Bei Focus online erschien eine Rezension für ein neues Buch von Michael Imhof. Darin kritisiert er Strömungen in der Medizin als die neuen 7 Todsünden. Übertragen auf die Orthopädie stelle ich zwei vor:
Sünde 1: Die Kommerzialisierung von Krankheit und Leiden
Die
Wirtschaftlichkeit rückt im Gesundheitswesen immer mehr in den
Vordergrund, Krankheit und Leiden treten in den Hintergrund, kritisiert
Michael Imhof in seinem Buch. Zwar gaukelten Werbebotschaften wie „Wir
helfen Ihnen gerne“ dem Patienten Vertrauen und fachliche Qualität der
Behandlung vor. In Wirklichkeit könnten Patienten aus verschiedenen
Angeboten aber nicht das für sie beste auswählen.
Ein
grundlegendes Umdenken in Krankenhäusern brachte im Jahr 2004 die
Einführung der Fallpauschalen (DRG-Katalog). Anstelle von Tagessätzen
verdienen Krankenhäuser seitdem überwiegend mit einzelnen Diagnosen.
Seitdem haben sich die Verweildauern in Kliniken jährlich um
durchschnittliche 2,2 Prozent auf mittlerweile 6,82 Tage im Jahr 2010
verkürzt. Patienten, die noch nicht vollständig genesen sind, werden
frühzeitig nach Hause geschickt.
Hüftoperationen sind rentabel
Auf
der anderen Seite lässt sich ein Trend zu Behandlungen mit höheren
Sachkosten feststellen. Hüft- und Bandscheibenoperationen oder Eingriffe
am Kniegelenk haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Den Grund
sieht Imhof nicht nur in der älter werdenden Gesellschaft, sondern auch
in den Fallpauschalen: Knapp 7000 Euro beträgt die Pauschale gemäß
DRG-Katalog, die ein Krankenhaus für Hüftoperationen abrechnen kann. Für
Bandscheibenoperationen bekommen Ärzte im Schnitt rund 6600 Euro.
200 000 künstliche Hüftgelenke setzen Chirurgen in Deutschland jährlich
ein. In allen anderen europäischen Ländern sind es insgesamt gerade
einmal rund 300 000 künstliche Hüftgelenke im Jahr.
Für „teure“
Patienten müssen Ärzte dagegen immer häufiger kämpfen, damit sie die
entsprechende Behandlung erhalten. „Es wird eben nur noch das getan, was
sich rechnet“, ärgert sich Imhof. „Es ist ein unwürdiges und makabres
Spiel, dass Ärzte und Geschäftsführer mittlerweile darum feilschen, wie
viele ‚unrentable Patienten’ noch stationär aufgenommen werden dürfen.“
Sünde 3: Die Habsucht der Ärzte
In immer mehr Praxen igelt es. Das beginne oft schon im
Wartezimmer, wo die Augen auf werbewirksame Ankündigungen an den Wänden
fallen, in denen für dieses und jenes ein ganz spezieller Zusatzservice
angeboten wird – alles im Dienste der Gesundheit, versteht sich.
Angesichts eines wachsenden Budgetdrucks und sinkender Honorare in
Arztpraxen mussten neue Einkommensfelder her: die Individuellen
Gesundheitsleistungen, kurz IGeL.
Diese Zusatzleistungen müssen
die Patienten aus eigener Tasche zahlen. Inzwischen, schreibt Imhof,
habe sich ein grauer Markt der IGeL-Leistungen etabliert, der prächtig
floriere. Von Vorsorgeuntersuchungen wie der Augeninnendruckmessung,
reise- und sportmedizinischen Untersuchungen,
Stressbewältigungstherapien bis hin zu Raucherentwöhnungen - solange es
dem Patienten nicht schadet, können Ärzte die IGeL-Leistungen beliebig
häufig anbieten.
