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Sonntag, 31. August 2014

Fall 38: Der Akute Bauch: Laktoseintoleranz

Vertiefen Sie Ihre Anamnese. Sie werden merken, dass die Patientin keine Milchprodukte mag und verträgt. Der Milchreis war ein Ausrutscher...

Denken Sie an eine Laktoseintoleranz!



75 Prozent der erwachsenen Weltbevölkerung können keine Milch verdauen. Ihnen fehlt das Enzym Laktase, das den Milchzucker Laktose spaltet. Damit gelangt die Laktose als ganzes Molekül in den Darm, wo es durch die Bakterien vergoren wird. Als Gärungsprodukte entstehen Laktat (Milchsäure) und die Gase Methan (CH4) und Wasserstoff (H2). Die Gase führen unter anderem zu Blähungen, die osmotisch aktive Milchsäure zu einem Wassereinstrom in den Darm (osmotischer Diarrhoe). Letzteres resultiert in Durchfall.. Im Erwachsenenalter kann die Fähigkeit zum Spalten der Laktose verloren gehen. Der Mensch entwickelt eine Laktoseintoleranz. Er verträgt dann weder Kuh- noch Ziegen- oder Schafsmilch.

Die meisten Europäer dagegen können aufgrund einer Genmutation ein Leben lang Milch trinken, ohne Bauchschmerzen zu bekommen. Durchschnittlich 90 Prozent der erwachsenen Nordeuropäer vertragen Milch. In Westeuropa, Australien und Nordamerika sind es ca 85% (bei hellhäutigen Menschen). Im Süden haben mehr als zwei Drittel der Südeuropäer eine Laktoseintoleranz, in Afrika 90%, und in Asien vertragen nur etwa sechs Prozent der Bevölkerung Milch.

Die Ursache dieser Unterschiede ist historisch begründet. Die ersten Milchbauern kamen vor etwa 7.500 Jahren aus Südosteuropa oder Anatolien nach Nordeuropa kamen. Sie hatten über viele Jahrtausende das Rind domestiziert. Milch konnten sie aber nur als Joghurt oder Kefir verdauen – beides enthält kaum noch Milchzucker. Die ersten Milchtrinker dagegen fanden sich im heutigen Slowenien, Österreich und Ungarn. Dank einer Genmutation auf dem Chromosom 2 konnten sie Milch „zerlegen“. Es brachte ihnen den Vorteil, ihre Kinder nach dem Abstillen mit Kuhmilch füttern zu können. Die Säuglingssterblichkeit ging zurück und ihnen standen mehr Helfer auf den Feldern zur Verfügung, und sie mussten weniger hungern. Das könnte eine biologische Selektion verstärkt haben. Die Zahl der Milchtrinker scheint innerhalb von 3.000 Jahren von null auf 50 Prozent der Bevölkerung angestiegen zu sein. Eine enorm schnelle Veränderung, für die die Wissenschaft bisher kaum Erklärungen hat. Eine mögliche Erklärung, warum sich die Milchtrinker so schlagartig durchsetzten, könnte höchstens eine bisher unbekannte Völkerwanderung im 4. Jahrtausend vor Christus liefern. Doch dafür gibt es keine Belege. Fest steht jedoch, dass die Fähigkeit, Milch zu verdauen, die »stärkste evolutionäre Kraft war, die je im Genom der Europäer untersucht worden ist«.


Ursachen für eine später einsetzende („sekundäre“) Intoleranz sind:

·        Erkrankungen des Verdauungssystems, besonders während der Kindheit, können die laktaseproduzierenden Zellen im Dünndarm so schädigen, dass vorübergehend die Laktaseproduktion beeinträchtigt ist; in seltenen Fällen kommt es zu einer lebenslangen Laktoseintoleranz.
·        bakterielle oder virale Gastroenteritis
·        chronische Darmerkrankungen
·        Zöliakie/Sprue
·        intestinales Lymphom
·        partielle oder totale Gastrektomie
·        Kurzdarmsyndrom
·        Blindsacksyndrom/großes Duodenaldivertikel
·        Chemotherapie/Strahlentherapie
·        Mangelernährung
·        chronischer Alkoholmissbrauch
·        Dünndarmparasiten aus der Gruppe der Giardien (wie Giardia intestinalis)


