Diskussion:
Bei
dem Patienten bestanden seit 2 Jahren Rückenschmerzen ohne Trauma. Eine
diagnostische Abklärung zu dem jetzigen Zeitpunkt erbrachte das Vorliegen eines
metastasierenden Bronchialcarcinoms.
Die
Leitlinien sehen vor, dass nach Anamnese und Untersuchung ohne Hinweise auf
akut behandlungsbedürftige Verläufe bei Rückenschmerzen keine weiteren
diagnostischen Maßnahmen indiziert sind. Diese werden erst nach 4 bis 6
wöchiger Dauer und leitliniengerechter Behandlung empfohlen und dann auch nur
einmalig. Dagegen wird eine Bildgebung empfohlen bei Hinweisen auf ein
spezifisches Geschehen, z.B. Trauma, Tumor bei höherem Alter, Steroidtherapie,
neurologische Symptome, Spondylarthritis, allgemeine Symptome wie kürzlich
aufgetretenes Fieber oder Schüttelfrost, Appetitlosigkeit, rasche Ermüdbarkeit,
durchgemachte bakterielle Infektion, i.v.-Drogenabusus, Immunsuppression,
konsumierende Grunderkrankungen, kürzlich zurückliegende
Infiltrationsbehandlung an der Wirbelsäule oder starker nächtlicher Schmerz. In
den Leitlinien wird das Alter des Patienten nicht berücksichtigt. Bei jungen
Patienten als auch bei „älteren“ Patienten über 55 Jahren besteht die
Indikation der Abklärung. Dazwischen ist die Inzidenz von Rückenschmerzen sehr
hoch und die Verläufe i.d.R. selbstlimitierend (Chou 2011)[i].
Mit
dem Alter jedoch steigen auch die Ursachen extravertebragener Rückenschmerzen. Hier
imponieren vor allem abdominelle und viszerale Prozesse, z. B. Cholezystitis,
Pankreatitis; Gefäßveränderungen, insbesondere Aortenaneurysmen (Takeyachi
2008)[ii],
gynäkologische Ursachen, z. B. Endometriose, urologische Ursachen, z. B.
Urolithiasis, Nierentumoren, perinephritische Abszesse, neurologische
Erkrankungen, z. B. Polyneuropathien, und psychosomatische und psychiatrische
Erkrankungen. Ihr Anteil wird auf 2% geschätzt (Deyn 2001)[iii].
Damit kann ein Großteil dieser Erkrankungen durch eine zusätzliche
Abdomensonografie und einen Urinstatus zeitnah erkannt werden.
Bei
malignen Grunderkrankungen sind Rückenschmerzen meist durch die Metastasierung eine
Spätmanifestation, insbesondere von Magen, Lunge, Prostata, Nieren, Lymphomen,
gastrointestinalen Tumoren und der Brust. Auf sie entfallen 80% (Greenberg
2016)[iv]. Sie
treten bei ca. 10% der Karzinompatienten auf. Besonders häufig sind sie bei
Patienten im mittleren Alter (40–65 Jahre). Im Kindesalter sind Metastasen
dagegen sehr selten und treten zumeist intramedullär bei hirneigenen Tumoren
auf.
Die
Metastasierung erfolgt hämatogen primär in die Wirbelkörper. Mit zunehmendem
destruktiv infiltrativen Wachstum können dann aber auch die Pedikel betroffen
oder der Spinalkanal bedrängt werden. Nur selten wächst der Tumor in die Dura
und verbreitet sich intradural (Abeloff 2008)[v].
Die
Brustwirbelsäule ist mit 50–60 % der Fälle am häufigsten betroffen. Hier sind
es die Segmente BWK 4 bis BWK 7. Beim Prostatakarzinom dagegen steht die
Metastasierung in der Lendenwirbelsäule im Vordergrund. Bei mehr als der Hälfte
der Patienten kommt es zum Befall über mehrere Höhen der Wirbelsäule.
Therapie
Die
Wahl der Therapie richtet sich zunächst nach dem zugrunde liegenden
Primärtumor. Die Behandlung der
Wirbelkörpermetastasen richtet sich nach der Lokalisation, verbleibender Stabilität,
der Dauer und Ausprägung neurologischer Symptome sowie dem Allgemeinbefinden
des Patienten. Klassifikationssysteme, wie z.B. der Tomita Score, Tokuhashi
Score oder Spinal Instability Neoplastic Score, sollen bei der Entscheidung der
Versorgung helfen, haben jedoch in der Praxis eine eingeschränkte Anwendbarkeit
und dienen eher als Hilfe.
Das
primäre Ziel der Therapie ist die Tumorreduktion oder im Idealfall -resektion,
um den Spinalkanal und die Nervenwurzeln zu entlasten und eine Schmerzlinderung
zu erreichen.
Medikamentöse
Behandlung
Cortison
kann eine akute Schwellung und den Druck auf die Nervenstrukturen mindern.
Bisphosphonate
sollen den Knochenabbau verhindern und damit eine Schmerzlinderung erzeugen.
Manche
Tumoren wachsen hormonabhängig, sodass auch Hormonpräparate angewendet werden
können.
Bestrahlung
Durch
die Bestrahlung des Tumors werden Tumorzellen reduziert. Dies kann als
Monotherapie oder in Kombination nach einer Operation durchgeführt werden.
Operation
- Kypho- oder
Vertebroplastie
-
Laminektomie und Spondylodese
Bei der Laminektomie
werden Teile des knöchernen Wirbelkörpers zur Entlastung des Spinalkanales
entfernt. Der Tumor kann dabei nicht immer vollständig entfernt werden. Es kann
durch die OP eine Instabilität erzeugt werden, die durch eine Spondylodese
ergänzt werden kann. Zur Abschätzung
dienen Klassifizierungssysteme, z.B. der SINS-Score. Diese
berücksichtigen die Lokalisation der Metastase, Ausmaß der Schädigung und
Position der Wirbelkörper zueinander (Fisher 1976)[vi]
Prognose
Die Gesamtprognose ist
wesentlich abhängig vom Primärtumor und dessen Tumorstadium. Im Behandlungskonzept
ist die Schmerzkontrolle der wesentliche Bestandteil sowie die Stabilität der
Wirbelsäule, um weitere neurologische Komplikationen, z.B. einen Querschnitt,
zu verhindern.
Als prognostisch günstig
gelten bei Befall der Wirbelsäule als Solitärmetastase und Metastasen von Karzinomen
der Brust, Niere, Lymphome oder Myelome als Primärtumoren. Dagegen sind multiple
Metastasen, das Auftreten pathologischer Frakturen und ein Lungenkarzinom als
Primärtumor ungünstige Faktoren, ebenso wie neurologische Symptome oder deren
Ausfall (Bauer 1996)[vii].
Der Ort der Metastase hat prinzipiell keinen prognostischen Wert, bestimmt aber
wesentlich die Möglichkeiten des operativen Vorgehens.
Auch der Status der
neurologischen Funktionen vor einer Operation oder anderen Therapien bestimmt maßgeblich
das Ergebnis. Insbesondere die Gehfähigkeit und Schliessmuskelfunktion sind
dabei von Bedeutung, so stellt ein vollständiger Verlust der Sphinkterfunktion
einen ungünstigen prognostischen Faktor dar und ist in der Regel irreversibel
(Greenberg 2016).
Literatur auf Nachfrage