Seit dem ersten gemeldeten Covid-19 am 28.1.2020 hat sich das Verständnis der Erkrankung durch Sars-Cov 2 grundlegend verändert. Galt die pulmonale Manifestation zunächst als pathognomonisch, änderte sich die klinische Präsentation im weiteren Verlauf der Pandemie. Wir berichten über einen Patienten mit klinischen Symptomen einer Nierenkolik, bei dem mehr zufällig eine pulmonale Manifestation mit Covid 19 auffiel.
Der
Fall:
In der Notaufnahme stellt sich um
1.25 Uhr ein 52 jähriger Patient vor. Er war bereits in der vorigen Nacht zur
gleichen Zeit vorstellig geworden. Geklagt werden intermittierende linksseitige
Flankenschmerzen mit einer Intensität von 9 bis 10 VAS. Allgemeinsymptome
bestehen nicht. Fieber, Übelkeit, Erbrechen werden verneint, ebenso wie
Unregelmäßigkeiten bei Miktio oder Stuhlgang. Der Patient habe das Gefühl, dass
die Beschwerden lagerungsabhängig im Liegen stärker ausgeprägt seien.
Insbesondere in Zeiten von Corona
werden Kontakte mit positiv getesteten Personen oder Covid typische Symptome
verneint. Der diensthabende Arzt am Vortag hatte den Eindruck einer
vertebragenen Genese. Beschwerden waren bewegungsabhängig mit einem punktuellen
paravertebralen Druckschmerz. Eine Urinuntersuchung und Ultraschalluntersuchung
waren routinemäßig durchgeführt worden, hatten aber keinen pathologischen
Befund erbracht hatte. Es wurde die symptomatische Analgesie empfohlen.
Bei der erneuten Vorstellung
zeigte sich ein Patient mit Bewegungsdrang. Er hockte bei Kontakt vor der Untersuchungsliege und vermochte
keine bequeme Position auf der Liege einzunehmen. Das Abdomen tastete sich weich.
Es fanden sich keine Hinweise für Leisten- oder Bauchwandhernien. Die
Wirbelsäule konnte allseits schmerzfrei bewegt werden. Es wurden keine
paravertebralen Schmerzpunkte sondern Beschwerden unter dem linken Rippenbogen
und dem Nierenbecken angegeben. Die Vitalparameter, insbesondere die pO2, waren
unauffällig.
Sonografisch fanden sich
unauffällige Oberbauchorgane. Insbesondere die linke Niere stellte sich ohne
Aufstauung oder echogene Binnenstrukturen dar. Keine freie Flüssigkeit, Darmkokaden oder erweiterte Pankreasloge
Laborchemisch fielen erhöhte
Entzündungswerte auf: Leukos 28.300 G/l sowie ein CRP 138 mg/dl. Elektrolyte,
Leberwerte, Pankreasfermente und Creatinin normwertig. Das Urinsediment war
positiv für Blut. Der POCT PCR-Test bei
Aufnahme war ohne Nachweis einer aktiven Covid-19 Infektion.
Unter dem Verdacht einer Nierenkolik
mit möglicher Nierenbeckenentzündung wurde ein „Stein“-CT des Abdomens
durchgeführt. Eine Urolithiasis oder Harnabflussstörung konnten nicht dargestellt
werden. In den basalen Lungenanschnitten fielen milchglasartige Veränderungen wie
bei einer Covid Infektion auf (Kategrie 2, Cov19ind). Es wurde ein Thorax-CT
angeschlossen. Dabei fielen die folgenden Befunde auf:
Fig
2: CT Thorax mit Covid-19 typischen Anzeichen einer pulmonalen Infektion
Die Therapie
startete mit einer gezielten Antibiose. Der PCT Test am Folgetag konnte keine
aktive Infektion nachweisen. Der Patient verließ daraufhin die Klinik gegen
ärztlichen Rat.
Diskussion:
Der erste bestätige Fall einer Infektion mit dem „severe
acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2) in Deutschland wurde am
28.01.2020 berichtet. Ab diesem Zeitpunkt breitete sich das Virus in ganz
Deutschland pandemisch aus. Für die Schwere des Verlaufs ist der Lungenbefall
entscheidend. Mit zunehmender Dauer der Pandemie wurde jedoch auch deutlich,
dass sich Covid-19 erheblich von seinen Vorgängern SARS („severe acute
respiratory syndrome“) und MERS („middle east respiratory syndrome“)
unterscheidet. Zu den führenden Symptomen zählten zunächst Fieber, Halsschmerzen,
Husten und Atemnot mit bevorzugter Manifestation
hauptsächlich des Atemtrakts als Kardinalsymptome.
