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Dienstag, 24. Mai 2016

Fall 54: Der unerwartete Brustschmerz



Ein 65-jähriger Mann stellt sich abends in der Notaufnahme vor. Seit 4 Wochen bestünden Ruhe- und belastungsabhängige thorakale Schmerzen in der Wirbelsäule. Die Schmerzen weckten ihn nachts auf und wären von einem dumpfen Charakter. Die Schmerzen hätten sich jedoch seit kurzem ausgebreitet und die gesamte Wirbelsäule erfasst.

Der Hausarzt hätte wegen bewegungsabhängiger Rückenschmerzen die Diagnose eines BWS-Syndroms geäußert. Ein Röntgenbild wurde nicht angefertigt, auch keine weiterführende Diagnostik.

Anamnestisch habe sich das Allgemeinbefinden verschlechtert. Der Patient gab eine Leistungsschwäche und Erschöpfung mit einem Gewichtsverlust von 2 kg in den letzten 4 Wochen an. Auch schwitze er nachts. Neurologische Symptoms mit Schwäche oder Blasen- Mastdarmschwäche wurden verneint.

Laborchemisch zeigt sich eine normochrome Anämie, eine Erhöhung der alkalischen Phosphatase und des Kalziums sowie eine dreistellige Erhöhung der BSG. Herzfermente sind unauffällig.
Das EKG kann eine Ischämie ausschließen.

Radiologisch findet sich folgender Befund im Thoraxbild:



 Fällt irgendetwas auf?

Glauben Sie, dass es gebrochen ist - Ist der Patient ein zuverlässiger Indikator?

Es gibt viele Gründe, warum Röntgenaufnahmen in der Notaufnahme angefertigt werden. Bei jeder von ihnen ist zu fordern, dass ein in der Fachkunde erfahrener Arzt die medizinische Indikation zur strahlenbelasteten Untersuchung stellt. Als Günde für eine Röntgenaufnahme gelten:
  • der Wunsch, die Erwartungen der Patienten zu erfüllen
  • mangelndes Vertrauen Arzt
  • die Angst vor einem Rechtsstreit
  • eingeschliffene Gewohnheiten
  • relativ niedrige Kosten einer Röntgenaufnahme
  • die Nichtinvasivität der Untersuchung
  •  Vergütungsanreize 
  • Vorschriften zum diagnostischen Ablauf.

Michael et al von der Universität Austin, Texas sind in ihrer Untersuchung der Frage nachgegangen, ob nicht durch die gemeinsame Einschätzung von Arzt und Patient im Vorfeld diagnostischer Bildgebung nicht das Röntgen überflüssig und Geld gespart werden könnte.

Das Argument war, dass ein erfahrener Notfallmediziner treffsicher die Wahrscheinlichkeit für eine Extremitätenfraktur oder eine Dislokation einschätzen könne. Weiter wird argumentiert, dass auch die Patienten selbst sind in der Lage sind, die Verletzungsschwere gut einzuschätzen zu können.  

In einer prospektiven Beobachtungsstudie wurden dazu Ärzte und Patienten vor dem Röntgen befragt, wie sie die Verletzung einschätzem. 191 Studienteilnehmer nahmen an dieser Studie in einem Traumazentrum zwischen November 2011 und Januar 2015 teil. Sie waren mindestens 18 Jahre alt und ihre Verletzung lag nicht mehr als vier Wochen zurück. Die meisten wurden innerhalb der ersten 24 Stunden nach dem Unfall gesehen. Die Orobanden wurden mittels Fragebogen befragt, ob sie glaubten, dass ein Knochen gebrochen oder ein Gelenk verrenkt sei. Die vier Antwortmöglichkeiten reichten von „Ja, sicher“ bis „sicher nicht“. Der Notfallmediziner dagegen schätzte die Wahrscheinlichkeit einer Fraktur zwischen „< 10%“ und „sicher“ ein.

Bei 27,7% der Verletzten fanden sich knöcherne Verletzungen (51 Frakturen und drei Fingerluxationen). Bei 6% der Patienten schätzte der Notfallmediziner das Frakturrisiko falsch ein. Obwohle ein Risiko von < 10% angegeben wurde, fanden sich im Röntgenbild dann doch knöcherne Verletzungen (negative Vorhersagewahrscheinlichkeit, NPV 94,3%). Diese Gruppe machte 45% der durchgeführten Röntgenaufnahmen aus. Die Patienten, die mit „sicher nicht“ geantwortet hatten, lagen mit ihrer Einschätzung zu 100% richtig. Diejenigen, die „sicher nicht“ oder „wahrscheinlich nicht“ angegeben hatten, täuschten sich in knpp 10% (NPV 90,2%).


Die Autoren folgern, dass nun eine größere Studie klären sollte, ob sich die 100%ige NPV der Patienten, die sich in dieser Untersuchung ergeben hat, bestätigen lässt. In jedem Fall könne die Frage „Glauben Sie, dass Sie sich etwas gebrochen haben?“ wertvoll sein, da die Antwort des Patienten einerseits dessen Erwartungen wiederspiegle, andererseits ihm aber auch das Gefühl einer gemeinsamen Entscheidungsfindung gebe. Wenn Arzt und Patient darin übereinstimmen können, dass eine Fraktur extrem unwahrscheinlich sei, könnten Ärzte guten Gewissens auf eine Bildgebung verzichten, folgerten die Autoren. Schmerzen seien kein sicheres Kriterium, da sich nach einer Verletzung keine relevanten Unterschiede bei Patienten mit und ohne Frakturen fanden.


