Dieser gelangt
über das Blut in die Lungen und wird abgeatmet. Da normalerweise kein
Wasserstoff in der Ausatemluft vorhanden ist, deutet ein positives Ergebnis auf
eine mögliche Laktoseintoleranz hin. Gemessen wird bei diesem Test die
Wasserstoffkonzentration vor und nach der oralen Verabreichung einer
definierten Menge an Laktose (Milchzucker). Als positiv gilt der Befund, wenn
das Messergebnis vor und nach der Laktosegabe einen Unterschied von 20 ppm
Wasserstoff aufweist. Allerdings führt dieser Test bei jedem fünften
Laktoseintoleranten zu einem negativen Ergebnis: Diese Patienten haben in der
Darmflora bestimmte (harmlose) Bakterien, die Methan erzeugen, wodurch der
Nachweis des Wasserstoffs nicht möglich ist.
·
Blutzucker-Test:
Dieses Verfahren basiert auf der Messung des Glukose-Gehalts im Blut (venöses
Blut oder Kapillarblut), die Laktaseaktivität wird also über einen Anstieg der
Konzentration an Glukose im Blut festgestellt. Da normalerweise Laktose in
Galaktose und Glukose gespalten wird, müsste der Glukosewert (Blutzuckerwert)
ansteigen, wenn Laktose eingenommen wird. Ist dies nicht der Fall, liegt der
Verdacht einer Laktoseintoleranz nahe. Auch bei diesem Test nimmt der Patient
auf nüchternen Magen eine definierte Menge an Laktose (üblicherweise 50 Gramm
aufgelöst in einem halben Liter stillem Wasser) zu sich. Vor der Einnahme,
sowie zwei Stunden lang alle 30 Minuten nach der Einnahme erfolgt eine
Blutprobe und es wird der Blutzuckergehalt gemessen. Normal ist ein Anstieg von
über 20 mg/dl (1,11 mmol/l) Glukose in venösem Blut oder von 25 mg/dl in
Kapillarblut. Pathologisch ist ein Anstieg von unter 10 mg/dl in venösem Blut.
Falsch negative Ergebnisse sind bei Patienten mit latentem oder manifestem
Diabetes mellitus möglich.
·
Gentest: Seit
kurzem kann bei Verdacht auf Laktoseintoleranz ein Gentest auf den LCT-Genotyp
durchgeführt werden. Als Untersuchungsmaterial genügt ein Wangenschleimhautabstrich.
·
Biopsie: In
seltenen Fällen muss eine Gewebeprobe aus dem Dünndarm entnommen und untersucht
werden.
Literatur:
ZEIT Wissen 5/2011