Zur
Aufnahme kommt ein 68-jähriger Mann mit dem RTW. Er habe beim Aufstehen aus dem
Bett bei einer Drehbewegung akut Beschwerden in der untere LWS verspürt. Danach
konnte er sich schmerzbedingt nicht mehr bewegen. Neurologische Beschwerden
werden mit geminderter sensibler Wahrnehmung im linken Oberschenkel angegeben.
Anamnestisch
bestehen keine Vorerkrankungen. Fumatorium von 20 Zigaretten pro Tag. Es bestehen
seit 2 Jahren chronische Rückenschmerzen. Mit diesen wären er vor 6 Wochen beim
Orthopäden vorstellig geworden, der ein MRT veranlasst hätte. Ihm wäre
mitgeteilt worden, dass „Cysten“ zu sehen gewesen wären. Aufgrund des Befundes
wurde daraufhin ein Termin in der umliegenden Uni-Klinik vereinbart worden.
Befund:
63-jähriger
Patient in gutem Ernährungszustand und altersentsprechendem Allgemeinzustand. Eine
Mobilisierung auf der Trage ins Sitzen wird nicht toleriert. Im Liegen wird die
Rotation in der Wirbelsäule als schmerzhaft angegeben. Beim Log-roll kann ein
Druckschmerz über den unteren Dornfortsätzen der LWS ausgelöst werden. Die
periphere Durchblutung und der neurologische Status sind regelrecht.
Radiologisch
wird auch im Hinblick auf ein zuvor auffälliges MRT ein CT der LWS angemeldet.
Hier findet sich eine große lytische Läsion im Wirbelkörper L5 mit
Organüberschreitung i.S. einer instabilen Fraktur.
Bei
fehlender Tumoranamese erfolgt ein Staging zur Feststellung des Primarius.
Sonografisch fallen Leberfiliae auf. Im CT des Thorax kommt ein zentrales
Bronchialcarcinom zur Darstellung mit zusätzlichen Rippenmetastasen. Die
Bronchioskopie zeigt eine Infiltration des rechten Hauptbronchus, aus der eine
Histologie entnommen wird. Diese bestätigt ein muzinöses Adenocarcinom der
Lunge.
Therapie
und Verlauf:
Nach
onkologischer Vorstellung erfolgt die Verlegung in eine neurochirurgische
Abteilung zur Stabilisierung mittels Spondylodese der LWK Metastase und zur Einleitung
einer Chemotherapie. Die lokale postoperative Bestrahlung der Metastase wurde
in Aussicht gestellt.
Diskussion:
Bei
dem Patienten bestanden seit 2 Jahren Rückenschmerzen ohne Trauma. Eine
diagnostische Abklärung zu dem jetzigen Zeitpunkt erbrachte das Vorliegen eines
metastasierenden Bronchialcarcinoms.
Die
Leitlinien sehen vor, dass nach Anamnese und Untersuchung ohne Hinweise auf
akut behandlungsbedürftige Verläufe bei Rückenschmerzen keine weiteren
diagnostischen Maßnahmen indiziert sind. Diese werden erst nach 4 bis 6
wöchiger Dauer und leitliniengerechter Behandlung empfohlen und dann auch nur
einmalig. Eine Bildgebung wird ausschließlich bei Hinweis auf ein spezifisches
Geschehen empfohlen, z.B. Trauma, Tumor bei höherem Alter, Steroidtherapie,
neurologische Symptome, Spondylarthritis, allgemeine Symptome, wie kürzlich
aufgetretenes Fieber oder Schüttelfrost, Appetitlosigkeit, rasche Ermüdbarkeit,
durchgemachte bakterielle Infektion, i.v.-Drogenabusus, Immunsuppression,
konsumierende Grunderkrankungen, kürzlich zurückliegende
Infiltrationsbehandlung an der Wirbelsäule oder starker nächtlicher Schmerz. Dies
ist bei unserem Patienten nicht erfolgt. Die Beschwerden wurden mit einer
bedarfsadaptierten Analgesie behandelt jedoch nicht weiter abgeklärt.
In
den Leitlinien ist das Alter des Patienten keine Indikation zur spezifischen
Diagnostik sondern nur in Verbindung bei Hinweisen auf ein spezifisches
Geschehen. Aus eigener Erfahrung werden damit relevante bis dato relevante
Nebenbefunde übersehen. Dies sind vor allem Aneursymen oder maligne Prozesse. Bei
Kindern oder jungen Erwachsenen sind es vor allem
Es
darf daher interpretiert werden, dass das Alter zum Ausschluss spezifischer
Ursachen herangezogen werden kann, um eine Bildgebung auch schon bei
Erstkontakt zu veranlassen. Bei jungen Patienten unter 20 als auch bei
„älteren“ Patienten über 55 Jahren sollten Rückenschmerzen daher zum Ausschluss
einer spezifischen Genese abgeklärt werden. Die Bildgebung sollte mit weiteren
Untersuchungen je nach zugrundeliegender Verdachtsdiagnose ergänzt werden. Ab
dem 20. Lebensjahr und unter 50 ist die Inzidenz für Rückenschmerzen dagegen sehr
hoch und die Verläufe i.d.R. benigne und selbstlimitierend (Chou 2011)[i].
Mit
zunehmendem Alter jedoch steigen auch die Ursachen extravertebragener
Rückenschmerzen. Hier imponieren vor allem abdominelle und viszerale Prozesse,
z. B. Cholezystitis, Pankreatitis; Gefäßveränderungen, insbesondere
Aortenaneurysmen (Takeyachi 2008)[ii],
gynäkologische Ursachen, z. B. Endometriose, urologische Ursachen, z. B.