Für eine Selbstdiagnose von Laktoseintoleranz gibt es zwei Möglichkeiten:

·        Diättest: Eine mehrtägige konsequente Diät ohne Laktose, vor allem ohne Milch, Rahm und „versteckte“ Laktose (viele Fertigprodukte enthalten Milchzucker oder Milchbestandteile). Treten in dieser Zeit keine Symptome mehr auf, ist eine Laktoseintoleranz wahrscheinlich. Ein Expositionstest wird dann Klarheit schaffen.
·        Expositionstest: Nach einigen Tagen Laktose-Verzicht wird ein Glas Wasser mit 50 bis 100 g gelöstem Milchzucker (gibt es in Drogerien, Reformhäusern und Apotheken) getrunken. Treten danach innerhalb von einigen Stunden die typischen Symptome auf, besteht eine Laktoseintoleranz.

Häufig ist die Diagnose aber nicht eindeutig, weil nur eine unvollständige Intoleranz besteht. Diese nimmt bei der häufigeren Form im Verlauf des Lebens zu, nicht bei der angeborenen Mutation für das Enzym. Folgende Tests sind wesentlich aufwändiger:

·        H2-Atem-Test: Dieses Verfahren basiert auf dem Nachweis von Wasserstoff (H2) in der Ausatemluft. Es ist ein indirekter Nachweis des Laktasemangels. Bei der bakteriellen Aufarbeitung der Laktose im Dickdarm entsteht neben Milchsäure, Essigsäure und Kohlenstoffdioxid auch gasförmiger Wasserstoff. Dieser gelangt über das Blut in die Lungen und wird abgeatmet. Da normalerweise kein Wasserstoff in der Ausatemluft vorhanden ist, deutet ein positives Ergebnis auf eine mögliche Laktoseintoleranz hin. Gemessen wird bei diesem Test die Wasserstoffkonzentration vor und nach der oralen Verabreichung einer definierten Menge an Laktose (Milchzucker). Als positiv gilt der Befund, wenn das Messergebnis vor und nach der Laktosegabe einen Unterschied von 20 ppm Wasserstoff aufweist. Allerdings führt dieser Test bei jedem fünften Laktoseintoleranten zu einem negativen Ergebnis: Diese Patienten haben in der Darmflora bestimmte (harmlose) Bakterien, die Methan erzeugen, wodurch der Nachweis des Wasserstoffs nicht möglich ist.

·        Blutzucker-Test: Dieses Verfahren basiert auf der Messung des Glukose-Gehalts im Blut (venöses Blut oder Kapillarblut), die Laktaseaktivität wird also über einen Anstieg der Konzentration an Glukose im Blut festgestellt. Da normalerweise Laktose in Galaktose und Glukose gespalten wird, müsste der Glukosewert (Blutzuckerwert) ansteigen, wenn Laktose eingenommen wird. Ist dies nicht der Fall, liegt der Verdacht einer Laktoseintoleranz nahe. Auch bei diesem Test nimmt der Patient auf nüchternen Magen eine definierte Menge an Laktose (üblicherweise 50 Gramm aufgelöst in einem halben Liter stillem Wasser) zu sich. Vor der Einnahme, sowie zwei Stunden lang alle 30 Minuten nach der Einnahme erfolgt eine Blutprobe und es wird der Blutzuckergehalt gemessen. Normal ist ein Anstieg von über 20 mg/dl (1,11 mmol/l) Glukose in venösem Blut oder von 25 mg/dl in Kapillarblut. Pathologisch ist ein Anstieg von unter 10 mg/dl in venösem Blut. Falsch negative Ergebnisse sind bei Patienten mit latentem oder manifestem Diabetes mellitus möglich.

·        Gentest: Seit kurzem kann bei Verdacht auf Laktoseintoleranz ein Gentest auf den LCT-Genotyp durchgeführt werden. Als Untersuchungsmaterial genügt ein Wangenschleimhautabstrich.
·        Biopsie: In seltenen Fällen muss eine Gewebeprobe aus dem Dünndarm entnommen und untersucht werden.



