Montag, 27. Mai 2024

Fall 85: Die Labrumcyste - Diskussion

Labrumzysten der Hüfte sind relativ häufige Befunde, die oft zufällig bei bildgebenden Untersuchungen wie MRT entdeckt werden. Sie stehen synonym für Bezeichnungen wie  Ganglion, Ganglionzyste, juxtaartikuläre Zyste, mukoide Dorsalzyste, Mukoidzyste, Myxomatosis nodularis cutanea oder "Überbein" an der Hand.

Damit bezeichnet man einen zystischen Pseudotumor im Bereich einer Gelenkkapsel oder einer Sehnenscheide. Sie entstehen als Folge einer unspezifische Proliferation von mesenchymalen Zellen, einer Degeneration von kollagenem Bindegewebe oder der Überproduktion von Hyaluronsäure durch Fibroblasten. 

Synovialzysten sind mit Synovialepithel ausgekleidete Pseudozysten mit einer dicken Wand aus Granulationsgewebe, Histiozyten und Riesenzellen. Sie sind in der Regel mit klarer, seröser oder xanthochromer Flüssigkeit gefüllt, die reichlich Mukopolysaccharide enthält.

Ganglionzysten dagegen sind mit Muzin gefüllte Strukturen ohne synoviale Auskleidung und ohne direkte Verbindung zu einem Gelenk. Weiterhin enthalten sie häufig Blut, Hämosiderin und Luft. Möglicherweise entwickeln sie sich aus Synovialzysten.

Beide Formen treten klinisch und radiologisch weitgehend identisch auf. Daher werden beide Begriffe synonym verwendet.

70% der Synovialzysten treten zwischen dem 25. und 40. Lebensjahr auf, bei Frauen häufiger als bei Männern. In 16% sind sie bei der Diagnose bei gesunden Probanden ein Zufallsbefund und verursachen keinerlei Beschwerden (Goldmann 2013[i]). Die Diagnose erfolgt i.d.R. im CT oder MRT.

Ursachen können Überlastungen oder vorausgegangene Labrumläsionen sein. Letztere treten als Folge eines Traumas auf oder degenerativ bei femoroacetabulärem Impingement. Dabei bilden sich Zysten aus der ausgetretenen Gelenkflüssigkeit.

Therapeutisch richtet sich das Vorgehen nach Größe und Beschwerdebild. Kleine Cysten oder Zufallsbefunde werden konservativ behandelt. Nur größere Zysten mit einer Schmerzsymptomatik, Bewegungseinschränkungen und Einklemmungen im Hüftgelenk werden operativ versorgt.

Konservative Behandlungsmöglichkeiten bestehen in...:

- Schonung des Hüftgelenks

- Entzündungshemmende Medikamente wie Ibuprofen oder Diclofenac 

- Physikalische Therapie zur Schmerzlinderung und Kräftigung der Muskulatur

- Injektionen mit Hyaluronsäure in das Hüftgelenk zur Reduktion der Reibung

- Punktion des Gelenkes. Hierbei besteht jedoch eine hohe Rezidivwahrscheinlichkeit

- Gelenkschonende Sportarten wie Schwimmen, Radfahren oder Gehen

Operative Behandlungsmöglichkeiten:

- Hüftarthroskopie zur Naht/Refixation der gerissenen Gelenklippe bei vollständigen Abrissen.

- Teilweise Entfernung (Resektion) der geschädigten Anteile der Gelenklippe 

- Beseitigung von Knochenauflagerungen (Offset-Korrektur) zur Vermeidung weiterer Schäden

Die Wahl der Behandlung hängt vom Ausmaß der Läsion, den Beschwerden und der Aktivität des Patienten ab. Bei kleineren Rissen wird zunächst eine konservative Therapie versucht. Bei größeren Rissen oder Abrissen der Gelenklippe ist oft eine operative Behandlung erforderlich.



[i] Goldmann A: Stellenwert der MRT-Diagnostik bei Hüftgelenkveränderungen. OUP 2013; 7: 332–340

Fall 85: Die Leistenschwellung

Zur Aufnahme kommt ein 75-jähriger Patient. Bei ihm besteht seit 3 Monaten eine tastbare Schwellung in der rechten Leiste. Er kommt auf Veranlassung des Hausarztes zum Ausschluss einer Schenkelhernie.