Im Verlauf der
COVID-19-Pandemie erweiterte sich das klinische Spektrum jedoch um zusätzliche Oganmanifestationen
wie Kopfschmerzen, abdominelle Symptomatiken, vaskulärer Befall, Durchfall,
Geschmacks- und Geruchsverlust oder Hautveränderungen. Das Verständnis der
Erkrankung wandelte sich dadurch zu einer Systemerkrankung mit einem sehr
heterogenen Erscheinungsbild. Dabei können einerseits respirratorische Symptome
im Vordergrund stehen aber auch nur die einzelnen Organmanifestationen.
In unserem Fall
stellte sich ein junger Patient mit intermittierenden Flankenschmrzen und
Bewegungsdrang vor. Differentialdiagnostisch kam zunächst eine nephrogene Ursache
mit Steinpassage bei Urolithiasis in Frage. Dies wäre konsistent mit dem
Nachweis von Blut im Sediment gewesen. Die erhöhten Entzündungswerte blieben
unklar. Sonografie und das „Stein“ CT konnten eine Nephro-oder Urolithiasis
nicht bestätigen. Stattdessen fielen basale pulmonale Residuen einer
stattgehabten Covid-19 Infektion. Diese wiederum erklären die erhöhten
Entzündungsparameter. Fieber bestand nicht und auch anamnestisch bestand kein
Hinweis für eine durchgemachte Covid-19 Infektion. Der initiale PO-PCT Test
fiel negativ aus.
Damit fällt
unser Patient in die Gruppe von Patienten, bei denen aufgrund gastrointestinaler
Symptome eher zufällig im abdominalen Computertomographie die Diagnose einer
Covid 19 Infektion gestellt wird. Dabei waren nicht die abdominellen
Veränderungen richtungsweisend sondern die basal angeschnittenen
Lungenabschnitte.
Eine
multizentrische Studie von Pan et al (2020)[i] fand dazu heraus,
dass mehr als 50% der 204 Patienten über Verdauungssymptome wie
Appetitlosigkeit, Durchfall, Erbrechen und Bauchschmerzen berichteten. Eine
kürzlich durchgeführte Metaanalyse von 4234 Patienten ergab eine Prävalenz der
GI-Symptome von 17,6% (Cheung 2020)[ii]. The high incidence could be confirmed by Schmulson
(2020)[iii]
in a review of the literature of 2800 cases that revealed 39% of abdominal
symptoms in a Covid infection. Drei Fallberichte enthielten Hämatochezie als Symptom
(Jaijakul 2020[iv], Carvalho 2020[v], Guotato 2020[vi]).
Auch Hormati (2020)[vii] berichtete
über eine Anzahl von Patienten mit untypischen abdominellen Symptomen, bei
denen auf dem Abdomen -CT basale Lungenveränderungen auffielen, die als
Covid-19 Erkrankung bestätigt werden konnten.
Es gibt auch
mehrere Fallberichte von Patienten, bei denen anfangs oder im Verlauf ihrer
gesamten Infektion ausschließlich GI-Symptome auftreten (Pazgan-Simon 2020[viii], Xiao 2020,
Yang 2020, Gahide 2020[ix]). Die größte
Studie, eine Single-Center-Studie von Luo (2020)[x] zeigte, dass
von 1141 bestätigten Fällen von COVID-19 16% der Erkrankten über GI-Symptome klagten.
Viele Fälle von COVID-19 konnten dabei erst durch abdominale Bildgebungsscans
gefunden werden (Sendi 2020[xi], Siegel 2020[xii], Kim 2020[xiii], Dane 2020[xiv]). Hossain et
al (2020)[xv]
fanden heraus, dass sich in mehr als 50% ihrer 119 Patienten in dem CT der Bauch-
oder Wirbelsäule Anzeichen von COVID-19 zeigten.
Einige Autoren
empfehlen Radiologen daher, die CT-Untersuchungen des Abdomens sorgfältig auf
typische COVID-19-Befunde an den Lungenbasen zu überprüfen (Amaral 2020)[xvi].