Literatur:
ZEIT Wissen 5/2011

Samstag, 23. August 2014

Smoking kills - aber wie schnell?

Smoking kills - aber wie schnell ?

Ein unsolider Lebenswandel verkürzt dei Lebenserwartung. Aber wie viele Jahre kosten Tabak, Alkohol und schlechtes Essen genau? Wissenschaftler des DKFZ haben das nun ausgerechnet.

Eine Gruppe von Epidemiologen um Prof. Rudolf Kaaks vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg haben die Auswirkungen verschiedener ungesunder Lebensweisen untersucht. Sie benutzten dafür Daten von knapp 12.000 Männern und rund 14.000 Frauen, die sich an der „European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition“(EPIC)-Studie beteiligt hatten. Anschließend stellten sie die Quittung aus. Die Restlebenserwartung von 40-Jährigen (47,5 Jahre für Männer, 48,7 Jahre für Frauen, jeweils einen gesunden Lebensstil vorausgesetzt) verkürzt sich demnach um:
  • 9,4 Jahre (Männer) bzw. 7,3 Jahre (Frauen) für starke Raucher (> 10 Zigaretten/Tag);
  • 5,3 bzw. 5,0 Jahre für schwache Raucher (≤ 10 Zigaretten/Tag);
  • 3,5 bzw. 2,1 Jahre für einen Body-Mass-Index (BMI) < 22,5 kg/qm;
  • 3,1 bzw. 3,2 Jahre für einen BMI ≥ 30 kg/qm;
  • 1,4 bzw. 2,4 Jahre für hohen Verzehr (≥ 120 g/Tag) von rotem oder verarbeitetem Fleisch;
  • 3,1 Jahre (Männer) für starken Alkoholkonsum (> 4 Drinks/Tag, also mehr als 48 g reinen Alkohols täglich; bei Frauen wirkt sich starkes Trinken rechnerisch offenbar nicht negativ aus, starker Konsum liegt hier aber schon bei mehr als einem Drink pro Tag vor).
Es geht noch schlimmer:
Noch schlimmer wird es, wenn sich die Laster kombinieren. Ein 40-jähriger Mann, der stark raucht, adipös ist, viel Alkohol trinkt, sich wenig bewegt, viel rotes Fleisch, aber wenig Obst und Gemüse isst, verliert in der Summe 18,5 Jahre und hat eine Restlebenserwartung von 29 Jahren. Frauen, die den gleichen Gewohnheiten frönen, vermindern ihre Restlebenserwartung um 15,7 auf 33 Jahre.






































Fazit:
Der Rat für diejenigen, die ihre verbleibende Lebenserwartung maximal ausschöpfen wollen, lautet demnach: Raucht nicht, trinkt wenig, haltet den BMI zwischen 22,5 und 24,9, bewegt euch, esst wenig Fleisch und viel Obst und Gemüse. Laut den Heidelberger Kalkulationen haben 40-jährige Männer und Frauen dann gute Chancen, 87 bzw. fast 89 Jahre alt zu werden.


Freitag, 22. August 2014

Fall 38: Der akute Bauch

In der Ambulanz stellt sich eine schlanke 42-jährige Patientin vor. Sie habe seit 2 Stunden heftige Bauchschmerzen, die nach dem Mittagessen eingesetzt hätten. Es besteht keine Übelkeit, kein Erbrechen, keine Stuhlunregelmäßigkeiten. Zum Essen habe es Brot mit Milchreis gegeben.

Eigenanamnese:
Keine Vorerkrankungen, keine Medikamente, Appendektomie als Kind.

Körperliche Untersuchung:
Patientin in gutem AZ und schlankem EZ, Abomen gebläht mit gespannten Bauchdecken. Keine Abwehr, kein Peritonismus, Darmgeräusche lebhaft. Bruchpforten geschlossen. Rektal lehmfarbener Stuhl.

