Die Chronifizierung von Schmerzen ist ein Problem von
zunehmender klinischer, aber auch wirtschaftlicher Relevanz. Doch
gefährdete Patienten können anhand ihres Risikoprofils identifiziert
werden. Sie bedürfen auch bei Routineeingriffen der besonderen
Aufmerksamkeit durch die Anästhesie.
Das Schmerzgedächtnis einfach löschen?
Besonders
spektakuläre Konsequenzen hat die Hypothese, dass das Schmerzgedächtnis
synaptisch verankert ist Zum Tragen kommt hier das Konzept der
synaptischen Langzeitpotenziale (synaptic longterm potentiation - LTP).
Therapeutisch wird bereits über erste Versuche berichtet durch eine
kurzzeitige, extrem hoch dosierte Opiatgabe dieses synaptische
Schmerzgedächtnis zu löschen. Die Chancen dieser sehr invasiven
Therapie (Beatmung, Intensivstation) bewertet Prof. Dr. Hans-Georg
Schaible (Friedrich-Schiller-Universität Jena) allerdings mit großer
Skepsis.
Präventiv statt präemptiv
Lange
Zeit galt in der Anästhesie das Prinzip der präemptiven Analgesie auch
als Schutz vor einer Chronifizierung. Die Opiatgabe bereits vor dem
Schmerzereignis sollte die Schmerzentstehung quasi unterdrücken. Diese
Idee hält aber leider einer empirischen Überprüfung nicht Stand [4].
"Das Fentanyl vor dem Schnitt kann die spätere Schmerzbelastung und auch
den Opiatverbrauch nicht nachweisbar beeinflussen", konstatiert Frau
Professor Esther Pogatzki-Zahn (Westfälische Wilhelms-Universität
Münster).Die Schmerzexpertin schlägt einen Paradigmenwechsel vor: Statt präemptiv sollte die Anästhesie präventiv vorgehen. Eine geeignete medikamentöse Prämedikation könnte in Zukunft den späteren Opiatverbrauch vermindern und damit vielleicht auch die Chronifizierung. Für Ketamin, Gabapentin und Pregabalin werden solche präventiven Effekte diskutiert. Doch die bisherigen Studienresultate enttäuschen noch. "Die Ketaminstudien waren nur für die Abdominalchirurgie positiv. Die Gabapentinstudien sind alle zusammengenommen negativ. Auch die Pregabalinstudien sind fast alle negativ ausgefallen.", fasst die Münsteraner Anästhesistin die bisherigen Resultate zusammen.
Psychische Faktoren entscheiden
Zudem
wird immer deutlicher, dass auch psychologische Faktoren mit dem
Chronifizierungsrisiko korrelieren. Eine aktuelle dänische Studie zeigt,
dass bei der Brustchirurgie psychologische Faktoren entscheidend sind. Patientinnen waren besonders für chronische Schmerzen gefährdet,
wenn bereits präoperativ eine Schmerzchronifizierung oder eine hohe
Schmerzbelastung bestand. Außerdem potenzierten Depressionen und
Angstbelastungen das Risiko. Auch eine vermehrte Aufmerksamkeit für
drohende Schmerzen (Hypervigilanz) scheint ein relevantes Risiko
darzustellen.
Screening für die PM-Sprechstunde
Solche
Erkenntnisse haben OA Dr. med. Reinhard Sittl am Universitätsklinikum
Erlangen-Nürnberg veranlasst einen Screeningtest auf
Chronifizierungsgefahr für die Prämedikationssprechstunde zu entwickeln.
Kurze psychologische Tests können die Patienten mit dem entsprechenden
Risikoprofil identifizieren. Diese Patienten werden aktiv beraten und
mit Entspannungsübungen vertraut gemacht. "Durchgeführt wurde das bei 24
Patienten. Der prophylaktische Effekt ist bei den Risikopatienten mit
Hypervigilanz deutlich nachweisbar und hält bis zu drei Monaten an",
berichtet der Erlanger Schmerzmediziner.
Regionalanästhesie bleibt das Beste
Auf
eine medikamentöse Prophylaxe der Chronifizierung werden wir allerdings
noch länger warten müssen. Das Fazit von Frau Prof. Pogatzki-Zahn fällt
entsprechend verhalten aus: "Ich kann Ihnen da noch nicht einmal etwas
an die Hand geben, was Sie präventiv einsetzen können. Aus meiner Sicht
ist alles was wir haben noch nicht gut genug. Wenn Sie den Patienten
etwas Gutes tun wollen, dann ist es eine Regionalanästhesie."
Vom akuten zum chronischen Schmerz - Schicksal oder
beeinflussbar? HAI 2013 - Der Hauptstadtkongress der DGAI für
Anästhesiologie und Intensivtherapie