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Mittwoch, 20. Juli 2022

Fall 76: Die falsche Nierenkolik (Auflösung)

 Unter dem Verdacht einer Nierenkolik mit möglicher Nierenbeckenentzündung wurde ein „Stein“-CT des Abdomens durchgeführt. Eine Urolithiasis oder Harnabflussstörung konnten nicht dargestellt werden. In den basalen Lungenanschnitten fielen milchglasartige Veränderungen wie bei einer Covid Infektion auf (Kategrie 2, Cov19ind). Es wurde ein Thorax-CT angeschlossen. Dabei fielen die folgenden Befunde auf:


In den basalen Abschnitten stellte sich sich in beiden Lungen ein Mischbild aus Dystelektasen sowie milchglasartigen Eintrübungen i.S einer stattgehabten Covid-19 Infektion dar.

Die Therapie startete mit einer gezielten Antibiose. Der PCT Test am Folgetag konnte keine aktive Infektion nachweisen. Der Patient verließ daraufhin die Klinik gegen ärztlichen Rat.

Diskussion:

Der erste bestätige Fall einer Infektion mit dem „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2) in Deutschland wurde am 28.01.2020 berichtet. Ab diesem Zeitpunkt breitete sich das Virus in ganz Deutschland pandemisch aus. Für die Schwere des Verlaufs ist der Lungenbefall entscheidend. Mit zunehmender Dauer der Pandemie wurde jedoch auch deutlich, dass sich Covid-19 erheblich von seinen Vorgängern SARS („severe acute respiratory syndrome“) und MERS („middle east respiratory syndrome“) unterscheidet. Zu den führenden Symptomen zählten zunächst Fieber, Halsschmerzen, Husten und Atemnot mit bevorzugter Manifestation hauptsächlich des Atemtrakts als Kardinalsymptome.

Im Verlauf der COVID-19-Pandemie erweiterte sich das klinische Spektrum jedoch um zusätzliche Oganmanifestationen wie Kopfschmerzen, abdominelle Symptomatiken, vaskulärer Befall, Durchfall, Geschmacks- und Geruchsverlust oder Hautveränderungen. Das Verständnis der Erkrankung wandelte sich dadurch zu einer Systemerkrankung mit einem sehr heterogenen Erscheinungsbild. Dabei können einerseits respirratorische Symptome im Vordergrund stehen aber auch nur die einzelnen Organmanifestationen.

In unserem Fall stellte sich ein junger Patient mit intermittierenden Flankenschmrzen und Bewegungsdrang vor. Differentialdiagnostisch kam zunächst eine nephrogene Ursache mit Steinpassage bei Urolithiasis in Frage. Dies wäre konsistent mit dem Nachweis von Blut im Sediment gewesen. Die erhöhten Entzündungswerte blieben unklar. Sonografie und das „Stein“ CT konnten eine Nephro-oder Urolithiasis nicht bestätigen. Stattdessen fielen basale pulmonale Residuen einer stattgehabten Covid-19 Infektion. Diese wiederum erklären die erhöhten Entzündungsparameter. Fieber bestand nicht und auch anamnestisch bestand kein Hinweis für eine durchgemachte Covid-19 Infektion. Der initiale PO-PCT Test fiel negativ aus.

Damit fällt unser Patient in die Gruppe von Patienten, bei denen aufgrund gastrointestinaler Symptome eher zufällig im abdominalen Computertomographie die Diagnose einer Covid 19 Infektion gestellt wird. Dabei waren nicht die abdominellen Veränderungen richtungsweisend sondern die basal angeschnittenen Lungenabschnitte.

Eine multizentrische Studie von Pan et al (2020)[i] fand dazu heraus, dass mehr als 50% der 204 Patienten über Verdauungssymptome wie Appetitlosigkeit, Durchfall, Erbrechen und Bauchschmerzen berichteten. Eine kürzlich durchgeführte Metaanalyse von 4234 Patienten ergab eine Prävalenz der GI-Symptome von 17,6% (Cheung 2020)[ii]. The high incidence could be confirmed by Schmulson (2020)[iii] in a review of the literature of 2800 cases that revealed 39% of abdominal symptoms in a Covid infection. Drei Fallberichte enthielten Hämatochezie als Symptom (Jaijakul 2020[iv], Carvalho 2020[v], Guotato 2020[vi]).

Auch Hormati (2020)[vii] berichtete über eine Anzahl von Patienten mit untypischen abdominellen Symptomen, bei denen auf dem Abdomen -CT basale Lungenveränderungen auffielen, die als Covid-19 Erkrankung bestätigt werden konnten.

Es gibt auch mehrere Fallberichte von Patienten, bei denen anfangs oder im Verlauf ihrer gesamten Infektion ausschließlich GI-Symptome auftreten (Pazgan-Simon 2020[viii], Xiao 2020, Yang 2020, Gahide 2020[ix]). Die größte Studie, eine Single-Center-Studie von Luo (2020)[x] zeigte, dass von 1141 bestätigten Fällen von COVID-19 16% der Erkrankten über GI-Symptome klagten. Viele Fälle von COVID-19 konnten dabei erst durch abdominale Bildgebungsscans gefunden werden (Sendi 2020[xi], Siegel 2020[xii], Kim 2020[xiii], Dane 2020[xiv]). Hossain et al (2020)[xv] fanden heraus, dass sich in mehr als 50% ihrer 119 Patienten in dem CT der Bauch- oder Wirbelsäule Anzeichen von COVID-19 zeigten.

Einige Autoren empfehlen Radiologen daher, die CT-Untersuchungen des Abdomens sorgfältig auf typische COVID-19-Befunde an den Lungenbasen zu überprüfen (Amaral 2020)[xvi].