Sono:
Meteorismus mit eingeschränkter Beurteilbarkeit. Nieren und Oberbauchorgane unauffällig. Gallenblase ohne Steine. Keine Kokaden. Keine Flüssigkeit.

Labor:
Leukos und CRP normwertig.


Woran denken Sie?

Montag, 18. August 2014

Akuter Rückenschmerz: Paracetamol nicht besser als Placebo

Akuter Rückenschmerz: Paracetamol nicht besser als Placebo


Bei akutem Rückenschmerz empfehlen Leitlinien die Gabe von Paracetamol. Eine Studie zeigt jedoch, dass PCM nicht besser ist als Placebo
 
Bei akutem Rückenschmerz lindert Paracetamol die Schmerzen nicht besser als ein Scheinpräparat. Das legen die Ergebnisse der ersten placebokontrollierten Studie dazu nahe. Dabei ist es offenbar auch egal, ob das Analgetikum regelmäßig oder bei Bedarf eingenommen wird.

Bereits im vergangenen Jahr ist das Konzept der PACE-Studie (Paracetamol for Low-Back Pain Study) der Öffentlichkeit vorgestellt worden.
Jetzt haben australische Pharmakologen die Ergebnisse dieser ersten randomisierten und placebokontrollierten Studie präsentiert, an der mehr als 1600 Patienten mit akuten Rückenschmerzen teilgenommen hatten. Primärer Endpunkt war die Dauer bis zur deutlichen Schmerzlinderung oder -freiheit nach Einnahme von Paracetamol oder einem Scheinpräparat. Außerdem wurden alle Patienten angehalten, tagsüber in Bewegung zu bleiben. Zudem wurde ihnen versichert, dass ihre Erkrankung eine gute Prognose hat.

Schmerzfrei  nach 17 Tagen
Insgesamt 550 Teilnehmer nahmen das Analgetikum regelmäßig bis zu vier Wochen lang dreimal täglich (maximal 3990 mg) ein. 549 Teilnehmer nahmen Paracetamol bei Bedarf (maximal 4000 mg des Wirkstoffs pro Tag) und 553 Patienten erhielten ein Scheinpräparat. Das Follow-up lag bei drei Monaten. 

Die mediane Dauer bis zur fast vollständigen oder kompletten Schmerzfreiheit betrug bei regelmäßiger Einnahme sowie bei Bedarf 17 Tage, in der Placebogruppe 16 Tage – kein signifikanter Unterschied. Dabei hatten die Patienten einen VAS-Wert (visuelle Analogskala: 0–10) zwischen 0 und 1. Nach zwölf Wochen hatten bereits 85% der Patienten keine Rückenschmerzen mehr.

Keine Verzerrung durch unerlaubte Mittel
Auch die Zahl der täglich eingenommenen Tabletten unterschied sich zwischen den Gruppen mit median 4 bei regelmäßiger Einnahme, 3,9 bei Einnahme nach Bedarf sowie 4 bei Einnahme eines Scheinpräparates nicht signifikant. Eine Tablette in den beiden Verumgruppen enthielt jeweils 665 mg Paracetamol.

Bei den sekundären Endpunkten der Studie zwischen den drei Gruppen konnten keinen signifikanten Unterschied ausgemacht werden. Dazu zählten die Lebens- und die Schlafqualität, Bewegungseinschränkungen und die Gesamtsymptomatik der Rückenschmerzpatienten. Auch die unerwünschten Wirkungen waren nicht unterschiedlich. Manche Patienten nahmen während der Studie unerlaubt noch andere Mittel ein. Die Wissenschaftler gehen aber davon aus, dass dies das Gesamtergebnis der Studie nicht verzerrt hat.

Die Studienergebnisse zeigen, dass die Verwendung von Paracetamol bei akuten Rückenschmerzen fraglich ist. Dennoch müssten die Daten in anderen Studien bestätigt werden, bevor entsprechende Leitlinien geändert würden.

In Deutschland heißt es etwa in der „Nationalen VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz“, dass „bei leichtem bis moderatem akutem nichtspezifischem Kreuzschmerz ein Behandlungsversuch mit Paracetamol bis zu einer maximalen Tagesdosis von 3 g“ unternommen werden kann. Der Behandlungserfolg sei kurzfristig zu überprüfen.


