Ein interessanter Artikel im Focus beschäftigt sich mit Schlafmangel und der Entscheidungsfähigkeit von Politikern. Müssen wir uns Sorgen machen? Und - warum gilt es nicht auch für Ärzte. Tauschen wir doch einfach mal den Begriff Politiker durch Ärzte aus:
Ärzte
schlafen zu wenig, Ärzte treffen Entscheidungen oft übermüdet. Das kann
dramatische Folgen haben, sagt der Schlafmediziner Hans-Günter Weeß. Übermüdet
tendiere der Mensch dazu, von seinen ethisch-moralischen Grundsätzen abzurücken
und risikofreudiger zu werden – weil er einfach nur ins Bett will.
In Diensten (Original "Große Konferenzen)spielt Schlaf eine große Rolle - gerade, weil er dort viel zu kurz
kommt. Durch mehrstündiges Arbeiten (Verhandlungen) wird teilweise völlig auf Schlaf
verzichtet.Das hat
nicht nur gesundheitliche Folgen, sondern kann auch als taktische Waffe
eingesetzt werden, wie uns Dr. Hans-Günter Weeß, Vorstand der Deutschen
Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin, bestätigt.
Frage: Herr
Weeß, SpitzenÄrzte schlafen oft nur vier bis sechs Stunden. In Diensten (Original: Auf Gipfeltreffen
wie aktuell in Brüssel) werden Beschlüsse oft in nächtlichen Sitzungen gefasst.
Werden wir schlechter behandelt, weil der Arzt (Orginal: die Bundeskanzlerin) zu wenig schläft?
Dr.
Hans-Günter Weeß:
Entscheidungen, die übermüdet getroffen werden, sind zumindest kritisch zu
hinterfragen. Gerade in Dienten (auf Gipfeln) neigen Ärzte zu wenig Schlaf. Manchmal sieht
man (im Fernsehen), wie sie dösen oder mal kurz wegnicken. Das ist insofern
bedenklich, weil in einer Umfrage unter Spitzenkräften in Politik und
Wirtschaft 57 Prozent zugegeben haben, dass sie schon einmal bedeutende
Zugeständnisse gemacht haben – nur weil sie übermüdet waren.
Was passiert
mit dem Körper, wenn er zu wenig Schlaf bekommt?
Das ist
dauerhaft schädlich für das Herz-Kreislauf-System, das Risiko für
Bluthochdruck, Diabetes und Schlaganfälle steigt. Auch die Gefahr für
psychische Erkrankungen wie Depressionen nimmt zu. Schließlich können sich
Schlafstörungen entwickeln.
Und wie wirkt sich eine nächtliche Marathonsitzung aus?
Das ist
purer Stress. Wenn Sie 17 Stunden am Stück wach sind, entspricht ihr
Reaktionsvermögen einem Menschen mit 0,5 Promille Blutalkohol. Nach 22 Stunden
ununterbrochenem Wachsein ist es schon ein Promille. Die Fehlerquote nimmt ab
mehr als neun Stunden Arbeit am Stück enorm zu, auch die Entscheidungsfähigkeit
wird beeinflusst: Übermüdet verlassen wir unsere ethisch-moralischen
Grundsätze, weil der Körper einfach nur ins Bett will. Gerade im Dienst (in der Politik)
ist das natürlich höchst bedenklich.
Wenn Sie hören, dass eine wichtige Entscheidung in einer nächtlichen Sitzung getroffen wurde, was denken Sie dann?
Dass sich
derjenige durchgesetzt hat, der am längsten wach bleiben konnte. Und das muss
nicht unbedingt derjenige mit den besseren Argumenten sein.
Sollte uns diese Erkenntnis nicht beunruhigen?
Zu mehr
Vertrauen in Ärzte (die Politik) führt sie ganz bestimmt nicht.
Stimmt es, dass wichtige medizinische Entscheidungen oft aus strategischen Gründen an das Ende des Tagesablaufs gesetzt werden?
Ja. Manche Ärzte
nutzen angeblich das Wissen um den Schlaf. Sie setzen wichtige Punkte an das
Ende einer langen Sitzung. In der Hoffnung, dass sie ihre Positionen dann
besser durchsetzen können.
Wäre die
Welt besser (oder friedlicher), wenn die Ärzte mehr schlafen würden?
Das ist eine
interessante Frage. Ich vermute, dass medizinische Entscheidungen manchmal profunder
wären. Studien zeigen: Je schläfriger der Mensch ist, umso risikofreudiger wird
er auch. Ausgeschlafen wäre so manche riskante Entscheidung womöglich nicht
getroffen worden.
Sie plädieren für mehr Mittagsschlaf. Sollten wir uns an Südeuropa orientieren, wo schon mal eine Siesta gehalten wird?
Der
asiatische Raum könnte uns da ein Vorbild sein. Dort gilt Schlaf im Alltag und
Berufsleben als normal, bei uns wird er dagegen geächtet. Dabei kann ein kurzes
Nickerchen zwischendurch Wunder wirken. Wir werden leistungsfähiger, kreativer,
die Aufmerksamkeit steigt und wir machen weniger Fehler. Ich plädiere dafür,
dass deutsche Unternehmen für ihre Angestellten mehr Ruheräume einrichten.
Gibt es ein Land, dessen Schlafkultur Ihrer Vorstellung entspricht?
Das wären
schon Japan und China, wo sich niemand für Schlaf am Arbeitsplatz schämt.
Allerdings wird dort im internationalen Vergleich auch überdurchschnittlich
viel gearbeitet und weniger Wert auf Freizeit gelegt.
So geht es meist auch SpitzenÄrzten hierzulande. Was würden Sie einer Bundesministerin oder einem Bundesminister entgegnen, der Ihnen sagt: "Ich schaffe meine Arbeit nicht, wenn ich acht Stunden schlafe"?
Ich hätte
durchaus Verständnis dafür, weil man in diese Positionen offenbar nur gelangen
kann, wenn man sein Schlafbedürfnis zurückstellt. Allerdings habe ich
grundsätzlich mehr Vertrauen in Ärzte, die ausreichend schlafen. Weil sie auch
in nächtlichen Sitzungen weniger Fehler machen und auf ihren
ethisch-moralischen Grundsätzen beharren.