Die kolikartige Symptomatik unseres Patienten wies zunächst auf eine Urolithiasis. Der umschriebene Schmerz mit hoher Intensität und intermittierendem Charakter mochte nicht zu einer Lungenbeteiligung durch Covid-19 passen. Dazu gibt es jedoch eine Untersuchung von Widyardhama (2020)[xvii], die über Muskelschmerzen zusammen mit einer COVID-19 Infektion berichtet. Andere Schmerzformen, z.B. Gelenkschmerzen, Magenschmerzen und Hodenschmerzen, werden genannt. Auch neuropathische Schmerzen können auftreten, sind jedoch eher selten. Es wird angenommen, dass COVID-19-Mechanismen im Nerven- und Bewegungsapparat durch die Expression und Verteilung des Angiotensin-Converting-Enzyms 2 (ACE-2) verursacht werden.

Als Standardverfahren zur Identifizierung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) bei Patienten mit klinischen Symptomen ist der Nachweis durch eine Abstrichuntersuchung aus dem Nasen-/Rachenraums mit RT-PCR-Testung (RT-PCR, Reverse-Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion, im Folgenden „PCR“) auf virale RNA (12). Sie bietet eine fast absolute Sicherheit, Virusmaterial zu identifizieren und damit die spezifische Diagnose einer SARS-CoV-2-Infektion zu stellen (3). Doch selbst bei korrekter Abstrichentnahme werden falsch-negative PCR-Resultate gesehen (45). Die Wiederholung des Tests ist daher bei suggestiver klinischer Symptomatik üblich.

Als weiteres tool steht die native Niedrigdosis-Computertomografie des Thorax (ND-CT) zur Behandlungssteuerung von Patienten mit COVID-19 zur Verfügung. Früh wurde fiel auf, dass die COVID-19-assoziierte Pneumonie im CT einen charakteristischen Befund erzeugt. Diese bestehen aus dichten, peripher gelegenen Milchglastrübungen oder einem Mischbild aus Milchglastrübungen und Konsolidierungen. Dabei können die Milchglastrübungen durch ein feines Netzmuster (Retikulationen) überlagert sein. Dieses wird als „Crazy Paving“ bezeichnet. Dabei können die Gefäße innerhalb der Verdichtungen oder periläsional dilatiert sein. Die Verdichtungen sind häufig rund, geografisch oder streifig. Es findet sich eine multifokale und bilaterale Verteilung mit einem bevorzugten Befall der posterioren Unterlappen. Differentialdiagnostisch erinnern die Veränderungen an eine (kryptogen) organisierende Pneumonie. Die Milchglasanteile treten mit zunehmendem Schweregrad in den Hintergrund und es überwiegen die Konsolidierungen bishin zum diffusen Alveolarschadens (diffuse alveolar damage, DAD) (Schaible 2020)[xviii].

Das native Niedrigdosis-CT (ND-CT) weist eine hohe Treffsicherheit der ND-CT für die Diagnostik von COVID-19 auf mit hoher Sensitivität (94,7 %) und Spezifität (91,4 %) gegenüber anderen Lungenerkrankungen derselben klinischen Symptomatik. Diese hohe Aussagefähigkeit wird durch ein Abstrichergebnis und den klinischen Verlauf erreicht. Aber auch andere Effekte spielen eine Rolle, z.B. die Prävalenz, saisonaler Viren wie z.B.  Influenza- oder RS-Viren, als Ursache von pneumonischer Veränderungen.

Obwohl die positive Abstrichuntersuchung/PCR die Diagnose COVID-19 mit absoluter Spezifität/PPV etabliert, besteht der Vorteil der ND-CT in einer schnelleren Verfügbarkeit ihrer Ergebnisse, i.d.R. im Median nach neun Minuten, wohingegen die Abstrichergebnisse erst nach einem Median von 8,3 Stunden verfügbar waren. Das ermöglicht in einer pandemischen Situation eine zügige Identifikation eines potenziell infektiösen Patienten.

Zur Klassifizierung kann die COV-RADS Einteilung herangezogen werden. Sie berücksichtigt die Ermittlung diagnostischer Kennzahlen. Eine Kategorie COV-RADS-2 ermöglicht dem Radiologen, eine Lunge mit eindeutig pathologischem Befund als test-negativ zu bezeichnen, wenn die Infiltrate nicht COVID-19-suspekt sind.

Fazit:

Abdominelle Beschwerden können eine atypische Präsentation von Covid-19 sein. Sie treten sehr heterogen in Erscheinung und können neben gastrointestinalen Symptomen auch das klinische Bild einer Nierenkolik imitieren. Bis zum Ausschluss einer Covid-19 Infektion sollte sich das medizinische Personal entsprechend schützen.



Fall 76: Die falsche Nierenkolik

In der Notaufnahme stellt sich um 1.25 Uhr ein 52 jähriger Patient vor. Er war bereits in der vorigen Nacht zur gleichen Zeit vorstellig geworden. Geklagt werden intermittierende linksseitige Flankenschmerzen mit einer Intensität von 9 bis 10 VAS. Allgemeinsymptome bestehen nicht. Fieber, Übelkeit, Erbrechen werden verneint, ebenso wie Unregelmäßigkeiten bei Miktio oder Stuhlgang. Der Patient habe das Gefühl, dass die Beschwerden lagerungsabhängig im Liegen stärker ausgeprägt seien.

Insbesondere in Zeiten von Corona werden Kontakte mit positiv getesteten Personen oder Covid typische Symptome verneint. Der diensthabende Arzt am Vortag hatte den Eindruck einer vertebragenen Genese. Beschwerden waren bewegungsabhängig mit einem punktuellen paravertebralen Druckschmerz. Eine Urinuntersuchung und Ultraschalluntersuchung waren routinemäßig durchgeführt worden, hatten aber keinen pathologischen Befund erbracht hatte. Es wurde die symptomatische Analgesie empfohlen.