Williams CM et al. Efficacy of paracetamol for acute low-back pain: a double-blind, randomised controlled trial. Lancet 2014; online 24. Juli.  doi: 10.1016/S0140-6736(14)60805-9

Donnerstag, 31. Juli 2014

Fall 37: Blickdiagnose Gicht

Klinisch handelt es sich um einen akuten Gichtanfall!
Sie können eine Labor mit Entzündungszeichen und Hanrsäure veranlassen, das nicht unbedingt wegweisend sein muss. Differenzialdiagnostisch könnten sie auch Rheumafaktoren bestimmen.

Die Gicht hat eine interessante Geschichte. Im Mittelalter galt sie als:



Gicht: „Die Krankheit der Säufer und Prasser“
Die Gicht ist so alt wie die Menschheit selbst, vermutet die Paläopathologie. Für Hippokrates (460–375 v. Chr.) war sie noch eine Krankheit der Greise, Reichen und Vornehmen. Später galt sie als Strafe für Prassen und Völlerei. Einst galt sie als Wohlstandskrankheit privilegierter Schlemmer und als die „Krankheit der Könige und des Adels. Heute dagegen ist sie in allen Schichten und Berufsgruppen. 

Der Anteil der Ernährung an der Entstehung der Krankheit wird heute als gering eingestuft. Bedeutender sind erbliche Enzymdefekte, Umweltfaktoren und Nierenschäden. Dennoch hält sich der Faktor Ernährung hartnäckig, denn in Hungerszeiten verschwindet sie fast völlig, um in Wohlstandszeiten wieder aufzuflammen. 

„Dreh den Schraubstock fest, so weit es geht, dann hast Du den Rheumatismus, dreh noch eine Windung weiter: Das ist die Gicht“, schrieb der amerikanische Arzt Morris Longstreth – selbst von der Gicht geplagt – im Jahr 1882. Thomas Sydenham (1624–1689), der „englische Hippokrates“ – seit seinem 30. Lebensjahr ebenfalls ein Opfer der Gicht – beschrieb in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts aus eigener Erfahrung die Symptome der Gicht und klagte, „dass er während eines Gichtanfalls nicht einmal das Gewicht der Bettlaken auf seinem schmerzpochenden Fuß ertrüge oder auch nur die Erschütterung des Fußbodens, wenn jemand munter darüber hinschreitet“.
Der Ausdruck Gicht kam vermutlich im 12. Jahrhundert auf. Die Herkunft des Begriffs ist aber nach wie vor umstritten. Von „ghida“, altangelsächsisch für Körperschmerz, über „gutta“, Tropfen, die auf die humoralpathologische Vorstellung von der Ablagerung böser Körpersäfte – im Fall der Gicht „Säuretropfen“ in den Gelenken – hinweist, reicht die Palette der Vermutungen bis zum althochdeutschen „gichten“, was so viel wie verhexen bedeutet und ebenfalls bereits einen Hinweis auf die damals vermutete Ursache der Krankheit gibt. 

Hippokrates, der die Gicht erstmals als eigenständige Krankheit erkannte, nannte das Leiden Podagra – griechisch für Fußzange oder Steigbügel. „Pfotengram“ bezeichnete treffend der Volksmund das qualvolle Leiden in Verballhornung des griechischen Begriffs. Zipperlein, diese heute eher spöttisch und harmlos klingende Bezeichnung für die keinesfalls lustige und äußerst schmerzhafte Erkrankung, erhielt sie im Mittelalter. Abgeleitet vermutlich vom „zippeltritt“, dem trippelnden, zappelnden Gang, der für einen akuten Gichtanfall – so er an seiner typischen Stelle, am Grundgelenk der großen Zehe, auftritt – charakteristisch ist. „Wenn ich die Gicht habe, dann ist mir zumute, als ginge ich auf meinem Augapfel“, beschrieb dies drastisch ein gichtgequälter Priester im 18. Jahrhundert. 