Kommentar:
Ich kann nur dringend abraten, die Entscheidung der Eltern für ein Röntgen beim Kind zu lassen. Auch habe ich meine Bedenken, Kinder zu röntgen, längst aufgegeben. Nach vielen Jahren in der Notaufnahme habe ich gelernt, dass Befund und Röntgenbild oft in krassem Missverhältnis stehen können. So wären viele Frakturen versäumt worden, wenn es nach den Beschwerden des Kindes gegangen wäre. Entscheidend ist die genaue Anamnese zum Unfallhergang, die Untersuchung und im Zweifelsfall erst recht ein Röntgenbild. Der erfahrene Kollege wird sicherlich auch vorab den Ultraschall nutzen könnnen. Das Argument, Kosten zu sparen, kann ich niccht akzeptieren. Es geht vielmehr darum, die 6% versäumter Diagnosen zu vermeiden, von Rechtsstreitigkeiten einmal abgesehen.



Literatur:

Dienstag, 10. Mai 2016

Fall 53: Der gestürzte Deichläufer - CT und Auflösung

Auf dem Röntgenbild sehen sie einen dorsalen Versatz des Dens in einer hochgradig degnerativen HWS. Bei Dieser Konstellation denken Sie an eine Densfraktur und veranlassen ein CT!









Bei unserem Patienten liegt eine kombinierte Fraktur des 1. HWK mit einer Berstung der Kondylen sowie eine Densfraktur Typ II bis III vor. Sie ist nicht disloziert, jedoch hochgradig instabil.


C1 Frakturen:
Frakturen des 1 Halswirbels werden nach JEFFERSON oder GEHWELER eingeteilt. Deren Klassifikation beschreiben Frakturen im vorderen oder hinteren Bogen. 

GEHWEILER Typ 3  wäre ein beidseitiger Frakturverlauf durch die Massae laterales.  Er gilt als instabil und wird in Kombination mit anderen Verletzung operativ versorgt. Operative Stabilisierungsmöglichkeiten sind der Halo Fixateur (für 3 bis 4 Monate), die transorale Verschraubung der Massae laterales (Harms Schrauben), ventrale C1/C2 Verschraubung bei wenig dislozierten Frakturen  (insbesondere in Kombination mit Densfrakturen) oder die dorsale C0/C3 Fusion.
Densfrakturen:

Densfrakturen werden nach ANDERSON und D'ALONZO klassifiziert. 1974 haben ANDERSON und D'ALONZO die Densfrakturen in drei Hauptgruppen eingeteilt. 

TYP I: Fraktur der Densspitze. Sie gilt als stabil:
TYP II: Fraktur der Densbasis (an der Verbindungsstelle zwischen dem Dens und dem 2. Wirbelkörper). Diese gelten als instabil und neigen zur Pseudarthrosen bildung.
TYP III: Fraktur reicht bis zum Corpus des Axis. Nach der originären Beschreibung beider Autoren ist die Typ-III-Fraktur eine tatsächliche Fraktur des Corpus axis. Sie gilt als stabil.
Zusätzlich zu jedem Typ haben sie zwischen Frakturen mit Dislokation und ohne Dislokation
unterschieden.

Lesen Sie auch:
http://notfallambulanz.blogspot.de/2013/07/fall-13-der-sommerklassiker-anamnese.html

http://notfallambulanz.blogspot.de/2013/06/die-komplizierte-densfraktur-auflosung.html

Fall 53: Der gestürzte Deichläufer



Zur Aufnahme kommt ein 81 jähriger Mann mit dem RTW. Er wäre einen Deich hinabgestolpert und auf das Gesicht gefallen. Passanten hätten den RTW gerufen. Eine Bewußtlosigkeit habe nicht bestanden. Der Patient habe beim Lagern über Nackenschmerzen geklagt, weshalb eine starre Halskrause angelegt wurde.

Der Patient nimmt u.a. Marcumar wegen eines Schrittmachers.

Aufnahmebefund:
81 jähriger Patient in gutem AZ, schlank. Ein siff neck ist angelegt. Er ist wach und orientiert. Wegen einer Schwerhörigkeit ist die Anamneseerhebung schwierig. Am Gesichtsschädel findet sich ein handtellergroße oberflächliche Schürfverletzung ohne Blutung frontal an der Stirn mit einer zusätzlichen Schürfverletzung über dem Nasenrücken.
Beide Pupillen sind enggestellt. Das Nasenprofil ist erhalten, kein Epistaxis. Palpatorisch findet sich kein knöcherner Druckschmerz. Der stiffneck wird gelöst. Über der Mittellinie kein Druckschmerz über den Dornfortsätzen. Eine Rotation wird ab 30° schmerzhaft angegeben.
Obere Extremitäten, Thorax, Becken und untere Extremitäten ohne Verletzungszeichen. Das Abdomen tastet sich weich ohne Druckschmerz.
Neurologisch bestanden keine Ausfälle. Beidseits aktive Beweglichkeit der oberen und unteren Extremitäten mit erhaltener Kraft und Sensibilität.

Eigenanamnese:
Schrittmacherimplantation 2003 wegen Rhythmusstörungen, Hypotonieneigung, Schilddrüsenüberfunktion,  Z.n. Leistenbruch-OP’s

Medikation:
Marcumar nach Quick, Carbimazol, Spironolacton 25 mg, Triamteren 10 mg, Metoprolol 10 mg, ACE Hemmer

Diagnostik:
Das Röntgenbild zeigt diesen Befund.





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