Bei der erneuten Vorstellung zeigte sich ein Patient mit Bewegungsdrang. Er hockte bei Kontakt  vor der Untersuchungsliege und vermochte keine bequeme Position auf der Liege einzunehmen. Das Abdomen tastete sich weich. Es fanden sich keine Hinweise für Leisten- oder Bauchwandhernien. Die Wirbelsäule konnte allseits schmerzfrei bewegt werden. Es wurden keine paravertebralen Schmerzpunkte sondern Beschwerden unter dem linken Rippenbogen und dem Nierenbecken angegeben. Die Vitalparameter, insbesondere die pO2, waren unauffällig.

Sonografisch fanden sich unauffällige Oberbauchorgane. Insbesondere die linke Niere stellte sich ohne Aufstauung oder echogene Binnenstrukturen dar. Keine freie Flüssigkeit,  Darmkokaden oder erweiterte Pankreasloge

Laborchemisch fielen erhöhte Entzündungswerte auf: Leukos 28.300 G/l sowie ein CRP 138 mg/dl. Elektrolyte, Leberwerte, Pankreasfermente und Creatinin normwertig. Das Urinsediment war positiv für Blut. Der POCT PCR-Test  bei Aufnahme war ohne Nachweis einer aktiven Covid-19 Infektion.


Das Abdomen CT zeigt in den basalen Abschnitten der Lunge folgendes Bild. Ein Steinnachweis erfolgt nicht.


Sonntag, 26. Juni 2022

Borreliose: Neue Risikogebiete hinzugekommen

Nach Angaben des Robert Koch Institutes breitet sich die Borreliose in Deutschland im Norden weiter aus. Die nach einem Zeckenbiss auftretende Erkrankung bedarf gerade nach Exposition besonderer Beachtung. Werden die Warnsymptome übersehen oder fehlen sie ganz, besteht ein Risiko an Borreliose zu erkranken. Daher sollten Veränderungen wie die bekannte Wanderröte oder grippeähnliche Beschwerden mit übermäßigem Schwitzen Anlass geben, eine Therapie mit Antibiotika zu beginnen.

s.Veröffentlichung: 

Als Risikogebiete in der BRD (Stand: Januar 2022) gelten vor allem Bayern und Baden-Württemberg, Südhessen, das südöstliche Thüringen und Sachsen. Einzelne Risikogebiete befinden sich zudem in Mittelhessen, im Saarland, in Rheinland-Pfalz und in Niedersachsen. 



Es kommen aber auch sechs neue Risikogebiete hinzu, von denen vier an bekannte Risikogebiete grenzen. Erstmalig in Brandenburg werden drei Kreise Risikogebiet (LK Oberspreewald-Lausitz, LK Oder-Spree und LK SpreeNeiße), erstmalig in Nordrhein-Westfalen wird der Stadtkreis (SK) Solingen Risikogebiet und in Sachsen kommen zwei Kreise hinzu (SK Chemnitz und LK Görlitz). Somit sind aktuell 175 Kreise als FSME-Risikogebiete definiert. Im Jahr 2021 wurden insgesamt 390 FSME-Erkrankungen übermittelt (Stand: 21.01.2022). Dies entsprach einer Abnahme von 45% gegenüber dem Rekordwert im Vorjahr (712 FSME-Erkrankungen). 




Quelle: Epidemiologisches Bulletin 9/2022 - RKI

https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/gefahr-in-deutschland-steigt-borreliose-gefahr-steigt-karte-zeigt-deutschlands-stark-betroffenen-regionen_id_13467536.html

Fall 74: der Weichteildefekt am Hoden

 Diagnose:

Z.n. Weichteildebridement bei Fournierschen Gangrän

Procedere:

Es erfolgt die Verlegung in eine urologische Fachklinik. Dort wird die plastische Deckung mit Schwenklappen und einer Rekonstruktion des Skrotums erreicht. Der Verlauf ist jedoch nicht unkompliziert. Es werden noch weitere Debridements peranal bei weiterer Absessbildung angeschlossen. Die initialen Wunden bleiben jedoch davon unbetroffen. Unter Dauerantibiose gemäß Antibiogramm heilen die Weichteile schließlich ab, und der Patient kann nach 46 Tagen die stationäre Behandlung verlassen.

Diskussion

Der Morbus Fournier gilt als Sonderform einer infektiösen, nekrotisierenden Fasciitis in den perinealen, peranalen und skrotalen Geweben. Es bedarf dazu eines Synergismus aus vorbestehenden Komorbiditäten und einem idealen Nährboden für eine bakterielle Ausbreitung. Der Verlauf ist foudroyant und erfordert eine rasche chirurgische Sanierung mit einer frühzeitigen antimikrobiellen Behandlung und intensivmedizinischer Therapie.

Der Namensgeber für das Krakheitsbild ist Jean Alfred Fournier (1832 - 1914), der 1883 einen Artikel unter dem Titel „Gangrene ­foudroyante de la verge“ (Fulminantes Gangrän des männlichen Gliedes) veröffentlichte. Darin benennt er die drei wesentlichen Aspekte der Erkrankung mit einem plötzlichen Beginn eines bis dahin gesunden jungen Mannes, eine rasche Progression mit Übergang in eine fortschreitende ­Gangrän ohne eine definitive Ursache. Letztere ist der Unterschied zu spezifischen Erkrankungen.

Grundsätzlich kann die Gangrän bei Männern wie auch Frauen und Kindern auftreten, wobei das Verhältnis mit 10:1 zu Ungunsten des männlichen Geschlechtes gewichtet ist[i]. Die jährliche Inzidenz beträgt 1,6 Fälle auf 100 000 Männer mit einer Mortalitätsrate von 16 %.