Unter den fragwürdigen und meist mehr oder weniger nutzlosen Methoden – ein Pflaster aus gestoßener Eichel in Ochsengalle, Anrufung des Schutzpatrons Andreas, „hünig wasser statt wein“, pflanzliche Einreibungen mit diversen medizinischen Gebräuen, alchemistische Goldessenzen, Gichthunden, die nächtens auf das schmerzende Glied gelegt wurden, um die Krankheit auf das Tier zu übertragen, elektrische Rochen, die dem Patienten an den Schläfen befestigt wurden, und diverse Diäten –, mit denen jahrhundertelang Ärzte, Volksmediziner, Alchemisten und Priester die Gicht zu lindern oder zu vertreiben suchten, fanden sich aber auch bereits sinnvolle Ansätze: So im Papyrus Ebers (datiert auf etwa 1550 v. Chr.) – die Gicht wird namentlich allerdings nicht erwähnt – Rezepte zur Herstellung von Heilmitteln aus der Herbstzeitlosen. Zur Behandlung eines akuten Gichtanfalls wird auch heute noch Colchizin, das im Samen der Herbstzeitlosen (Colchicum autumnale) enthalten ist, eingesetzt. Dioskurides, der berühmteste Pharmakologe des Altertums, behandelte im ersten Jahrhundert Fieber, Schmerzen und Gicht mit Weidenrinde – der 1829 aus der Weidenrin-de isolierte Wirkstoff Salicin war ja das Modell für das später synthetisch hergestellte Aspirin©

Colchizin, der lang unerkannte Wirkstoff der Herbstzeitlosen
Alexander von Tralles (zirka 525–605), ein griechischer Arzt des sechsten Jahrhunderts, der in Rom praktizierte, hatte sensationelle Erfolge mit einem Rezept, das er aus Anis, Rhabarber, Kümmel, Essig, Wolfsmilch, Ingwer, Dill, Pfeffer, Aloe und – vermutlich zufällig – Colchizin gewann. Zufällig deshalb, weil er bald darauf Colchizin, das einzig wirklich wirksame Agens dieser Rezeptur gegen die Gicht, aufgrund seiner abführenden Wirkung aus der Rezeptur entfernte. Wegen der vermutlich gravierenden Nebenwirkungen des Giftes der Herbstzeit-losen und den noch immer vorherrschenden mystischen Vorstellungen über die Entstehung von Gichtanfällen geriet Colchizin aber lange Zeit in Vergessenheit.
Erst Anton von Stoerk (1731– 1803), ab 1760 „k.u.k. Leibmedicus in Wien“ – er erforschte erstmals umfassend die Wirkungen und Nebenwirkungen vieler Heil- und Giftpflanzen an Gesunden und Kranken – setzte 1763 die therapeutisch wirksame Dosis für das Alkaloid Colchizin fest. Seither ist das Gift der Herbstzeitlosen ein Standardheilmittel gegen den akuten Gichtanfall. 



Literatur:
http://www.springermedizin.at/artikel/1635-gicht-podagra-zipperlein

Montag, 28. Juli 2014

Fall 37: Blickdiagnose des geschwollenen Fußes

Zur Aufnahme kommt ein 68-jähriger rüstiger Rentner. Er klagt über bohrende Schmerzen im linken Fuß. Sie bestünden seit 2 Tagen. ein Trauma wird verneint. Auch bestehen keine Allgemeinsymptome mit Fieber oder Gelenkschwellung an anderer Stelle. Ähnliche Beschwerden hätten noch nie bestanden.

Klinisch findet sich dieses Bild:



Eigenanamnese:
Vorerkrankungen werden keine relevanten außer einem Hypertonus angegeben. ASS Medikation bei bekannter KHK.



Ihre Blickdiagnose?
Was veranlassen Sie?

Dienstag, 15. Juli 2014

Der unkomplizierte Leistenbruch

Der unkomplizierte Leistenbruch

Die Leistenbrüche sind die häufigsten Brüche der Bauchwand. Männer sind mit 90% häufiger betroffen als Frauen. Es handelt sich um Verlagerung von Bauchhöhleninhalt außerhalb der Bauchhöhle.
 