Was nicht schadet, kann nicht schlecht sein
Am
Nutzen der häufigsten Angebote zweifelt der Medizinische Dienst der
Krankenkassen (MDS): 26 der individuellen Gesundheitsleistungen hat der
MDS im Rahmen des „IGeL-Monitors“ bewertet. Zwölfmal lautete das
Ergebnis: Nutzen nicht erwiesen, Schäden möglich. In elf Fällen gebe es
zu wenig Studien, um klare Aussagen zu treffen - oder Nutzen und Schaden
halten sich die Waage. Nur dreimal geben die Prüfer ein eher positives
Fazit: für die Akupunktur gegen Migräne, die Laserbehandlung von
Krampfadern und die Lichttherapie bei saisonaler Depression.
Für
Ärzte sind die Zusatzleistungen eine willkommene Möglichkeit den
Praxisumsatz aufzupolieren: Bei durchschnittlichen Kosten von 70 Euro je
Leistung umfasst der IGeL-Markt rund 1,3 Milliarden Euro im Jahr 2012, schätzt das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO). In einzelnen Arztpraxen liegt der IGeL-Anteil am Gesamtgeschäft mittlerweile bei zehn bis 20 Prozent.
Sünde 7: Der Machbarkeitswahn der Medizin
Diagnosen sind für alle da. Und wer ist schon
gesund? Niemand so richtig, irgendetwas ist ja immer. Und wenn gerade
kein körperliches Leiden vorliegt, dann erfindet die Medizinwirtschaft
eben neue Krankheiten oder erweitert bestehende Leiden.
Alzheimer,
Burn-out, Cellulite, ADHS, Bluthochdruck oder das Chronische
Erschöpfungssyndrom. Für jeden Buchstaben des Alphabets und jedes
individuelle Zipperlein sei das Entsprechende dabei, kritisiert Imhof.
Auch die „Wechseljahre des Mannes“ hält der Chirurg für einen
Krankheitsmythos. Wenn ältere Männer müde sind oder eine schwächelnde
Libido haben, sei nach neuen ärztlichen Definitionen ein
Testosteron-Mangelsyndrom daran schuld. Imhof findet das lächerlich und
nennt die „Hormonmangelseuche“ als Beispiel, wie die Pharmaindustrie
selbst an Gesunden verdienen möchte. Auch der Kardiologe Thomas Böhmeke
aus Gladbeck spottet über die Thematik. Im Deutschen Ärzteblatt
definiert er die neue Krankheit DRGitis – als eine sich infektiös
ausbreitende bürokratische Dysfunktion, die „uns alle so furchtbar
krank“ mache, dass „wir ab dem 55. Lebensjahr in Rente gehen müssen.“
Glatzenbildung des Mannes als Krankheit
Die
Medikalisierung, meint der Imhof, werde sich in Zukunft noch
verstärken: Was früher als normal galt, erklärt die Medizin neuerdings
für abweichend und behandlungsbedürftig. Der englische Begriff "Disease
Mongering" (zu Deutsch: Krankheitserfindung) trifft die Entwicklung noch
besser und lässt sich sinnbildlich auch als „Handel mit der Krankheit“
übersetzen. In der Kritik steht in diesem Zusammenhang vor allem die
Pharmaindustrie, die neue Krankheitsbegriffe prägt, bestehende Begriffe
ausweitet oder bestimmte Mängel oder Symptome dramatisiert, um sich neue
Absatzmärkte zu erschließen. Aber auch Wellnesseinrichtungen,
Testlabore oder Buchautoren profitieren von dem Geschäft mit der
Krankheit.
Nur wenige Erkrankungen sind komplette Neuerfindungen.
Die ziemlich seltene, frühe Glatzenbildung des Mannes als
therapiebedürftige Krankheit zu vermarkten, schlug allerdings fehl. Da
half es auch nichts, dass die von der Pharmaindustrie beauftragte
PR-Agentur bis zu 30 Prozent der Männer als betroffen darstellte.
Sehen Sie sich dort irgendwo wieder?
http://www.focus.de/gesundheit/arzt-klinik/klinik/geldgier-habsucht-korruption-das-sind-die-sieben-todsuenden-der-modernen-medizin_id_3719751.html