Die Diagnose wird klinisch gestellt. Oft besteht eine fulminante Nekrose mit einhergehender Sepsis; ausgehend von einer kleinen Hautläsion schreitet die Gangrän oft innerhalb weniger Stunden fort. Es kommt zu einer zunehmenden Nekrose mit erst rötlich-livide und anschließend schwarzer Demarkation. Dieser typische Verlauf kann jedoch in bis zu 40 % der Fälle auch fehlen. Es entwickelt sich dann lokal ein Ödem mit Induration und Krepitation, Schmerzen und einem oft stark beißenden Geruch. Fieber, Schüttelfrost und erhöhte Infektparameter im Labor. Der Patient erscheint krank mit Zeichen einer Sepsis. Radiologisch können subkutane Lufteinschlüsse oder Abszessbildung bestehen.

Begünstigend wirken systemische Grunderkrankungen, z.B. Diabetes mellitus und Alkoholismus. Diese finden sich in 70 % der Fälle. Zusätzlich könne Leukämien, ­maligne Erkrankungen, chronischer Steroidmissbrauch, Unterernährung und HIV-Infektionen vorliegen.

Als Eintrittspforten gelten Hautdefekte, der Gastrointestinaltrakt und der Genital- und Harntrakt besonders nach Eingriffen, Verletzungen und Erkrankungen, wie zum Beispiel in einzelnen Fällen nach Vasektomie[ii], [iii], bei renalen oder rektalen Abszessen, Harnröhrensteinen und -strikturen mit Extravasation sowie bei rupturierten Appendices, Divertikulitis und Kolonkarzinomen.

Das Erregerspektrum ist eine Mischkultur aus aeroben und anaeroben Bakterien, insbesondere Clostridien, Klebsiellen, Streptokokken, Coliformen und Staphylokokken. Es entwickelt sich ein selbst unterhaltender Synergismus. Durch Aerobier wird der Nährboden für anaerobe Keime geschaffen. In der Folge entwickelt sich eine Endarteriitis obliterans mit Thrombosierung kleinerer Haut- und Subcutangefäße und daraus resultierend die Gewebsnekrose[iv],[v],[vi]

Therapeutisch steht das frühzeitige radikale chirurgische Debridement mit antibiotischer Breitspektrumtherapie unter intensivmedizinischer Versorgung im Vordergrund.
Die chirurgische Sanierung sollte so früh wie möglich beginnen[vii]. Dies verbessert die Überlebenschancen. Intraoperativ zeigt sich oft eine bis zur reichende Nekrose. Selten ist die Muskulatur oder die Testes mitbetroffen. Das Ausmaß der Nekrose überschreitet oft das äußerliche Erscheinungsbild. Medikamentös wird die chirurgische Weichteilsanierung mit einem Breitspektrumantibiose in Form einer Dreifachantibiose gegen Anaerobier, Streptokokken, Staphylokokken und coliforme Bakterien empfohlen. Diese kann nach Erhalt der Kulturen gemäß des Antibiogramms resistenzgerecht angepasst werden.

Die nekrotisierende Fasciitis ist, laut Verband deutscher Druckkammer-Zentren, eine Indikation für die adjuvante hyperbare Sauerstofftherapie. In den Leitlinien der European Association of Urology (EAU) findet die Anwendung jedoch noch keine Zustimmung.




[i] Eke N. Fournier’s gangrene: a review of 1726 cases. Br J Surg 2000; 87: 718-728.

[ii] Viddeleer AC, Lycklama a Nijeholt GAB. Lethal Fournier’s gangrene following vasectomy. J Urol 1992; 147:1613-14

[iii] Patel A, Ramsay JW, Whitfield HN. Fournier’s gangrene of the scrotum following day case vasectomy. J R Soc Med 1991; 84: 49-50

[iv] Smith GL, Bunker CB, Dinneen MD. Fournier’s gangrene. Br J Urol 1998; 81: 347-355

[v] Mallikarjuna MN, Vijayakumar A, Vijayraj SP, Shivswamy BS. Fournier’s Gangrene: Current Practices. ISRN Surg 2012; Article ID 942437, 8 pages

[vi] Sroczynski M, Sebastian M, Rudnicki J, Sebastian A, Agrawal AK. A complex approach to the treatment of Fournier’s gangrene. Adv Clin Exp Med 2013; 22(1); 131-5

[vii] Grabe M, Bjerklund-Johansen TE, Botto H, Çek M, Naber KG, Pickard RS, Tenke P, Wagenlehner F,     Wullt B. Guidelines on urolgical infections. Uroweb 2013. http://www.uroweb.org/gls/pdf/18_Urological%20infections_LR.pdf, accessed Nov 1th 2013.

 

Fall 77: Die komplizierte Ellenbogenluxation: Der Fall

Mit dem RTW wird ein 35-jähriger Mann vorgestellt. Er wäre nach 4 Flaschen Bier auf die Mülltonne gestiegen und von dort auf seinen rechten Arm gefallen. Im Moment des Aufkommens habe er diesen rückwärtig ausgestreckt. Er habe sofort starke Schmerzen im re Ellenbogen verspürt und diesen nicht mehr bewegen können. Vom Rettungsdienst wurde Ketanest/Dormicum verabreicht.

Eigenanamnese:

Keine Einnahme von Medikamenten, keinerlei Vorerkrankungen. Regelmäßiger Alkoholgenuss oder -missbrauch wird verneint.

Körperliche Untersuchung:

Auf der Trage ist der re Arm auf einem Kissen gelagert. Eine unterstützende Schiene o.dergl. wurde nicht angelegt. Der Weichteilmantel im Ellenbogen ist deformiert und verplumpt. Dorsal lässt sich der luxierte proximale Unterarm tasten. Eine Bewegungsprüfung im Schulter/Handgelenk wird nicht toleriert. Die Haut ist vital, warm und trocken. Finger werden aktiv, das Handgelenk vermindert bewegen. Durchblutung und Sensibilität erscheinen intakt.

