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Montag, 30. Dezember 2024

Fall 86: Treppensturz mit Folgen

 

Diskussion:

Rippenfrakturen gelten mit etwa 80% als ein häufiger Befund beim stumpfen Thoraxtrauma. In 85% der Fälle sind mehrere, in lediglich 15% nur eine Rippe betroffen. In bis zu 30%  findet sich ein bilateraler Befund[i]. Am häufigsten sind die Rippen V bis XI betroffen, seltener die oberen beiden Rippen, die  durch den Schultergürtel mit seinem Muskelmantel geschützt sind. Frakturen der oberen Rippen weisen i.d.R. auf eine starke Gewalteinwirkung hin. Jede Rippenfraktur geht mit einem Blutverlust von etwa 150 ml einher[ii]. Im Kinder- und Jugendalter sind Rippen elastischer und brechen weniger häufig. Dennoch schließen fehlende Rippenfrakturen ein größeres Trauma nicht aus!

 

Beachte

·         Patienten mit Rippenfrakturen nach stumpfem Thoraxtrauma und Schock ohne Hämato- oder Pneumothorax müssen an intraabdominelle Blutungsquelle denken lassen.

·         Brustbeinverletzungen sind immer ein Indiz für ein schweres Trauma und müssen an mögliche Begleitverletzung von Herz und großen Gefäßen denken lassen.

 

Diagnose:

Im Zusammenhang mit Thoraxverletzungen sind insbesondere Milzläsionen gefürchtet, da sie zweizeitig auftreten und sich der Primärdiagnostik entziehen können. Der erste Hinweis auf das Vorliegen einer Milzruptur ergibt sich oft schon aus der Anamnese:

 Jede stumpfe Verletzung des linken Oberbauches oder der linken Flanke kann mit einer Milzruptur einhergehen. Bei leichteren Verletzungen mit geringer Blutung finden sich unspezifische Oberbauchschmerzen, ein Druckschmerz im Epigastrium, Klopfschmerz im Bereich der linken Flanke und linksseitige atemabhängige Beschwerden. Oft wird von den Patienten eine Schmerzausstrahlung in die linke Schulter (Kehr-Zeichen) angegeben. Die Reizung des Zwerchfells und somit des Nervus phrenicus durch Blutung oder Kapselhämatom führt zu Schmerzen in der linken Halsseite (Saegesser-Zeichen).

 Erst bei höheren Verletzungsgraden mit starker Blutung treten die Zeichen des drohenden oder manifesten Volumenmangelschocks in den Vordergrund: Beschleunigter Puls bei erniedrigtem Blutdruck (Tachykardie und Hypotonie), beschleunigte Atmung (Tachypnoe bis hin zur Hyperventilation), blasse, kalte und kaltschweißige Haut, Angst und Unruhe. Eine zunehmende Bewusstseinstrübung infolge des cerebralen Sauerstoffmangels zwingt zu sofortigen lebensrettenden Maßnahmen.

Labor:

Hämoglobin, Erythrozytenzahl, Hämatokrit zur Abschätzung des Blutverlustes. Die Blutgasanalyse gibt Auskunft über die Sauerstoffsättigung des Blutes und zeigt gegebenenfalls bei zunehmendem Schock eine Übersäuerung des Blutes (Azidose). Im Blutbild zeigt sich bei Milzrupturen regelhaft eine hochgradige Steigerung der Leukozytenzahl), im Labor die übrigen Organfunktionen (Niere, Leber etc.).

Sonographie:

Nachweis von freier Flüssigkeit und gröbere Parenchymverletzungen der Milz oder große subkapsuläre Hämatome. Bei unauffälligem Befund aber klinisch weiter bestehendem Verdacht muss die Untersuchung engmaschig wiederholt werden, um eine zweizeitige Ruptur oder ein zunehmendes Kapselhämatom nicht zu übersehen.

Röntgenaufnahmen des Thorax und des Abdomens zum Ausschluss weiterer Verletzungen (beispielsweise Rippenfrakturen mit Pneumothorax) durchgeführt.

Computertomographie des Abdomens zeigt das Ausmaß der Milzverletzung.

Die noch bis in die 1990er Jahre regelmäßig durchgeführte Peritoneallavage ist mittlerweile wegen ihrer hohen Fehlerquote nicht mehr gebräuchlich.

Da diese unterschiedlichen Verletzungsformen direkten Einfluss auf die Prognose und das chirurgische Vorgehen haben, werden fünf Schweregrade unterschieden:

·     Grad 1: Kapselrisse, subkapsuläres nicht expandierendes Hämatom. Zerreissung < 1 cm tief.

·   Grad 2: Verletzung von Kapsel und Parenchym ohne Verletzung von Segmentarterien. Zerreissung 1-3 cm tief; zentrales oder subkapsuläres Hämatom 1-3 cm.

·   Grad 3: Verletzung von Kapsel, Parenchym und Segmentarterien. Zerreissung tiefer als 3 cm; zentrales oder subkapsuläres Hämatom > 3 cm.

·   Grad 4: Verletzung von Kapsel, Parenchym und Segment- oder Hilusgefäßen, Abriss des Gefäßstiels

·     Grad 5: Ausriss des Organs im Milzhilus mit Devaskularisation (Unterbrechung der Gefäßversorgung)

 Therapie bei Milzruptur: 

Das therapeutische Vorgehen hängt vom Schweregrad der Ruptur ab. Während noch bis in die 1980er Jahre eine Milzruptur nahezu ausschließlich durch die Entfernung der Milz (Splenektomie) behandelt wurde, macht die Verbesserung der konservativen Blutungskontrolle mittlerweile eine differenziertere Therapie unter dem Gesichtspunkt der Organerhaltung möglich.

 Rupturen 1. Grades

Unter engmaschiger Kontrolle des sonografischen Befundes, der Kreislaufparameter und des Blutbildes kann in diesem Stadium oft konservativ behandelt, da sich diese Läsionen durch die körpereigene Blutstillung (Hämostase) verschließen und abheilen können. Alle übrigen Schweregrade bedürfen einer operativen Intervention.

 Rupturen 2. Und 3. Grades

Ziel des operativen Vorgehens ist der Milzerhalt. Dabei kann mittels Infrarot- beziehungsweise Elektrokoagulation und Fibrinkleber oft eine Blutstillung erzielt werden. Die Milz wird dazu auch in ein resorbierbares Kunststoffnetz eingehüllt und damit komprimiert.

 Rupturen 4. Und 5. Grades

Beim Schweregrad 4 kann durch eine Teilresektion manchmal ein funktionstüchtiger Teil der Milz erhalten werden, während beim 5. Grad nur die Splenektomie in Betracht kommt.

 Die Auswahl des geeigneten operativen Vorgehens hängt allerdings nicht nur vom Schweregrad der Verletzung ab. Während bei Kindern und Jugendlichen eine Organerhaltung mit allen Mitteln versucht wird, kommt im höheren Alter eher die Splenektomie zum Einsatz. Der Grund liegt zum einen in der geringeren Komplikationsrate (Postsplenektomie-Syndrom) bei Erwachsenen, zum anderen in häufig vorliegenden Begleiterkrankungen, die das Risiko intra- oder postoperativer Komplikationen bei langwierigen Erhaltungsversuchen mit hohem Blutverlust steigen lassen. Auch ungünstige anatomische Verhältnisse, wie sie zum Beispiel bei ausgeprägtem Übergewicht (Adipositas) vorliegen, können die Entscheidung in Richtung der einfacher durchführbaren Splenektomie lenken.[1]