Urolithiasis, Nierentumoren, perinephritische Abszesse, neurologische
Erkrankungen, z. B. Polyneuropathien, und psychosomatische und psychiatrische
Erkrankungen. Ihr Anteil wird auf 2% geschätzt (Deyn 2001)[iii].
Damit kann ein Großteil dieser Erkrankungen durch eine zusätzliche
Abdomensonografie, Labor und einen Urinstatus zeitnah erkannt werden.
Bei
malignen Grunderkrankungen sind Rückenschmerzen meist durch ihre Metastasierung
eine Spätmanifestation, insbesondere von Magen, Lunge, Prostata, Nieren,
Lymphomen, gastrointestinalen Tumoren und der Brust. Auf sie entfallen 80%
(Greenberg 2016)[iv].
Rückenschmerzen durch eine Filialisierung treten bei ca. 10% der
Karzinompatienten auf. Besonders häufig betroffen sind Patienten im mittleren
Alter (40–65 Jahre). Im Kindesalter sind Metastasen dagegen sehr selten und
treten zumeist intramedullär bei hirneigenen Tumoren auf.
Die
Metastasierung erfolgt hämatogen primär in die Wirbelkörper. Mit zunehmendem
destruktiv infiltrativen Wachstum können dann aber auch die Pedikel betroffen
oder der Spinalkanal bedrängt werden. Nur selten wächst der Tumor in die Dura
und verbreitet sich intradural (Abeloff 2008)[v].
Die
Brustwirbelsäule ist mit 50–60 % der Fälle am häufigsten betroffen. Hier sind
es die Segmente BWK 4 bis BWK 7. Beim Prostatakarzinom dagegen steht die
Metastasierung in der Lendenwirbelsäule im Vordergrund. Bei mehr als der Hälfte
der Patienten kommt es zum Befall über mehrere Höhen der Wirbelsäule.
Therapie
Die
Wahl der Therapie richtet sich zunächst nach dem zugrunde liegenden
Primärtumor. Die Behandlung der
Wirbelkörpermetastasen richtet sich nach der Lokalisation, verbleibender Stabilität,
der Dauer und Ausprägung neurologischer Symptome sowie dem Allgemeinbefinden
des Patienten. Klassifikationssysteme, wie z.B. der Tomita Score, Tokuhashi
Score oder Spinal Instability Neoplastic Score, sollen bei der Entscheidung der
Versorgung helfen, haben jedoch in der Praxis eine eingeschränkte Anwendbarkeit
und dienen eher als Hilfe.
Das
primäre Ziel der Therapie ist die Tumorreduktion oder im Idealfall -resektion,
um den Spinalkanal und die Nervenwurzeln zu entlasten und eine Schmerzlinderung
zu erreichen.
Medikamentöse
Behandlung
Cortison
kann eine akute Schwellung und den Druck auf die Nervenstrukturen mindern.
Bisphosphonate
sollen den Knochenabbau verhindern und damit eine Schmerzlinderung erzeugen.
Manche
Tumoren wachsen hormonabhängig, sodass auch Hormonpräparate angewendet werden
können..
Bestrahlung
Durch
die Bestrahlung des Tumors werden Tumorzellen reduziert. Dies kann als
Monotherapie oder in Kombination nach einer Operation durchgeführt werden. .
Operation
- Kypho- oder Vertebroplastie
- Laminektomie und Spondylodese
Bei der Laminektomie
werden Teile des knöchernen Wirbelkörpers zur Entlastung des Spinalkanales
entfernt. Der Tumor kann dabei nicht immer vollständig entfernt werden. Es kann
durch die OP eine Instabilität erzeugt werden, die durch eine Spondylodese
ergänzt werden kann. Zur Abschätzung
dienen Klassifizierungssysteme, z.B. der SINS-Score. Diese
berücksichtigen die Lokalisation der Metastase, Ausmass der Schädigung und
Position der Wirbelkörper zueinander (Fisher 1976)[vi]
Prognose
Die Gesamtprognose ist
wesentlich abhängig vom Primärtumor und dem Tumorstadium. Im Behandlungskonzept
ist die Schmerzkontrolle der wesentliche Bestandteil sowie die Stabilität der
Wirbelsäule, um weitere neurologische Komplikationen, z.B. einen Querschnitt,
zu verhindern.
Als prognostisch günstig
gelten bei Befall der Wirbelsäule als Solitärmetastase und Metastasen von Karzinomen
der Brust, Niere, Lymphome oder Myelome als Primärtumoren. Dagegen sind multiple
Metastasen, das Auftreten pathologischer Frakturen und ein Lungenkarzinom als
Primärtumor ungünstige Faktoren, ebenso wie neurologische Symptome oder deren
Ausfall (Bauer 1996)[vii].
Der Ort der Metastase hat prinzipiell keine prognostischen Wert, bestimmt aber
wesentlich die Möglichkeiten des operativen Vorgehens.
Auch der Status der
neurologischen Funktionen vor einer Operation oder anderen Therapien bestimmt
maßgeblich das Ergebnis. Insbesondere die Gehfähigkeit und
Schliessmuskelfunktion sind dabei von Bedeutung, so stellt ein vollständiger
Verlust der Sphinkterfunktion einen ungünstigen prognostischen Faktor dar und
ist in der Regel irreversibel (Greenberg 2016).
Keywords: Rückenschmerz, Wirbelmetastasen, Wirbelkörpermetastasen, Tumor, Wirbelsäule, Karzinom, Pathologische Fraktur