Unter dem klinischen Verdacht einer dorsalen Ellenbogenluxation erfolgt das Röntgen des Ellenbogens mit Unterarm. Die Bilder zeigen den folgenden  Befund:




Es erfolgt die Vorbereitung der Reposition in Narkose. Der Patient gibt dabei einsetzende Dysästhesien der Finger an. Bei dem second look fällt eine neu eingesetzte dorsale Weichteilschwellung über dem distalen Handgelenk auf. Diese ist bandförmig auf den Carpus beschränkt. Kein knöcherner Druckschmerz über dem distalen Radius/Ulna. Die Beweglichkeit ist endgradig schmerzhaft mit Druckschmerz über der Tabatiere. Es werden Kribbelsensationen in allen Fingern angegeben. Finger sind weiterhin beweglich.

Auf dem Weg in den OP werden folgende Röntgenbefunde erhoben:

    

 


Montag, 18. Oktober 2021

Fall 74: Der Weichteildefekt am Hoden

 

Mit 2 Angehörigen wird um 22.00 in der Notaufnahme ein 62-jähriger Mann vorgestellt. Aufgrund der Sprachbarriere ist die Anamnese erschwert. Demnach habe sich bei einem Heimatbesuch des Mannes im Iran eine Entzündung in der Leiste gebildet. Diese habe zu einer Aufnahme in ein örtliches Krankenhaus geführt, aus dem er überstürzt abgereist ist, da sein Rückflugticket ausgelaufen wäre. An Vorerkrankungen bestünde ein D.mellitus

Bei Aufnahme findet sich ein 62-jähriger Mann in gutem AZ und schlanken EZ. Kein Fieber. Der offensichtliche Befund findet sich wie folgt:


Es stellen sich langstreckige Weichteilinzisionen in beiden Leisten. Die Wundhöhlen sind granulierend und sauber. Die Hoden mit den Samensträngen sind exponiert und liegen frei.

Diagnose ?

Lösung unter 

https://www.blogger.com/blog/post/edit/1713222409190798349/2534241671956261822

Mittwoch, 13. Oktober 2021

Fall 72: Die ileocoecale Invagination beim Erwachsenen (Auflösung)

Diagnose: Iileocoecale Invagination

Das CT zeigt eine ileocoecale Invagination. die Dünndarmschlingen sind i.S. eines Subileus erweitert, der Clonorahmen leer.

Therapie:

Nach der pröperativen Vorbereitung erfolgt die laporoskoische Exploration. Dabei bestätigt sich das CT morphologische Bild. Das terminale Ileum hat sich über eine Strecke von 40cm in das Coecom und Colon ascendens gestülpt. Es gelingt, das Ileum partiell zu reponieren. Es fällt jedoch ein indurierter Abschnitt auf, der die vollständige Reposition behindert. Die laparoskopische Operation wird in eine Laparotomie konvertiert. Der suspekte Abschnitt imponiert als intraluminärer Tumor, der als Segmentresektion entfernt wird. Der postoperative Verlauf gestaltet sich komplikationslos.

Die histologische Aufarbeitung zeigt ein Adenocarcinom pT2N0.

Diskussion

Eine Invagination des Ileums als Ursache für einen Ileus ist beim Erwachsenen eher selten. Im Patientengut von Azar betrug der Anteil 1%, bei Rodriguez-Lopez 1 bis 5%. Dabei ist in über 80% überwiegend das Ileum unterhalb der Treitz' Flexur betroffen. Die Ursachen für eine Invaginationen beim Erwachsenen sind in bis zu 90% spezifische intraluminale Pathologien im Gegensatz zu idiopathischen Ursachen. Zwei Drittel davon entfallen auf maligne Tumoren, wohingegen speziell bei ileocoecalen Invaginationen in fast 100% Malignome, z.B. Adenocarcinome, zu finden sind. Die präoperative Diagnostik mit Ultraschall und CT ist geeignet, die Invagination nachzuweisen. Das Vorgehen ist daher unter Berücksichtigung der möglich zugrundeliegenden Pathologie operativ mit einer anzustrebenden Segmentresektion. In unserem Fall bestätigte die explorative Laparoskopie den CT Befund einer Invagination, erbrachte jedoch auch einen Tumorverdacht, der sich bei der Laparotomie als derbe vaskularisierte Raumforderung erwies. Es erfolgte die Resektion unter dem Verdacht eines Malignoms. Diese ist i.B. auf die zugrundeliegende Pathologie als kurative R0 Resektion anzusehen.


Dienstag, 10. August 2021

Fall 72: Die ileocoecale Invagination beim Erwachsenen

 In der Notaufnahme stellt sich ein 45-jähriger Mann vor. Er klagt über seit 4 Wochen bestehende teils wässrige Durchfälle im Wechsel mit z.T. strangförmig geformten Stühlen. Bei der Einlieferung mit dem Rettungswagen habe sich der Patient einmalig übergeben müssen. Es werden intermittierende spitze Schmerzen im rechten Unterbauch geklagt.

Es bestehen keine Vorerkrankungen oder Medikamenteneinnahme.

Bei der klinischen Untersuchung betritt ein adipöser Patient mit fließendem Gangbild das Untersuchungszimmer. Seine Vitalparameter sind normwertig. Gesicht rosig ohne periorale Blässe. Zunge feucht. Das Abdomen ist gespannt, die Bauchdecken ohne Zeichen des Peritonismus. Es besteht kein kontralateraler Loslassschmerz, jedoch ein Druckschmerz im rechten Unterbauch. Darmgeräusche lebhaft und hochgestellt. Die Ampulle tastet sich leer.

Sonografisch stellen sich erweiterte Dünndarmschlingen im Mittel- und Unterbauch dar, die reichlich kot- und flüssigkeitsgefüllt sind mit teils orthograder, teils pendelnder Peristaltik. Keine freie Flüssigkeit bei normwertigen Oberbauchorganen.

Das Labor ist weitestgehend unauffällig ohne Entzündungszeichen. Nieren-, Leberwerte und Elektrolyte sind normwertig.

Im nachfolgenden CT stellt sich folgendes Bild dar.