Bei Aufnahme zeigt sich ein schlanker Mann in altersgemäßem Allgemeinzustand. Das Abdomen stellt sich unauffällig dar. Im Bereich der rechten Leiste tastet sich eine ca 5 cm große prallelastische Schwellung medial der Gefäße ventralseits des Oberschenkels. Die Weichteile sind ohne Rötung. Auskultatorisch keine Darmgeräusche. Der mediale und laterale Leistenring sind unauffällig. Bei Provokationsmanövern läßt sich keine Insuffizienz tasten.

Der Bewegungsumfang der Hüften ist frei jedoch rechts schmerzhaft über 80° Beugung. Periphere Fußpulse sind tastbar.

Im Ultraschall imponiert eine ca 5cm große gekammerte cycstische Struktur. Die Bruchpforten sind intakt. Dopplersonografisch kein Hinweis auf Aneurysma.




Das anschließende CT zeigte folgende Befunde:

  



Hierbei stellen sich beidseitige aber rechts betonte Labrumcysten dar bei Pincer Impingement mit einer fortgeschrittenen Coxarthrose.

Als therapeutisches Prozedere wurde mit dem Patienten der alloarthroplastische Hüftgelenksersatz besprochen.

Sonntag, 26. Mai 2024

Fall 84: Die Zementverbrennung


Fall 85: Die Zementverbrennung

Ein 72-jähriger Mann stellte sich in der Zentralen Notaufnahme dar. Vor 3 Wochen habe er bei Renovierungsarbeiten seinem Sohn geholfen, ein Fundament zu gießen. Dabei wäre ihm flüssiger Beton in den Gummistiefel geflossen. Er habe es erst bemerkt, als der Beton im Stiefel heiß wurde. Er habe daraufhin den Stiefel und die Haose ausgezogen. Sein Unterschenkel und Fuß wären gerötet gewesen. Die Rötung habe er kurz mit wasser abgekühlt, konnte danach jedoch nach einem Wäschewechsel weiter arbeiten. In den nächsten Tagen habe er wenig auf die Rötung geachtet. Die Verfärbung bis zum jetzigen Ausmaß habe er wohl ignoriert. Einem Arzt wurde die Verletzung nciht vorgestellt.

Der Patient ist bis dato rüstig und zusammen mit seiner Frau selbständig. An Vorerkrankung besteht eine KHK. Fumatorium von 20 Zigaretten pro Tag seit der Jugend und ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus mit bekannter diabetischer Polyneuropathie.

Befund:

Der linke Unterschenkel und der Fuß stellen sich wie folgt dar: ausgedehnte tiefgreifende zirkuläre und medial betonte Nekrosenbildung im distalen Unterschenkel und des gesamten Fußrückens mit Mumifizierung der gesamten Zehen.


Zur Therapieplanung wurde zunächst ein Angio CT durchgeführt. Hier zeigte sich eine massive Sklerosierung unterhalb der Trifurkation mit langstreckigen Stenosen und vollständiger Okklusion ab Unterschenkelmitte.

Therapie:

Die Aufnahme erfolgte unter dem Versuch des Weichteildebridements. Entsprechend dem CT Befund stellten sich bei insgesamt atrophischem Weichteilmantel tiefgreifende Nekrosen dar. Ein Debridement selbst mit nachfolgender Vakuumtherapie und zweizeitiger Weichteildeckung erschien hier nicht mehr möglich. Es erfolgte die Unterschenkelamputation.

Diskussion:

Bei der Herstellung von Beton wird oft Zement verwendet. Zement enthält Kalziumoxid, Siliziumdioxid, Aluminiumoxid, Eisenoxid und Sulfat. Calciumoxid reagiert mit Wasser unter Erwärmung zu Calciumsilikathydrat (CSH). Allgemein können im Beton während des Aushärtungsprozesses Temperatur von etwa 50 bis 70 Grad Celsius entstehen, die sog. Hydratationswärme. Zudem induziert die chemische Reaktion einen alkalischen pH-Wert. Dies kann zu weiteren Gewebeschäden führen, indem Proteine und Kollagen aufgelöst, Zellen dehydriert und Fett verseift werden. Beide Faktoren, Hitze und eine alkalische Umgebung, können zu Verletzungen führen, die als „Zementverbrennungen“ bezeichnet werden.

