Es ist immer wieder kolportiert worden, dass Albert Einsteins rupturiertes Bauchaortenaneurysma als Cholezystitis fehlgedeutet worden und er womöglich deswegen gestorben sei. Dies galt als einprägsame Warnung vor der häufig falsch interpretierten, äußerst heterogenen Symptomatik abdominaler Aortenaneurysmen, die bis heute mit ein Grund dafür ist, dass diese Situationen womöglich tödlich enden. Ob die Geschichte von der Fehldiagnose so stimmt, kann man allerdings bezweifeln.
Denn zunächst hatte der deutsche Chirurg Rudolph Nissen, bis heute bekannt für die von ihm entwickelte Antirefluxplastik bei Hiatushernien, im Dezember 1948 am Brooklyn Jewish Hospital bei Einstein eine explorative Laparatomie vorgenommen. Der Grund war dessen seit Jahren immer wieder auftretenden Bauchbeschwerden, teilweise mit Erbrechen.

Bauchaortenaneurysma von der Größe einer Männerfaust
Während der Op. entdeckte Nissen ein Bauchaortenaneurysma von der Größe einer Männerfaust. Die einzige effiziente zu dieser Zeit zur Verfügung stehende Behandlungsmethode war, die Aortenwand mit Cellophan zu umhüllen, um die unabwendbare Ruptur soweit als möglich hinauszuzögern. Die Folie sollte eine intensive Fremdkörperreaktion mit folgender Fibrosierung hervorrufen und so die Aortenwand stabilisieren.

Die Operationsmethode war gerade erst entwickelt und verschiedene Cellophan*-Kunststofffolien erfunden worden. Eine starke Gewebereaktion konnte man vor allem mit Polyethylen-Folie erreichen. Damit waren Mitte der 1940er-Jahre mehrfach thorakale Aortenaneurysmen erfolgreich stabilisiert worden. Mit der Polyethylen-Folie wurde der Aneurysma-Hals umwickelt und die Cellophan-Folien von vorn auf dem Aneurysma-Sack platziert. Einstein bescherte der Eingriff noch mehr als sechs produktive Jahre. Er erholte sich von der Op. schnell und hatte fortan zunächst nur geringe Beschwerden. Etwa 1954 traten gelegentlich Rückenschmerzen und Bauchschmerzen im oberen rechten Quadranten auf. Letztere wurden als „chronische Cholezystitis“ interpretiert.

Hinzugezogen wurde nun auch der Chef der Chirurgie am New York Hospital-Cornell Medical Center, Frank Glenn: „Die Untersuchung ergab, dass er ein sich vergrößerndes abdominales Aneurysma hatte. Eine Operation war dringend angezeigt.“ Glenn, der bereits Erfahrung mit einigen Aneurysma-Resektionen und Transplantation von aus Leichen entnommenen Gefäßen hatte, verbrachte den Tag mit Einstein. „Er sagte mir, dass er lange genug gelebt habe, immer viel beschäftigt gewesen sei und stets das Leben genossen habe. Warum er sich denn all die Umstände einer Operation antun solle.“ Einstein sagte nach Glenns Angaben: „Ich möchte gehen, wann ich will. Es ist geschmacklos, das Leben künstlich zu verlängern. Ich habe meinen Beitrag geleistet, nun ist es Zeit zu gehen. Ich werde dies auf elegante Art und Weise tun.“ Einstein starb in den frühen Morgenstunden des 18. April 1955 im Princeton Hospital, New Jersey. Die Autopsie bestätigte das Vorhandensein eines großen Bauchaortenaneurysmas. Die Gallenblase war durch die Blutung komprimiert worden, dies hatte die Cholecystitisartigen Schmerzen verursacht.

Abdominelles Aortenaneurysma — ein diagnostisches Chamäleon
Mehr als 90% aller Aortenaneurysmen finden sich unterhalb der Nierenarterien-Abgänge. Die Trias aus Bauch- und/oder Rückenschmerzen mit einem tastbaren pulsierenden Tumor im Abdomen und Hypotonie gilt als nahezu sicherer klinischer Hinweis auf das Vorliegen eines Bauchaortenaneurysmas. Allerdings weist nur eine Minderheit symptomatischer Patienten diese Trias auf. Und 80% der betroffenen Menschen sind asymptomatisch. Gibt es Symptome, landen die Patienten unter Umständen bei allen möglichen Fachärzten, nur nicht beim Gefäßchirurgen, zum Beispiel
  • beim Urologen wegen einer scheinbaren Ureterkolik oder Hämaturie,
  • beim Orthopäden wegen therapieresistenter Rückenschmerzen
  • beim Neurologen wegen femoraler Neuropathie,
  • beim Kardiologen wegen Herzinsuffizienz oder wegen des Verdachts auf Herzinfarkt,
  • beim Gastroenterologen wegen angeblicher Pankreatitis, akuter Divertikulitis oder wegen unerklärlicher gastrointestinaler Blutungen, oder
  • beim Viszeralchirurgen wegen des Verdachts auf eine akute Cholezystitis oder eine inkarzerierte Leistenhernie.
Ursache dafür können der Druck auf verschiedene Nerven, Gefäße und andere Organe sein, deren Auswirkungen zunächst an andere Krankheiten denken lassen. Rückenschmerzen und diffuse Bauchschmerzen, die in das Becken ausstrahlen, müssen an ein expandierendes Aneurysma denken lassen. Auf LWS-Röntgenaufnahmen sind prävertebrale Verkalkungsstrukturen verdächtig.

Tiefe abdominelle Schmerzen, ein akutes Abdomen oder therapieresistente Rückenschmerzen mit Schockzeichen infolge des Blutverlustes deuten auf eine Ruptur hin. Gesichert wird die Diagnose per Abdomen-Sonographie und/oder Computertomographie mit Kontrastmittel. 

 Da mit zunehmendem Durchmesser eines abdominellen Aortenaneurysmas das Rupturrisiko schnell ansteigt, wird im Allgemeinen ab 4,5 cm bei Frauen und ab 5 cm bei Männern operiert, unter anderem auch in Abhängigkeit von der Lokalisation des Aneurysmas, seiner Morphologie und der Geschwindigkeit der Querschnittszunahme. Die konventionelle Operation besteht in der Implantation einer Rohrprothese oder einer Y-Prothese, wenn die Beckenarterien ebenfalls involviert sind. Seit 1990 wird alternativ dazu die endovaskuläre Implantation von Stentprothesen praktiziert. Kurzfristig scheinen Patienten in der Tat von diesem weniger invasiven Vorgehen zu profitieren, etwa mit einer verringerten 30-Tage-Mortalität oder postoperativ verbesserter Lebensqualität. Langfristig sind bislang jedoch keine Vorteile des endovaskulären Vorgehens nachgewiesen worden, was die Mortalitäts- und Morbiditätsraten sowie Therapieversager angeht. Die 2004/2005 publizierte britische EVAR-I-Studie hatte langfristig sogar deutlich erhöhte Komplikationsraten nach endovaskulärer Therapie ergeben. Weitere Studien laufen.


Surg Gynecol Obstetr 1990, 170: 455-458; New Engl J Med 1984, 310: 1538; Medscape Surg 2002, 4 (1) online; Postgrad Med J 1993; 69: 6-11; Klinik für vaskuläre und endovaskuläre Chirurgie, TU München; Dt. Ärztebl 2002, 99 (17): A1160–A1167; www.webop.de