Sonntag, 14. März 2021

Fall 73: Kompartment des Unterschenkels unter Xarelto I

 Fall 73: Kompartment Syndrom des Unterschenkels unter Xarelto

Aus einer Seniorenwohnanlage wird mit dem RTW eine 82-jährige demente Bewohnerin zugewiesen. Dem Pflegepersonal wäre ein Bluterguss und eine zunehmende Weichteilschwellung des linken Unterschenkels aufgefallen. Ein Trauma wurde verneint und konnte von der Patientin auch nicht angegeben werden. Beschwerden werden nicht angegeben.

Eigenanamnese:

Eine Anamnese konnte von der Patientin nicht erhoben werden. Es besteht laut Pflegeüberleitungsbogen neben einer Demenz eine Dauerantikoagulation mit Xarelto wegen Vorhofflimmerns. Ferner besteht ein Hypertonus und ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus.

Körperliche Untersuchung.

82-jährige Patientin in gutem AZ, kachektisch. Sie ist wach, kommunikativ, jedoch zur Zeit nicht zuverlässig  orientiert.

Inspektorisch zeigt sich folgender Befund am linken Unterschenkel:



Freitag, 12. März 2021

Fall 73: Kompartment Syndrom des Unterschenkels unter Xarelto II

Der Unterschenkel weist eine prominente lateralseitige Weichteilschwellung auf. Die Haut ist i.S. einer flächigen Nekrose alteriert. Bei der Betastung fühlt sich die Schwellung prall und unter Spannung an. Betroffen ist die Peronaeusloge. Schmerzen werden zu Beginn der Supination und Adduktion des Fußes geäußert. Die Fußpulse sind links nicht tastbar.

Mittlerweile trifft das Labor ein. Interessieren dürfte der Hb Wert, der mit 10,4 g/dl erwartungsgemäß niedrig ausfiel.

Diagnose: Blutungskomplikation unter Xarelto mit Kompartmentsyndrom des linken Unterschenkels

Es erfolgt die Kompartmentspaltung. Dabei werden ca 500ml Koagel evakuiert. Die Nekrosen werden debridiert und mit einem Vakuumverband temporär verschlossen. Die Vakuumtherapie wird für 12 Tage mit wiederholtem Wechsel und Nachdebridement der Weichteile beibehalten. Bei konsolidierten Weichteilen erfolgte dann die Meshgraft Deckung und Nachbehandlung mit weiterer Vakuumtherapie. 8 Tage nach Meshgraft konnte die Vakuumtherapie beendet und die Patientin unter Fortführen rückfettender Maßnahmen in die Häuslichkeit zurück verlegt werden.

Fazit:

Dabigatran (Pradaxa®), Rivaroxaban (Xarelto®), Edoxaban (Lixiana®) und Apixaban (Eliquis®) zählen zu den nicht-Vitamin-K-antagonistischen oralen Antikoagulanzien (NOAK).

Eine unerwünschte Nebenwirkung von ihnen sind Blutungen. Obwohl statistisch anscheinend kein Unterschied in der Häufigkeit von Vit-K Antagonisten und Non Vit-K Antagonisten bestehen soll, zeichnet die klinische Erfahrung ein anderes Bild, denn hier sind es ausschließlich Blutungen unter Non Vit-K Antagonisten, die Anlass zur stationären Aufnahme geben. So entsteht der Eindruck, dass eine Blutungskomplikation in ihrer Schwere gravierend ist, wenn sie auftritt, und evtl deshalb häufiger im klinischen Alltag zu sehen ist.  Blutungen sind i.d.R. relevant und interventionspflichtig. Das betrifft aus chirurgischer Sicht insbesondere Blutungen mit diffuser Verteilung in die Weichteile, Abdomen oder gastrointestinal[i].

Die Therapie der akuten Blutung stellt den Kliniker vor das Problem, dass es bislang kein Antidot für den Faktor Xa Hemmer gab. Für Dabigatran kam erst 2015 das erste Antidot: Idarucizumab. Für die anderen o.g. Medikamente konnte man nur auf Gerinnungsfaktoren-Konzentrate zurückgreifen.

Seit dem 1. März 2019 jedoch hat die europäische Arzneimittelbehörde EMA die Zulassung für das Apixaban- und Rivaroxaban-Antidot Andexanet alfa empfohlen. Es ist in der 2. Jahreshälfte 2019 unter dem Namen Aprol auf den Markt gekommen. Für Edoxaban dagegen gibt es noch kein Antidot.



[i] https://www.webmd.com/drugs/2/drug-156265-1153/xarelto-oral/rivaroxaban-oral/details/list-sideeffects

Dienstag, 9. Februar 2021

Sterberisiko bei Covid ist abhängig vom Zigarettenkonsum

Die kumulative Zigarettenrauch-Exposition ist ein unabhängiger Risikofaktor für eine Krankenhausaufnahme oder Tod aufgrund von COVID-19

Forscher von der Cleveland Clinic in Ohio zeigten dies in ihrer vorgestellten Studie. Dabei wurde die Expositionsdauer als Packungsjahre definiert. Bislang galt, dass aktive Raucher ein höheres Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf haben. Es konnte nun eine dosisabhängige Abhängigkeit zwischen der Zahl der Packungsjahre und der Schwere bei COVID-19-Erkrankung gezogen werden. Dazu wurden Daten von 7102 COVID-19-Patienten herangezogen. Dabei zeigte sich, dass Patienten mit einer Raucheranamnese von mehr als 30 Packungsjahren ein 2,25-fach höheres Risiko einer Krankenhausaufnahme und ein 1,89-fach erhöhtes Risiko hatten, an den Folgen von COVID-19 zu sterben. Dies war unabhängig davon, ob die Patienten zum Zeitpunkt der Datenerhebung rauchten oder nicht. Demnach ist der Effekt der Packungsjahre bei ehemaligen oder aktiven Rauchern gleich.

Aus: Springer Nachrichten 27.1.2021

(JAMA Intern Med 2021; online 25. Januar).

Dienstag, 2. Februar 2021

Corona: Briten Mutante: Worin bestehen die Unterschiede? Ist sie tödlicher?

Immer besser lernen wir die Unterschiede der britischen Virus-Mutante B.1.1.7 kennen. Unterschiede bestehen in der Ausprägung ihrer Symptoms. Demnach kommt es wesentlich seltener bei B.1.1.7 zu Geschmacksverlust als typischer Corona-Indikator.

Klinische Symptome können eine Coronainfektion bereits von einer Grippeerkrankung unterscheiden. Zu den häufigsten Symptomen zählen FieberKopfschmerzen und trockener Husten. Geruchs- und Geschmacksverlust gelten als Leitsymptom für die Coronainfektion. Bei Mutationen des Coronavirus dagegen beobachtet man nun eine veränderte Ausprägung der Symptomatik.


Symptome bei der Briten-Mutation

Das britische Amt für Nationale Statistiken veröffentlichte nun Zahlen i.B. auf die Häufigkeit der Symptome bei der Mutante B.1.1.7. Demnach litten Infizierte deutlich häufiger als andere Covid-19-Patienten an:


  • - Husten
  • - Müdigkeit
  • - Muskelschmerzen
  • - Halsschmerzen

- seltener dagegen über Geschmacks- und Geruchsverlust. 


Letzteres war bislang relativ sicheres Anzeichen für Covid-19. Laut der Untersuchung des UCL im Frühjahr 2020 fand sich dieses Symptom bei 80% der Infizierten. Schlussendlich verwischen sich bei der britischen Mutante damit die Grenzen zu einer Influenza Infektion.


Die Grafik des britischen Amts verdeutlicht die unterschiedliche Ausprägung der Symptome bei Patienten, die sich mit der Mutante B.1.1.7 (heelgrün) und einer Corona Variante (dunkelgrün). 



Zu den häufigeren Symptome der britischen Mutante gehören auch Durchfall, Fieber und Kurzatmigkeit.

Ist die Mutante gefährlicher? Die Statistik zeigt auch, dass der Anteil der Menschen, die nach einer Ansteckung an Beschwerden leiden, bei B.1.1.7 etwas höher ist als bei anderen Varianten: 52,92 Prozent zu 47,7 Prozent. Ihre Letalität jedoch ist nicht höher.


Nachdem die neue Variante im Dezember in Großbritannien entdeckt worden war, waren dort zwar tatsächlich die Fallzahlen gestiegen. Der britische Premierminister Boris Johnson hatte dafür die Mutation des Virus verantwortlich gemacht. Allerdings war es auch in etlichen anderen Ländern im Winter zu einer Zunahme der Infektionen gekommen. Und: Genauso schnell, wie sie gekommen war, flaute die Infektionswelle in Großbritannien wieder ab, als dort verschiedene Lockdown-Maßnahmen ergriffen wurden. 


Daten des britischen Statistikamtes ONS zufolge haben sowohl die Infektionen mit der neuen als auch mit der alten Variante des Coronavirus seit Februar kontinuierlich wieder abgenommen.



Montag, 25. Januar 2021

Fall 71: Der ungewöhnliche Bauchschmerz bei einer 15-jährigen (Diagnose)

siehe dazu die Vorgeschichte:

http://notfallambulanz.blogspot.com/2021/01/fall-71-der-ungewohnliche-bauchschmerz.html


Diagnose:

Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS)

Das hämolytisch-urämische Syndrom ist charakterisiert durch eine hämolytische Anämie, Thrombozytopenie und eine akute Niereninsuffizienz. Diese Erkrankung ist weltweit aber mit deutlich unterschiedlichen Häufigkeiten bekannt. Die Inzidenz wird in Mitteleuropa auf 1 bis 1,5 Patienten/100 000 Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren geschätzt. Sie bevorzugt Kinder im Alter von ein bis fünf Jahren aber auch jedes andere Alter mit einem Altersgipfel im zweiten bis dritten Lebensjahr (82425). In Deutschland gilt das HUS die häufigste Ursache eines akuten Nierenversagens im Kindesalter (22).

Das HUS ist ein Syndrom im klassischen Sinne. Mittlerweile ist es akzeptiert, dass es verschiedene Ursachen für ein HUS gibt. Eine einheitliche Nomenklatur gibt es jedoch noch nicht. Derzeit werden mindestens vier verschiedene pathogenetische Formenkreise der Entstehung eines HUS unterschieden 

- HUS bei Infektionen, z.B. durch Bakterientoxine (E. coli, Shigellen, Salmonellen),  Pneumokokkenneuraminidase und Viren. Bei Erkrankungen, die initial mit Durchfall einhergehen, wird auch der Begriff typisches HUS (D+) verwandt. Da die überwiegende Mehrzahl der HUS-Fälle im Kindesalter mit enterohämorrhagischen Escherichia coli (EHEC) assoziiert ist, wird auch als synonym für diese Form das Shigatoxin-assoziierte HUS verwendet (231416).

- Idiopathisches HUS (atypisches HUS): Werden bei den Patienten keine Hinweise auf EHEC gefunden, so ist oft mit einer Rekurrenz der Erkrankung zu rechnen. Hierbei ist die dauernde Aktivierung des Komplementsystems ein wichtiger pathogenetischer Hinweis (101920). In wenigen, oft familiären, Fällen scheint eine Störung des Faktors H eine Rolle zu spielen (27). Dieser Faktor gehört zu einer Gruppe von Proteinen die für die Regulation des Komplementsystems verantwortlich sind. Insbesondere auf lokaler Ebene ist Faktor H für die Inhibierung des Komplementsystems notwendig. Kommt es zu angeborenen oder erworbenen Störungen des Faktors H, bleibt eine Komplementaktivierung ungebremst, und es kommt zu Parenchymschäden wahrscheinlich durch die Persistenz der C3-abhängigen Kaskade des alternativen Komplementweges (1920). In seltenen Fällen gibt es auch hereditäre Formen des HUS, die sowohl autosomal dominant, als auch autosomal rezessiv vererbt werden können (10202439).

- HUS bei systemischen Erkrankungen: Diese stehen im Zusammenhang mit malignen Erkrankungen, systemischem Lupus erythematodes, Knochenmarktransplantation, Glomerulonephritis und treten nach Schwangerschaften im Wochenbett auf (25).

- HUS durch Toxinexposition: Verschiedene Substanzen wie Ciclosporin A, Tacrolimus, Mitomycin, Kontrazeptiva und Kokain können eine Erkrankung auslösen. Sie kann auch durch eine Bestrahlung verursacht werden.

Die häufigste Ursache für ein HUS im Kindesalter jedoch ist eine Infektion mit EHEC (2613–16232629) durch kontaminierte Lebensmittel, direkter Tierkontakt sowie die Übertragung von Mensch zu Mensch. Innerhalb der Gruppe der EHEC werden zunehmend neue Serotypen gefunden, beziehungsweise bisher nicht virulente Bakterien werden virulent. Eine ausführliche Beschreibung der EHEC haben Karch und Bockemühl veröffentlicht (31537).
- Seit 1998 und auch nach dem neuen Infektionsschutzgesetz (IfSG) sind sowohl das enteropathische HUS als auch Infektionen mit EHEC meldepflichtig nach IfSG § 6 Absatz 1f und § 7 Absatz 12a.

Epidemiologie des HUS

Das HUS tritt weltweit auf. In Europa ist die Häufigkeit von Norden nach Süden unterschiedlich: In Deutschland wird eine Inzidenz von 0,7 bis 1,0 pro 100 000 Kinder unter 15 Jahre gefunden. Das Verteilungsmuster der Bundesländer für die Jahre 1997/1998 in den nördlichen Regionen um Hamburg weist eine relative Häufung auf. Alle anderen Bundesländer zeigen keine auffälligen Verteilungen. Es ist also für Deutschland davon auszugehen, dass das HUS überall vorkommen kann. Bei den EHEC-assoziierten HUS-Patienten liegt der Erkrankungsgipfel zudem in den Sommermonaten. Besonders in den Monaten Juli bis September ist ein erhöhtes Erkrankungsrisiko vorhanden.

Innerhalb einer prospektiven Untersuchung wurde in Deutschland und Österreich versucht, mögliche Infektionsquellen zu erfassen. Aufgrund methodischer Probleme und der oft langen Latenz zwischen Kontakt mit einem Infektionserreger und der Diagnose einer EHEC-Infektion beziehungsweise HUS kann in den meisten Fällen der Verursacher nicht gefunden werden (13143137).

Das Verteilungsmuster des HUS zeigt eine Häufung vom ersten bis fünften Lebensjahr mit einem Häufigkeitsgipfel bei etwa drei Jahren. Eine weitere Besonderheit ist die Tatsache, dass Patienten unter vier Jahren häufiger an Non-O157-Erregern erkranken als ältere Kinder. Aus verschiedenen Ausbruchsuntersuchungen wird klar, dass neben den Kleinkindern auch ältere Leute, besonders solche die in Heimen leben, wieder häufiger erkranken (24). Eine Ursache oder Erklärung hierfür ist bisher nicht bekannt. Im Falle der Kleinkinder wird allerdings vermutet, dass die in diesem Alter noch nicht vorhandene Hygiene dazu führt, dass bei Schmierinfektionen eine höhere Bakterienmenge ingestiert wird und damit eine höhere Erregerbelastung vorhanden ist. Ein Beweis für diese Vermutung existiert aber bisher nicht.

Diagnostik
Das klassische Leitsymptom einer Erkrankung des infektionsassoziierten HUS mit EHEC-Nachweis ist ein blutiger Durchfall. Es vergehen etwa drei Tage (Bereich: 1 bis 8 Tage) zwischen Infektion und Ausbruch der Diarrhö. Nach Beginn der Diarrhö ist das Auftreten eines HUS im Mittel in vier Tagen zu erwarten (Bereich: 1 bis 12 Tage).

Die Diagnose wird anhand der charakteristischen Symptome gesichert: hämolytische Anämie mit Erhöhung von LDH und Auftauchen von Fragmentozyten im Blutausstrich, Thrombopenie und Anstieg der Retentionswerte beziehungsweise Auftreten von Oligo- oder Anurie.

Komplikationen bei HUS sind eine arterielle Hypertonie, Überwässerung mit Aszites und Perikarderguss, Krampfanfälle, neurologische, kardiale und pulmonale Beteiligungen.


Die primäre bildgebende Diagnostik erstreckt sich auf eine sonographische Untersuchung der Nieren. Im B-Bild erscheinen die Nieren mit deutlich erhöhter Echogenität im Bereich der Nierenrinde und echoarmen Markkegeln. Die Nieren sind deutlich vergrößert, und das Volumen hat meist über die altersentsprechende 97% Perzentile zugenommen. Im Farbduplex zeigen sich oft auch Muster wie sie bei einer Nierenvenenthrombose angetroffen werden, mit deutlich erhöhtem intrarenaler Widerstandserhöhung bis hin zu negativem diastolischen Fluss in der Diastole. Eine Unterscheidung ist hierbei oft nur durch die Klinik mit Nachweis von Fragmentozyten und dem weiteren Verlauf möglich. Assoziierte Auffälligkeiten im Abdomen können in einem Aszites, Gallenblasenhydrops und verdickten Darmwandstrukturen liegen.

Therapie
Da bisher keine spezifischen Therapieformen routinemäßig zur Verfügung stehen, ist die derzeitige Therapie symptomatisch
. Dazu zählt auch die Dialyse.