Die kolikartige
Symptomatik unseres Patienten wies zunächst auf eine Urolithiasis. Der
umschriebene Schmerz mit hoher Intensität und intermittierendem Charakter
mochte nicht zu einer Lungenbeteiligung durch Covid-19 passen. Dazu gibt es
jedoch eine Untersuchung von Widyardhama (2020)[xvii], die über Muskelschmerzen zusammen mit einer COVID-19
Infektion berichtet. Andere Schmerzformen, z.B. Gelenkschmerzen, Magenschmerzen
und Hodenschmerzen, werden genannt. Auch neuropathische Schmerzen können
auftreten, sind jedoch eher selten. Es wird angenommen, dass
COVID-19-Mechanismen im Nerven- und Bewegungsapparat durch die Expression und
Verteilung des Angiotensin-Converting-Enzyms 2 (ACE-2) verursacht werden.
Als Standardverfahren zur
Identifizierung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) bei Patienten mit
klinischen Symptomen ist der Nachweis durch eine Abstrichuntersuchung aus dem
Nasen-/Rachenraums mit RT-PCR-Testung (RT-PCR,
Reverse-Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion, im Folgenden „PCR“) auf virale
RNA (1, 2). Sie
bietet eine fast absolute Sicherheit, Virusmaterial zu identifizieren und damit
die spezifische Diagnose einer SARS-CoV-2-Infektion zu stellen (3). Doch
selbst bei korrekter Abstrichentnahme werden falsch-negative PCR-Resultate gesehen
(4, 5). Die
Wiederholung des Tests ist daher bei suggestiver klinischer Symptomatik üblich.
Als weiteres tool steht die
native Niedrigdosis-Computertomografie des Thorax (ND-CT) zur
Behandlungssteuerung von Patienten mit COVID-19 zur Verfügung. Früh wurde fiel
auf, dass die COVID-19-assoziierte Pneumonie im CT einen charakteristischen Befund
erzeugt. Diese bestehen aus dichten, peripher gelegenen Milchglastrübungen oder
einem Mischbild aus Milchglastrübungen und Konsolidierungen. Dabei können die
Milchglastrübungen durch ein feines Netzmuster (Retikulationen) überlagert sein.
Dieses wird als „Crazy Paving“ bezeichnet. Dabei können die Gefäße
innerhalb der Verdichtungen oder periläsional dilatiert sein. Die Verdichtungen
sind häufig rund, geografisch oder streifig. Es findet sich eine
multifokale und bilaterale Verteilung mit einem bevorzugten Befall der
posterioren Unterlappen. Differentialdiagnostisch erinnern die Veränderungen an
eine (kryptogen) organisierende Pneumonie. Die Milchglasanteile treten mit
zunehmendem Schweregrad in den Hintergrund und es überwiegen die
Konsolidierungen bishin zum diffusen Alveolarschadens (diffuse alveolar damage,
DAD) (Schaible 2020)[xviii].
Die Einteilung [xix]
Das native Niedrigdosis-CT
(ND-CT) weist eine hohe Treffsicherheit der ND-CT für die Diagnostik von
COVID-19 auf mit hoher Sensitivität (94,7 %) und Spezifität (91,4 %)
gegenüber anderen Lungenerkrankungen derselben klinischen Symptomatik. Diese
hohe Aussagefähigkeit wird durch ein Abstrichergebnis und den klinischen
Verlauf erreicht. Aber auch andere Effekte spielen eine Rolle, z.B. die
Prävalenz, saisonaler Viren wie z.B.
Influenza- oder RS-Viren, als Ursache von pneumonischer Veränderungen.
Obwohl die positive Abstrichuntersuchung/PCR
die Diagnose COVID-19 mit absoluter Spezifität/PPV etabliert, besteht der
Vorteil der ND-CT in einer schnelleren Verfügbarkeit ihrer Ergebnisse, i.d.R.
im Median nach neun Minuten, wohingegen die Abstrichergebnisse erst nach einem
Median von 8,3 Stunden verfügbar waren. Das ermöglicht in einer pandemischen
Situation eine zügige Identifikation eines potenziell infektiösen Patienten.
Zur Klassifizierung kann
die COV-RADS Einteilung herangezogen werden. Sie berücksichtigt die Ermittlung diagnostischer
Kennzahlen. Eine Kategorie COV-RADS-2 ermöglicht dem Radiologen, eine Lunge mit
eindeutig pathologischem Befund als test-negativ zu bezeichnen, wenn die
Infiltrate nicht COVID-19-suspekt sind.
Fazit:
Abdominelle Beschwerden können eine atypische Präsentation von Covid-19 sein. Sie treten sehr heterogen in Erscheinung und können neben gastrointestinalen Symptomen auch das klinische Bild einer Nierenkolik imitieren. Bis zum Ausschluss einer Covid-19 Infektion sollte sich das medizinische Personal entsprechend schützen.