Zeitgenössicher Stich 1559
Entstehung:
Bei Embryos besteht noch eine natürliche Verbindung zwischen Bauchhöhle und Leiste (Processus vaginalis testis), die sich nach der Geburt schließt. Bleibt sie bestehen, spricht man von einem angeborenen Leistenbruch. Sie tritt bei Jungen häufiger als bei Mädchen auf. Betroffen sind etwa 1–4% der Kinder beziehungsweise 20% der Frühgeborenen mit einer erbliche Veranlagung. Die Darmschlingen reichen von der Bruchpforte aus durch den Leistenkanal (in dem beim Jungen der Samenstrang verläuft) unter das Leistenband. Dieser Leistenbruch kann beim Jungen bis in den Hodensack (Skrotalhernie) reichen und dort die Hoden beeinträchtigen. Beim Mädchen daggen kann sich der Leistenbruch bis in die Schamlippen erstrecken (Vaginalhernie). Gelangt bei Jungen statt der Darmschlingen Flüssigkeit aus dem Bauchraum in den Hodensack, spricht man von einem Hodenwasserbruch (Hydrozele). Dieser bildet sich allerdings im Gegensatz zum Leistenbruch meist von selbst zurück. Eltern fällt i.d.R. eine Vorwölbung im Bereich der Leiste(n) auf, die beim Presen hervortritt, aber i.d.R. schmerzlos ist.
Im Erwachsenenalter kann ein schwächeres Bindegewebe die Entstehung des Leistenbruches begünstigen. Dies ist bei älteren Menschen häufig. Bei jungen Männern dagegen entsteht ein Leistenbruch oft bei übermäßiger körperlicher Anstrengung, z. B. bei schwerem Heben oder Pressen.

Symptome:
Es besteht überwiegend eine schmerzlose Schwellung in der Leiste. Sie ist i.d.R. weich und gut wegdrückbar. Brüche können unterschiedlich ausgeprägt sein und von einem kaum sichtbaren Befund bishin zu einer tastbare Schwellung reichen, die sich bis in den Hodensack ausprägt (sog. Skrotalhernie). Ferner könnne belastungsabhängige Beschwerden, selten Schemrzen, bestehen, die bei Druckerhöhung im Bauch entstehen. Dazu gehören neben Heben, Husten und Niesen auch schon das Pressen beim Stuhlgang.

Nehmen Beschwerden kurzfristig an Intensität zu oder wird die tastbare Vorwölbung druckschmerzhaft, kann eine Einklemmung vorliegen. Dabei gleitet der Bruch nicht mehr spontan zurück und ist in seiner Duchblutung gefährdet. Kommt es zu einer Strangulation des Bruchinhaltes oder zu einem Verlust der Durchlutung, liegt eine Inkarzeration vor. Diese kann mit Allgemeinsymptomen, Stuhlentleerungsstörungen oder akuten Schmerzen einhergehen. Oftmals beginnt sich die Haut über der Schwellung auch zu röten.

Diagnose
Die Diagnose wird durch die körperliche Untersuchung gestellt. Dabei läßt sich mt dem Finger eine Lücke in der Bauchwand tasten. Es lassen sich auch Aussagen machen, ob es sich um einen direkten oder indirekten Bruch handelt. Dem Untersucher schlägt dabei der Bruchsack beim Husten gegen die Fingerspitze. Er sollte in der Lage sein, den Bruch zu tasten und ggfs. in die Bauchhöhle zu verlagern. Gelingt dies nicht, handelt es sich um einen eingeklemmten Bruch, wodurch die Indikation zur OP dringlich zu stellen ist.
Zusätzlich kann eine Ultraschalluntersuchung beitragen, differentialdiagnostische Klarheit zu schaffen.

Therapie:
Leistenbrüche heilen nie spontan aus. Konservative Maßnahmen gibt es nicht. Dennch sind "Leistenbänder" die noch am häufigsten verkauften Hilfsmittel. Sie sollen den Bruchinhalt zurückdrängen. Leider kommt es hierbei oft zu einer mechanischen Schädigung der Haut.