Im Jahr 1995 erstellten Xiao und Cai eine Klassifizierung von Zementverbrennungen unter Berücksichtigung des Mechanismus der Zementverletzung auf der Haut (Xiao 1995)[1]. Drei Arten von Verbrennungen können durch Zement verursacht werden: durch Abrieb, Explosion oder Hitze (Spoo 2001)[2]::

        Abschürfungsverbrennungen sind am häufigsten und betreffen i.d.R. Knie und Unterschenkel mit weniger als 5 % der Hautoberfläche (Spoo 2001).

        Explosionsverbrennungen sind selten, aber schwerwiegend und führen zu systemischen Schäden (Xiao 1993)[3].

        Hitzeverbrennungen werden durch thermische Schäden erklärt, einen chemischen Prozess, der die Produktion alkalischer Substanzen mit zerstörerischen Auswirkungen auf die Haut induziert (Catalano 2013)[4].

Die Verletzungen sind relativ selten. Selbst in spezialisierten plastischen Abteilungen liegt ihr Anteil bei nur 1 bis 2% (Lewis 2004)[5]. Zu fast 80% sind Heimwerker betroffen, von denen weniger als 50% eine Schutzausrüstung tragene oder sich des Verletzungsrisikos nicht bewußt sind (Rycroft 1980[6], Besset 2014[7], Spoo 2001). Die meisten Verletzungen treten an Unterschenkel und Knie auf. In allen Fällen werden weniger als 10 % der Hautoberfläche betroffen. Vollschichtige Verbrennungen werden in 50 bis 66 % der Fälle beschrieben, wobei in 20 bis 34 % der Fälle eine Operation erforderlich war.

Im Jahr 1963 wurde von Rowe (1963)[8] der erste Fall einer Schienbeinverbrennung dritten Grades beschrieben. Ihr Patient hatte 2 1/2 Stunden lang in Fertigzement gekniet. Eine ähnliche Verletzung wurde später von Vickers (1976)[9] bei zwei Patienten beschrieben, die mehrere Stunden mit nassem Zement in ihren Stiefeln verbrachten. Weitere nachfolgende Berichte fanden das gleiche Verletzungsmuster. Gemeinsam war ihnen eine lange Einwirkzeit mit nassem Zement, im Allgemeinen 2 bis 6 Stunden (Fisher 1979[10], Hannuksela 1979[11], Buckley 1982[12]).

Wenn nasser Zement mit der Haut in Kontakt kommt, treten oft keine unmittelbaren Symptome auf. Das kann dazu führen kann, dass der Arbeiter den Kontakt aufrechterhält. Der sich ausbildende Gewebeschaden ist dann abhängig von der Temperatur und der Einwirkdauer. Bereits ab 40 bis 44°C kann Körpereiweiß in Zellen denaturieren, ab 45°C und einer Einwirkzeit von etwa einer Stunde tritt der Zelltod ein. Ab 70°C reicht schon eine Exposition von einer bis zwei Sekunden für eine Verbrennung dritten Grades.

Die Besonderheit bei thermischen Verletzungen ist, dass das Ausmaß nicht sofort erkennbar sein muss. Dies liegt an dem Ausbilden einer sog. "Stasezone". Sie bezeichnet eine schmale Zone thermisch geschädigter Hautzellen, die in eine Komplettnekrose übergehen können, was als "Nachbrennen" bezeichnet wird. Ursache ist eine gestörte Mikrozirkulation durch eine Verkleinerung der Blutgefäße, eine Ödembildung und eine nachfolgende Minderperfusion. So kann die oberflächliche Verbrennung Typ 2a mit Blasenbildung in eine tiefe zweitgradige Combustio Grad IIb übergehen. Dies bedeutet für den Patienten eine erweiterte Therapie (Koller)[13].

Daher ist es essentiell, dass Zement umgehend von der Haut entfernt und mit reichlich Wasser abgewaschen wird. Der betroffene Abschnitt sollte dann sorgfältig nachbeobachtet und bei Rötung, Blasen- oder Nekrosenbildung adäquat chirurgisch betreut werden.

Die Therapie ab einem thermischen Schaden Grad 2b besteht in der chirurgischen Sanierung. Sie muss in das Gesamtkonzept eingepasst werden. Da thermische Schäden ab Grad III häufig Teil einer größeren Gesamtverletzung darstellen können, müssen diese mitberücksichtigt werden. Grundlage der chirurgischen Versorgung ist die Nekrosektomie gefolgt von einer Weichteildeckung, i.d.R. eine Spalthautdeckung. Je nach Befund erfolgt die definitive Wunddeckung bei sauberem Wundgrund. Hierfür steht die temporärer Vakuumtherapie zur Verfügung, die für den Patienten die belastenden Verbandswechsel reduziert und zu einer Granulation des Wundgrundes führen kann.

