Möglicherweise bedürfen einige
aktuelle Empfehlungen zur Rückenschmerzdiagnostik der dringenden
Überarbeitung. Eine australische Studie ergab, dass sich nur die
Faktoren Alter, lange Steroidtherapie, schweres Trauma und Kontusion
oder Abrasion als aussagekräftiger Hinweis auf eine möglicherweise
vorliegende Fraktur eignen. Als Warnsignal dafür, dass ein malignes
Geschehen dem Kreuzschmerz zugrunde liegt, eignete sich lediglich der
Screening-Faktor „Malignom in der Vorgeschichte“.
In den meisten Fällen ist ein Rückenschmerz unter
„unspezifisch“ zu verbuchen und bedarf keiner aufwändigen Diagnostik.
Dennoch steckt Schätzungen zufolge bei 1–4% der Rückenschmerzpatienten
eine Wirbelkörperfraktur und bei weniger als 1% ein malignes Geschehen
hinter den Beschwerden. Um keine dieser seltenen Ursachen zu übersehen,
haben die Autoren fast aller Leitlinien zum Teil lange Listen mit
Faktoren zusammengetragen („Red Flags“), bei deren Vorhandensein eine
weiterführende Diagnostik angebracht ist. Einig ist man sich allerdings
weder über die Art noch über die Wertigkeit der jeweiligen Faktoren.
Aron Downie und Kollegen von der University of Sydney haben
vermeintliche Risikofaktoren und deren Aussagekraft jetzt in einem
systematischen Review von 14 Studien genauer angesehen.
Nur wenige Red Flags erfüllen ihren Zweck
Die
Studien aus der Primärversorgung zeigten eine Prävalenz für Frakturen
bei Rückenschmerzpatienten zwischen 1,8% und 4,3% und für maligne
Geschehen zwischen 0,1% und 0,7%.In der Sekundär- und Tertiärversorgung
ergab sich für Frakturen eine Quote von 2,9–9,1%. In einer Studie der
Sekundärversorgung wurden bei 7% der Patienten Malignome
diagnostiziert, und in der Tertiärversorgung lag die Malignomprävalenz
zwischen 1,5% und 5,9%.
Insgesamt
wurde die Wertigkeit von 29 Red Flags für Frakturen und 24 für Malignome
überprüft. Viele der in aktuellen Leitlinien aufgeführten Red Flags
sind offenbar ungeeignet, um auf die Gefahr einer Fraktur oder eines
malignen Geschehens hinzuweisen. Die höchste
Vorhersagewahrscheinlichkeit für eine Wirbelkörperfraktur bei Patienten
mit Rückenschmerzen fanden die australischen Autoren im Zusammenhang mit
einem höheren Lebensalter (9%), einer längeren Kortikoidtherapie (33%),
einem schweren Trauma (11%) sowie nach Kontusion oder im Falle einer
Abrasion (62%). Mit dem Vorhandensein mehrerer Red Flags erhöhte sich
die Wahrscheinlichkeit für die Frakturdiagnose auf bis zu 90%. Bei
Patienten mit einem malignen Geschehen der Wirbelsäule war lediglich ein
Malignom in der Vorgeschichte wegweisend. In diesem Fall erreichte
Vorhersagewahrscheinlichkeit in der Primärversorgung durchschnittlich 7%
und in der Notfallversorgung 33%.
Die
europäische Leitlinie zum Management des chronischen nichtspezifischen
Kreuzschmerzes führt zehn verschiedene Red Flags für Frakturen und
Malignität auf. Doch auch von ihnen erwiesen sich lediglich der Krebs in
der Vorgeschichte des Patienten bzw. die längere Steroidtherapie als
aussagekräftige Warnsignale, die die Notwenigkeit einer weiterführenden
Diagnostik anzeigen.
Fazit der Autoren
In
den Ergebnissen der Studie sehen die Bemühungen der Autoren der
Leitlinie des American College of Physicians bestätigt, die auf eine
enger fokusierte Liste an Red Flags setzen. Folgt man den Kriterien der
meisten aktuellen Leitlinien, dann findet sich bei 80% der Patienten in
der Primärversorgung mindestens eine Red Flag, die eine weiterführende
Diagnostik rechtfertigt. Dies bedeutet, dass sich fast alle
Rückenschmerzpatienten einem bildgebenden Verfahren unterziehen sollten –
genau das, was man bei unkompliziertem Kreuzschmerz eigentlich
vermeiden wollte.
Quelle: