Ob sich nach einem offenen
Knochenbruch eine tiefe Infektion ausbildet, hängt wesentlich vom Grad
und dem Ort der Fraktur ab. Die Dauer bis zur Op. bzw. Antibiotikagabe
ist laut Ergebnissen einer kanadischen Studie weniger erheblich.
Gängigen Empfehlungen gemäß
sollten offene Frakturen binnen sechs Stunden einem chirurgischen
Débridement und einer Lavage unterzogen, antibiotisch versorgt und
stabilisiert werden. Eine Reihe von Studienergebnissen weist allerdings
darauf hin, dass ein Überschreiten der Sechs-Stunden-Grenze die Rate
tiefer Infektionen nicht erhöht.
Um
die infektbegünstigenden Faktoren bei offenen Frakturen genauer zu
untersuchen, hat eine Gruppe von Traumachirurgen der University of
Alberta in Edmonton, Kanada, in den Jahren 2001 bis 2009 insgesamt 736
Patienten mit 791 offenen Frakturen in eine prospektive Kohortenstudie
aufgenommen. 52% der Brüche waren Tibia-/Fibula-Frakturen. In 36% der
Fälle war eine obere Extremität betroffen, bei 12% handelte es sich um
Femurfrakturen.
46 Brüche (6%) zogen
eine tiefe Infektion nach sich. Definitionsgemäß bedeutete dies, dass
ein ungeplantes Débridement nötig war und/oder die antibiotische
Behandlung über den definitiven Wundverschluss hinaus fortgeführt werden
musste. Bloße phlegmonöse Entzündungen oder Infektionen des
Pin-Verlaufs zählten nicht als tiefe Wundinfektion.
Offene Unterschenkelfrakturen besonders gefährdet
Die
Zeit, die bis zur operativen Versorgung verging, hing nicht mit dem
Risiko für infektiöse Komplikationen zusammen. Sie betrug im Median
9 h 4 min bei den Patienten ohne und 7 h 39 min bei den Patienten mit
Infektion. Auch die Zeit bis zur Gabe von Antibiotika war kein
entscheidender Parameter. Allerdings dauerte es in den meisten Fällen
nur drei bis vier Stunden, bis die Patienten antibiotisch wirksame
Substanzen erhielten.
Als wichtiger
Faktor erwies sich der Ort der Fraktur: Für Tibia-/Fibula-Brüche lag das
Infektionsrisiko signifikant höher als für andere Lokalisationen (Odds
Ratio 3,91). 9% dieser Frakturen mündeten in eine Infektion.
Gustilo-Grad ist wichtig
Auch
die Frakturschwere beeinflusste das Infektionsrisiko. Statistisch
bedeutsam wurde dieser Zusammenhang ab dem Gustilo-Grad III, also bei
offenen Brüchen mit ausgedehnten Weichteilverletzungen (Odds Ratio 6,37
für Grad IIIA, 12,87 für Grad IIIB/C). 37% dieser Brüche infizierten
sich. Der höhere Verletzungsgrad könnte auch dazu beigetragen haben,
dass Frakturpatienten mit späterer tiefer Infektion im Median rascher in
den OP gekommen waren.
Donald Weber,
Erstautor der Studie, will zwar nicht dazu raten, bei offenen Frakturen
verzögert und elektiv
vorzugehen. Allerdings weist er darauf hin, dass
die Infektionsraten besonders bei Grad-I-(1%) und Grad-II-Frakturen (4%)
sowie bei offenen Armbrüchen (1,5%) relativ niedrig waren. Daher müsse
man womöglich nicht in jedem Fall noch mitten in der Nacht operieren,
sondern könne bis zum Morgen warten, wenn die Belegschaft des OP
Tagesstärke erreiche.
Weber D et al. Time to Initial Operative Treatment Following Open Fracture Does Not Impact Development of Deep Infection: A Prospective Cohort Study of 736 Subjects. J Orthop Trauma 2014; 28: 613–619; doi: 10.1097/BOT.0000000000000197