Das ästhetische und funktionelle Ergebnis nach der Behandlung kann einschränkend sein. Besset (2014)[14] fand bei 88 % der medikamentös behandelten Patienten und bei 18 % der operativ behandelten Patienten Folgeerscheinungen.

Bei unserem Patenten wäre eine Entfernung der Nekrosen nicht zielführend gewesen. Dazu waren sie in der Peripherie zu weit fortgeschritten und ein Erhalt oder ein Teilerhalt durch Amputation bei fehlender Perfusion nicht möglich gewesen. Die distale Polyneuropathie hat sicherlich dazu beigetragen, dass die thermische Reaktion zu spät bemerkt worden ist. Dadurch konnte sich die Schädigung tiefgreifend ausbilden.

Fazit:

Im Umgang mit Zement muss auf dessen potentielle Gefahrenwirkung geachtet werden. Neben einem probaten Schutz gilt es, jeden Hautkontakt zu vermeiden und im Falle einer Exposition sofort zu durchbrechen und unter Beobachtung zu halten. Damit kann eine Intervention frühzeitig eingeleitet werden, um weiteren Schaden zu vermeiden.


Keywords:  #Zementverbrennung, #Cement burns, #amputation, #nekrose

Freitag, 15. März 2024

Fall 83: Mehr als nur Rückenschmerzen

Zur Aufnahme kommt ein 68-jähriger Mann mit dem RTW. Er habe beim Aufstehen aus dem Bett bei einer Drehbewegung akut Beschwerden in der untere LWS verspürt. Danach konnte er sich schmerzbedingt nicht mehr bewegen. Neurologische Beschwerden werden mit geminderter sensibler Wahrnehmung im linken Oberschenkel angegeben.

Anamnestisch bestehen keine Vorerkrankungen. Fumatorium von 20 Zigaretten pro Tag. Es bestehen seit 2 Jahren chronische Rückenschmerzen. Mit diesen wären er vor 6 Wochen beim Orthopäden vorstellig geworden, der ein MRT veranlasst hätte. Ihm wäre mitgeteilt worden, dass „Cysten“ zu sehen gewesen wären. Aufgrund des Befundes wurde daraufhin ein Termin in der umliegenden Uni-Klinik vereinbart worden.

Befund:

63-jähriger Patient in gutem Ernährungszustand und altersentsprechendem Allgemeinzustand. Eine Mobilisierung auf der Trage ins Sitzen wird nicht toleriert. Im Liegen wird die Rotation in der Wirbelsäule als schmerzhaft angegeben. Beim Log-roll kann ein Druckschmerz über den unteren Dornfortsätzen der LWS ausgelöst werden. Die periphere Durchblutung und der neurologische Status sind regelrecht.

Radiologisch wird auch im Hinblick auf ein zuvor auffälliges MRT ein CT der LWS angemeldet. Hier findet sich eine große lytische Läsion im Wirbelkörper L5 mit Organüberschreitung i.S. einer instabilen Fraktur.

Bei fehlender Tumoranamese erfolgt ein Staging zur Feststellung des Primarius. Sonografisch fallen Leberfiliae auf. Im CT des Thorax kommt ein zentrales Bronchialcarcinom zur Darstellung mit zusätzlichen Rippenmetastasen. Die Bronchioskopie zeigt eine Infiltration des rechten Hauptbronchus, aus der eine Histologie entnommen wird. Diese bestätigt ein muzinöses Adenocarcinom der Lunge.

Therapie und Verlauf:

Nach onkologischer Vorstellung erfolgt die Verlegung in eine neurochirurgische Abteilung zur Stabilisierung mittels Spondylodese der LWK Metastase und zur Einleitung einer Chemotherapie. Die lokale postoperative Bestrahlung der Metastase wurde in Aussicht gestellt.

Diskussion:

Bei dem Patienten bestanden seit 2 Jahren Rückenschmerzen ohne Trauma. Eine diagnostische Abklärung zu dem jetzigen Zeitpunkt erbrachte das Vorliegen eines metastasierenden Bronchialcarcinoms.

Die Leitlinien sehen vor, dass nach Anamnese und Untersuchung ohne Hinweise auf akut behandlungsbedürftige Verläufe bei Rückenschmerzen keine weiteren diagnostischen Maßnahmen indiziert sind. Diese werden erst nach 4 bis 6 wöchiger Dauer und leitliniengerechter Behandlung empfohlen und dann auch nur einmalig. Eine Bildgebung wird ausschließlich bei Hinweis auf ein spezifisches Geschehen empfohlen, z.B. Trauma, Tumor bei höherem Alter, Steroidtherapie, neurologische Symptome, Spondylarthritis, allgemeine Symptome, wie kürzlich aufgetretenes Fieber oder Schüttelfrost, Appetitlosigkeit, rasche Ermüdbarkeit, durchgemachte bakterielle Infektion, i.v.-Drogenabusus, Immunsuppression, konsumierende Grunderkrankungen, kürzlich zurückliegende Infiltrationsbehandlung an der Wirbelsäule oder starker nächtlicher Schmerz. Dies ist bei unserem Patienten nicht erfolgt. Die Beschwerden wurden mit einer bedarfsadaptierten Analgesie behandelt jedoch nicht weiter abgeklärt.

In den Leitlinien ist das Alter des Patienten keine Indikation zur spezifischen Diagnostik sondern nur in Verbindung bei Hinweisen auf ein spezifisches Geschehen. Aus eigener Erfahrung werden damit relevante bis dato relevante Nebenbefunde übersehen. Dies sind vor allem Aneursymen oder maligne Prozesse. Bei Kindern oder jungen Erwachsenen sind es vor allem

Es darf daher interpretiert werden, dass das Alter zum Ausschluss spezifischer Ursachen herangezogen werden kann, um eine Bildgebung auch schon bei Erstkontakt zu veranlassen. Bei jungen Patienten unter 20 als auch bei „älteren“ Patienten über 55 Jahren sollten Rückenschmerzen daher zum Ausschluss einer spezifischen Genese abgeklärt werden. Die Bildgebung sollte mit weiteren Untersuchungen je nach zugrundeliegender Verdachtsdiagnose ergänzt werden. Ab dem 20. Lebensjahr und unter 50 ist die Inzidenz für Rückenschmerzen dagegen sehr hoch und die Verläufe i.d.R. benigne und selbstlimitierend (Chou 2011)[i].

Mit zunehmendem Alter jedoch steigen auch die Ursachen extravertebragener Rückenschmerzen. Hier imponieren vor allem abdominelle und viszerale Prozesse, z. B. Cholezystitis, Pankreatitis; Gefäßveränderungen, insbesondere Aortenaneurysmen (Takeyachi 2008)[ii], gynäkologische Ursachen, z. B. Endometriose, urologische Ursachen, z. B. Urolithiasis, Nierentumoren, perinephritische Abszesse, neurologische Erkrankungen, z. B. Polyneuropathien, und psychosomatische und psychiatrische Erkrankungen. Ihr Anteil wird auf 2% geschätzt (Deyn 2001)[iii]. Damit kann ein Großteil dieser Erkrankungen durch eine zusätzliche Abdomensonografie, Labor und einen Urinstatus zeitnah erkannt werden.

Bei malignen Grunderkrankungen sind Rückenschmerzen meist durch ihre Metastasierung eine Spätmanifestation, insbesondere von Magen, Lunge, Prostata, Nieren, Lymphomen, gastrointestinalen Tumoren und der Brust. Auf sie entfallen 80% (Greenberg 2016)[iv]. Rückenschmerzen durch eine Filialisierung treten bei ca. 10% der Karzinompatienten auf. Besonders häufig betroffen sind Patienten im mittleren Alter (40–65 Jahre). Im Kindesalter sind Metastasen dagegen sehr selten und treten zumeist intramedullär bei hirneigenen Tumoren auf.

Die Metastasierung erfolgt hämatogen primär in die Wirbelkörper. Mit zunehmendem destruktiv infiltrativen Wachstum können dann aber auch die Pedikel betroffen oder der Spinalkanal bedrängt werden. Nur selten wächst der Tumor in die Dura und verbreitet sich intradural (Abeloff 2008)[v].

Die Brustwirbelsäule ist mit 50–60 % der Fälle am häufigsten betroffen. Hier sind es die Segmente BWK 4 bis BWK 7. Beim Prostatakarzinom dagegen steht die Metastasierung in der Lendenwirbelsäule im Vordergrund. Bei mehr als der Hälfte der Patienten kommt es zum Befall über mehrere Höhen der Wirbelsäule.