Indikation zur Operation:
  • Größenzunahme
  • Unmögliche Reposition
  • Akute Einklemmung
  • Inkarzeration
Daher ist die therapeutische Empfehlung stets die operative Versorgung.


Ziel der Behandlung ist der dauerhafte Verschluss der Bruchlücke. Dies wird operativ erreicht.  Es gibt unterschiedliche Methoden mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen. Insgesamt konkurrieren folgende Verfahren:
  
  • Offene Schnittoperation:
Über eine 5 – 7 cm lange Hautinzision mit Durchtrennung und Rekonstruktion der Bauchwandschichten im Bruchbereich wird durch Nähte oder Einnähen eines Kunststoffnetzes der Bruch behandelt (Lichtenstein).

  • Endoskopische / laparoskopische Operation:
Ein minmal-invasiver Eingriff, der auch als "Schlüssellochoperation" bezeichnet wird. Durch 3 kleine Minischnitte unter Kamerasicht von der Bauchhöhle aus oder vor dem Bauchfell entlang wird ein ausreichend großen Kunststoffnetz platziert.
  • Konventionelle Operation:
Siehe "offene" Operation jedoch mit Verzicht auf ein Kunststoffnetz, da die Nähte des Kunststoffnetzes Spannungen erzeugen können (Shouldice/Bassini)

  • Spannungsfreie Operation:
Dieses Prinzip verfolgt die Einnaht von Kunststoffnetz mittels offener Schnittoperation oder die breitflächige Überdeckung der Bruchpforte mit einem Kunststoffnetz in endoskopisch/laparoskopisch Technik. Die „spannungsfreie“ Reparation mit Einsatz eines Netzes kann von innen/hinten (minimal-invasiv, posterior) entweder über den transabdominellen (durch die Bauchhöhle) Zugang (TAPP=Transabdominale Präperitoneale Patchplatik, laparoskopische Hernioplastik) oder über ein vollständig extraperitoneales Vorgehen (TEP = Totale Extraperitoneale Patchplastik, endoskopische Hernioplastik) ohne Eröffnung der Bauchhöhle erfolgen.  Beide minimal-invasive Techniken (TAPP und TEP) unterscheiden sich nur bezüglich des Zugangs zur Leistenregion, die Reparation selbst ist gleich.

Die laparoskopische Technik (TAPP,TEP) ist spannungsfrei, auch unter Belastung, vorausgesetzt alle möglichen Bruchpforten werden mit einem ausreichend großen Netz und einer Überlappung von mehr als 3-5 cm abgedeckt. Das erfordert eine Mindestgröße von 10×15 cm. Der Bauch-innendruck wird auf eine große Fläche verteilt und der dahinterliegende Schwachpunkt (Leistenkanal) entlastet. Eine Fixierung des Netzes ist nicht erforderlich und wird nur dann angewendet, um bei großen Brüchen ein Verrutschen des Netzes unmittelbar während bzw. nach der Operation zu verhindern.  Das Netz verklebt schon wenige Stunden nach der OP mit der Umgebung, sodass ein Verrutschen nicht mehr möglich ist.


Die Indikation für das Vorgehen wird individuell und in Abhängigkeit vom Befund und des Patienten gestellt. Das Risiko für ein Rezidiv liegt bei insgesamt ca. 5%. Die unterschiedlichen Verfahren schneiden dabei auch unterschiedlich ab.

Derzeit werden laproskopische Verfahren bevorzugt angewandt.  Die mittlere Operationszeit liegt dabei 40 Minuten, die Komplikationsrate bei 2.5%, die Dauer der Arbeitsunfähigkeit bei 14 Tage und die Wiederholungsbruchrate (Rezidiv) unter 1%.

Aufzuklären ist aber auch über die Gefahr von Blutungen, Nachblutungen, Infektionen, Organ- und Nervenschäden. Postoperativ muss in Abhängigkeit vom Verfahren mit einer Rekonvaleszenz gerechnet werden. Dabei sollten körperbetonte Tätigkeiten oder Sportarten gemieden werden.