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Mittwoch, 13. September 2023

Fall 81: Der komplizierte Rückenschmerz (Behandlungsmöglichkeiten)

 Diskussion:

Bei dem Patienten bestanden seit 2 Jahren Rückenschmerzen ohne Trauma. Eine diagnostische Abklärung zu dem jetzigen Zeitpunkt erbrachte das Vorliegen eines metastasierenden Bronchialcarcinoms.

Die Leitlinien sehen vor, dass nach Anamnese und Untersuchung ohne Hinweise auf akut behandlungsbedürftige Verläufe bei Rückenschmerzen keine weiteren diagnostischen Maßnahmen indiziert sind. Diese werden erst nach 4 bis 6 wöchiger Dauer und leitliniengerechter Behandlung empfohlen und dann auch nur einmalig. Dagegen wird eine Bildgebung empfohlen bei Hinweisen auf ein spezifisches Geschehen, z.B. Trauma, Tumor bei höherem Alter, Steroidtherapie, neurologische Symptome, Spondylarthritis, allgemeine Symptome wie kürzlich aufgetretenes Fieber oder Schüttelfrost, Appetitlosigkeit, rasche Ermüdbarkeit, durchgemachte bakterielle Infektion, i.v.-Drogenabusus, Immunsuppression, konsumierende Grunderkrankungen, kürzlich zurückliegende Infiltrationsbehandlung an der Wirbelsäule oder starker nächtlicher Schmerz. In den Leitlinien wird das Alter des Patienten nicht berücksichtigt. Bei jungen Patienten als auch bei „älteren“ Patienten über 55 Jahren besteht die Indikation der Abklärung. Dazwischen ist die Inzidenz von Rückenschmerzen sehr hoch und die Verläufe i.d.R. selbstlimitierend (Chou 2011)[i].

Mit dem Alter jedoch steigen auch die Ursachen extravertebragener Rückenschmerzen. Hier imponieren vor allem abdominelle und viszerale Prozesse, z. B. Cholezystitis, Pankreatitis; Gefäßveränderungen, insbesondere Aortenaneurysmen (Takeyachi 2008)[ii], gynäkologische Ursachen, z. B. Endometriose, urologische Ursachen, z. B. Urolithiasis, Nierentumoren, perinephritische Abszesse, neurologische Erkrankungen, z. B. Polyneuropathien, und psychosomatische und psychiatrische Erkrankungen. Ihr Anteil wird auf 2% geschätzt (Deyn 2001)[iii]. Damit kann ein Großteil dieser Erkrankungen durch eine zusätzliche Abdomensonografie und einen Urinstatus zeitnah erkannt werden.

Bei malignen Grunderkrankungen sind Rückenschmerzen meist durch die Metastasierung eine Spätmanifestation, insbesondere von Magen, Lunge, Prostata, Nieren, Lymphomen, gastrointestinalen Tumoren und der Brust. Auf sie entfallen 80% (Greenberg 2016)[iv]. Sie treten bei ca. 10% der Karzinompatienten auf. Besonders häufig sind sie bei Patienten im mittleren Alter (40–65 Jahre). Im Kindesalter sind Metastasen dagegen sehr selten und treten zumeist intramedullär bei hirneigenen Tumoren auf.

Die Metastasierung erfolgt hämatogen primär in die Wirbelkörper. Mit zunehmendem destruktiv infiltrativen Wachstum können dann aber auch die Pedikel betroffen oder der Spinalkanal bedrängt werden. Nur selten wächst der Tumor in die Dura und verbreitet sich intradural (Abeloff 2008)[v].

Die Brustwirbelsäule ist mit 50–60 % der Fälle am häufigsten betroffen. Hier sind es die Segmente BWK 4 bis BWK 7. Beim Prostatakarzinom dagegen steht die Metastasierung in der Lendenwirbelsäule im Vordergrund. Bei mehr als der Hälfte der Patienten kommt es zum Befall über mehrere Höhen der Wirbelsäule.

Therapie

Die Wahl der Therapie richtet sich zunächst nach dem zugrunde liegenden Primärtumor.  Die Behandlung der Wirbelkörpermetastasen richtet sich nach der Lokalisation, verbleibender Stabilität, der Dauer und Ausprägung neurologischer Symptome sowie dem Allgemeinbefinden des Patienten. Klassifikationssysteme, wie z.B. der Tomita Score, Tokuhashi Score oder Spinal Instability Neoplastic Score, sollen bei der Entscheidung der Versorgung helfen, haben jedoch in der Praxis eine eingeschränkte Anwendbarkeit und dienen eher als Hilfe.

Das primäre Ziel der Therapie ist die Tumorreduktion oder im Idealfall -resektion, um den Spinalkanal und die Nervenwurzeln zu entlasten und eine Schmerzlinderung zu erreichen.

Medikamentöse Behandlung

Cortison kann eine akute Schwellung und den Druck auf die Nervenstrukturen mindern.

Bisphosphonate sollen den Knochenabbau verhindern und damit eine Schmerzlinderung erzeugen.

Manche Tumoren wachsen hormonabhängig, sodass auch Hormonpräparate angewendet werden können.

Bestrahlung

Durch die Bestrahlung des Tumors werden Tumorzellen reduziert. Dies kann als Monotherapie oder in Kombination nach einer Operation durchgeführt werden.

Operation

- Kypho- oder Vertebroplastie

- Laminektomie und Spondylodese

Bei der Laminektomie werden Teile des knöchernen Wirbelkörpers zur Entlastung des Spinalkanales entfernt. Der Tumor kann dabei nicht immer vollständig entfernt werden. Es kann durch die OP eine Instabilität erzeugt werden, die durch eine Spondylodese ergänzt werden kann.  Zur Abschätzung dienen Klassifizierungssysteme, z.B. der SINS-Score. Diese berücksichtigen die Lokalisation der Metastase, Ausmaß der Schädigung und Position der Wirbelkörper zueinander (Fisher 1976)[vi]

Prognose

Die Gesamtprognose ist wesentlich abhängig vom Primärtumor und dessen Tumorstadium. Im Behandlungskonzept ist die Schmerzkontrolle der wesentliche Bestandteil sowie die Stabilität der Wirbelsäule, um weitere neurologische Komplikationen, z.B. einen Querschnitt, zu verhindern.

Als prognostisch günstig gelten bei Befall der Wirbelsäule als Solitärmetastase und Metastasen von Karzinomen der Brust, Niere, Lymphome oder Myelome als Primärtumoren. Dagegen sind multiple Metastasen, das Auftreten pathologischer Frakturen und ein Lungenkarzinom als Primärtumor ungünstige Faktoren, ebenso wie neurologische Symptome oder deren Ausfall (Bauer 1996)[vii]. Der Ort der Metastase hat prinzipiell keinen prognostischen Wert, bestimmt aber wesentlich die Möglichkeiten des operativen Vorgehens.

Auch der Status der neurologischen Funktionen vor einer Operation oder anderen Therapien bestimmt maßgeblich das Ergebnis. Insbesondere die Gehfähigkeit und Schliessmuskelfunktion sind dabei von Bedeutung, so stellt ein vollständiger Verlust der Sphinkterfunktion einen ungünstigen prognostischen Faktor dar und ist in der Regel irreversibel (Greenberg 2016).



Literatur auf Nachfrage