Therapie

Die Wahl der Therapie richtet sich zunächst nach dem zugrunde liegenden Primärtumor.  Die Behandlung der Wirbelkörpermetastasen richtet sich nach der Lokalisation, verbleibender Stabilität, der Dauer und Ausprägung neurologischer Symptome sowie dem Allgemeinbefinden des Patienten. Klassifikationssysteme, wie z.B. der Tomita Score, Tokuhashi Score oder Spinal Instability Neoplastic Score, sollen bei der Entscheidung der Versorgung helfen, haben jedoch in der Praxis eine eingeschränkte Anwendbarkeit und dienen eher als Hilfe.

Das primäre Ziel der Therapie ist die Tumorreduktion oder im Idealfall -resektion, um den Spinalkanal und die Nervenwurzeln zu entlasten und eine Schmerzlinderung zu erreichen.

Medikamentöse Behandlung

Cortison kann eine akute Schwellung und den Druck auf die Nervenstrukturen mindern.

Bisphosphonate sollen den Knochenabbau verhindern und damit eine Schmerzlinderung erzeugen.

Manche Tumoren wachsen hormonabhängig, sodass auch Hormonpräparate angewendet werden können..

Bestrahlung

Durch die Bestrahlung des Tumors werden Tumorzellen reduziert. Dies kann als Monotherapie oder in Kombination nach einer Operation durchgeführt werden. .

Operation

- Kypho- oder Vertebroplastie

- Laminektomie und Spondylodese

Bei der Laminektomie werden Teile des knöchernen Wirbelkörpers zur Entlastung des Spinalkanales entfernt. Der Tumor kann dabei nicht immer vollständig entfernt werden. Es kann durch die OP eine Instabilität erzeugt werden, die durch eine Spondylodese ergänzt werden kann.  Zur Abschätzung dienen Klassifizierungssysteme, z.B. der SINS-Score. Diese berücksichtigen die Lokalisation der Metastase, Ausmass der Schädigung und Position der Wirbelkörper zueinander (Fisher 1976)[vi]

Prognose

Die Gesamtprognose ist wesentlich abhängig vom Primärtumor und dem Tumorstadium. Im Behandlungskonzept ist die Schmerzkontrolle der wesentliche Bestandteil sowie die Stabilität der Wirbelsäule, um weitere neurologische Komplikationen, z.B. einen Querschnitt, zu verhindern.

Als prognostisch günstig gelten bei Befall der Wirbelsäule als Solitärmetastase und Metastasen von Karzinomen der Brust, Niere, Lymphome oder Myelome als Primärtumoren. Dagegen sind multiple Metastasen, das Auftreten pathologischer Frakturen und ein Lungenkarzinom als Primärtumor ungünstige Faktoren, ebenso wie neurologische Symptome oder deren Ausfall (Bauer 1996)[vii]. Der Ort der Metastase hat prinzipiell keine prognostischen Wert, bestimmt aber wesentlich die Möglichkeiten des operativen Vorgehens.

Auch der Status der neurologischen Funktionen vor einer Operation oder anderen Therapien bestimmt maßgeblich das Ergebnis. Insbesondere die Gehfähigkeit und Schliessmuskelfunktion sind dabei von Bedeutung, so stellt ein vollständiger Verlust der Sphinkterfunktion einen ungünstigen prognostischen Faktor dar und ist in der Regel irreversibel (Greenberg 2016).


Keywords: Rückenschmerz, Wirbelmetastasen, Wirbelkörpermetastasen, Tumor, Wirbelsäule, Karzinom, Pathologische Fraktur

Fall 82: Der akute Bauchschmerz - Behandlung

Therapie:

Der Patient wird notfallmäßig laparotomiert. Intraoperativ bestätigt sich der Verdacht. Es ist jedoch auch schon zu einer Blutung gekommen. Das Aneurysma wird ausgeklemmt und ein langstreckiger aortobifemoraler Bypass eingelegt. Der Patient überlebt den Eingriff und kann nach 3-tägigem Aufenthalt auf der Intensivstation auf eine periphere Station verlegt werden.

Diskussion:

Die Erweiterung der infrarenalen Aorta auf einen Querdurchmesser von mindestens 3,0 cm wird als Aortenaneurysma definiert. Schätzungen zufolge sind etwa 2-4% der Menschen über 65 Jahren von einem Bauchaortenaneurysma betroffen. Die Prävalenz steigt mit zunehmendem Alter an. Bevorzugt sind Männer über 65 Jahren. Klinisch bedeutsame Aneurysmen mit einem Querdurchmesser von mehr als 5 cm kommen bei 1% der Männer unter 64 Jahren vor. Mit zunehmendem Alter steigt die Prävalenz auf 2–4% an, vergesellschaftet mit einer erhöhten Komorbidität.

Die zugrunde liegenden Ursachen für die Entwicklung eines abdominellen Aortenaneurysmas (AAA) sind in den meisten Fällen unklar. Aneurysmen, die neben der infrarenalen Aorta auch an anderen Lokalisationen auftreten, haben oft eine genetische Ursache und treten familiär gehäuft auf. Daneben gelten Rauchen und ein Hypertonus als Risikofaktoren.

Die meisten Bauchaortenaneurysmen bleiben asymptomatisch und werden oft nur zufällig bei Routineuntersuchungen entdeckt. Werden sie jedoch symptomatisch, ist die Art der Symptome abhängig von der Größe und Lage des Aneurysmas.

- Bauch- oder Rückenschmerzen: Ein pulsierender oder konstanter Schmerz im Bauch- oder Rückenbereich kann auftreten. Dieser Schmerz kann dumpf, krampfartig oder stechend sein.

- Pulsationen im Bauchraum: Manche Menschen können einen pulssynchronen Klopfen oder Pulsationen im Bauch spüren.

- Tastbare Schwellung: Bei größeren Aneurysmen kann eine Schwellung oder ein Klopfen im Bauchbereich sichtbar oder spürbar sein.

- Rückenschmerzen oder Drucksymptome: Nicht selten finden sich Rückenschmerzen bei Kompression auf umliegende Gewebe oder Alteration des viszeralen Reflexbogens. Auch Magen-Darm-Probleme können auftreten.

Die Symptome können alle unspezifisch sein und als „Nebenbefund“ einer Umgebungsdiagnostik auffallen. Besonders bei Rückenschmerzen im Alter sollte der Untersucher an diese Differentialdiagnose denken und zumindest einen Ultraschall ergänzen. Ein Bauchaortenaneurysma kann jedoch auch asymptomatisch sein und ohne erkennbare Beschwerden fortschreiten. Daher ist eine regelmäßige ärztliche Untersuchung, insbesondere bei Personen mit einem erhöhten Risiko, wichtig, um ein Bauchaortenaneurysma frühzeitig zu erkennen.

In der Phase der Dissektion oder Perforation werden i.d.R. akute Beschwerden angegeben:

- Plötzlicher und intensiver Schmerz: Eine Bauchaortendissektion geht oft mit einem plötzlichen, starken und anhaltenden Schmerz einher. Der Schmerz wird oft als "zerreißend" oder "reißend" beschrieben und kann im Bauch- oder Rückenbereich auftreten. Der Schmerz kann sich auch in die Brust oder in die Beine ausbreiten.

- Pulsierender Tumor: In einigen Fällen kann eine Dissektion zu einer tastbaren pulsierenden Masse im Bauch führen. Dies tritt aufgrund der Trennung der Wandschichten und der Bildung eines falschen Lumens auf.

- Bewusstseinsveränderungen: In schweren Fällen einer Bauchaortendissektion kann es zu Bewusstseinsveränderungen kommen, wie zum Beispiel Benommenheit, Schwindel oder Ohnmacht. Dies kann darauf hinweisen, dass die Durchblutung des Gehirns beeinträchtigt ist.

- Akuten Extremitätenischemie: Eine Dissektion kann zur Beeinträchtigung der Durchblutung in den Beinen führen, was mit plötzlicher Beinschwäche, Taubheit, Kältegefühl oder Blässe einhergehen kann.

- Blutdruckunterschiede zwischen den Armen: Eine Dissektion kann zu Unterschieden im Blutdruck zwischen den Armen führen. Dies kann bei der Untersuchung durch den Arzt festgestellt werden.

Aneurysmen entwickeln sich in der Regel langsam von kleinen zu rupturgefährdeten Aneurysmen. Sie bleiben in über 80% der Fälle klinisch symptomfrei, bis eine vital bedrohliche Ruptur auftritt. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ist es eine Zufallsdiagnose bei Routineuntersuchungen. Daher ist das Screening nach einem Aortenaneurysma bei älteren Menschen und Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren indiziert.

Die Diagnose wird in der Regel sonographisch gestellt. Zur Therapieplanung ist jedoch eine zusätzliche Bildgebung mittels Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) notwendig. Die Computertomographie-Angiographie (CTA) der Aorta gilt derzeit als diagnostisches Standardverfahren zur präoperativen Evaluation und Planung der endovaskulären Versorgung abdomineller Aortenaneurysmen („endovascular aortic repair“, EVAR). Dabei liefert die CTA alle relevanten anatomischen und morphologischen Informationen über die zugrundeliegende Pathologie der Aorta und der Beckenachsen.

Ab einem Durchmesser von 5–5,5 cm sollte eine operative oder endovaskuläre Behandlung erfolgen. Welche Therapie im Einzelfall eingesetzt wird, hängt in erster Linie von der Co-Morbidität des Patienten und der anatomischen Struktur des Aneurysmas anhand der CT/MRT-Morphologie ab[i].

Die klassische operative Therapie besteht in der offen chirurgischen Ausschaltung des Aneurysmas durch Implantation einer Rohr- oder Bifurkationsprothese. In den vergangenen Jahren wurde bei ausgewählten Patienten mit einem abdominalen Aortenaneurysma und geeigneter Aortenkonfiguration zunehmend die endovaskuläre Therapie durch Implantation eines aortobiiliakalen oder monoiliakalen Stentgrafts eingesetzt. Die endovaskuläre Therapie rupturierter abdominaler Aneurysmen ermöglicht bei sorgfältiger Patientenauswahl und detaillierter präoperativer Planung minimalinvasive Therapieoptionen auch bei Patienten mit schwerer Begleitmorbidität, obwohl die bisherigen Mitteilungen noch keine abschließende Beurteilung zulassen und Langzeitverläufe noch fehlen.

Das rupturierte abdominale Aortenaneurysma (rAAA) stellt einen Blutungsnotfall mit hämorrhagischem Schock und hoher perioperativer Letalität dar. Die präklinische Beurteilung erfordert eine rasche differenzialdiagnostische Abklärung, zielführende Diagnostik und eine sofortige Behandlung in spezialisierten Zentren. Die perioperative Therapie besteht in der Behandlung des Mehrorganversagens nach hämorrhagischem Schock und Ischämie-Reperfusions-Syndrom durch Volumensubstitution, optimierter Gerinnungstherapie, der Aufrechterhaltung der Normothermie und der Beachtung einer möglichen intestinalen Ischämie und des abdominalen Kompartmentsyndroms.

Die Prognose des rupturierten AAA ist mit einer Krankenhausletalität von 55% extrem schlecht. Die Gesamtletalität liegt bei >80%, da nur ein Teil der Patienten das Krankenhaus lebend erreicht[ii].

Insgesamt hat jedoch die Krankenhausletalität von 42,7 % im Jahr 1999 auf 33,3 % im Jahr 2010 abgenommen. Im gleichen Zeitraum zeigte sich ein signifikanter Anstieg der Zahl der endovaskulären Behandlungen.  Der Anteil der über 80-jährigen Patienten hat – unabhängig von der Behandlungsmethode – deutlich zugenommen.

Im Vergleich der Verfahren zeigte die endoluminäre Versorgung (EVAR) insgesamt eine Letalitätsrate von 22,8 %, verglichen mit 41,2 % beim offenen Verfahren (OR). Dieser scheinbare Vorteil für EVAR konnte in allen Altersgruppen gezeigt werden und mag an dem sorgfältig selektierten Krankengut zu liegen. Beim OR wurden in 74,4 % der Fälle Komplikationen beobachtet, bei der EVAR in 55,5 %. Die multivariate Analyse der Komplikationen im Gesamtkollektiv ergab bei allen ausgewerteten Komplikationen, mit Ausnahme von Wundinfekten und Nachblutungen, einen Vorteil für EVAR[iii].

Pfeiffer (2000) berichtet den Einfluss des Krankengutes auf das Auskommen. Demnach beträgt die Letalität bei elektiven Operationen 1,54 %, bei dringlichen Operationen 8,65 % und bei Notfällen mit perforiertem AAA (unverzügliche Operation nach Aufnahme in die Klinik) 35,6 %. Die Morbidität lag bei elektiven Eingriffen bei 15,9 %, bei dringlichen Operationen bei 28,8 % und bei Notfalloperationen mit perforiertem AAA bei 66,7 %. Für Patienten mit zusätzlichen Eingriffen an Nieren-, Becken- und Beinarterien sowie Kombinationseingriffen in anderen Operationsgebieten war die Letalität im Vergleich zum Durchschnitt nicht erhöht.[iv]